Form als Funktion

Werbung und Design: Ein Grazer Sammelband versucht sich an einer Bestandsaufnahme

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gebrauchsdesign ist für die Kulturwissenschaft nach wie vor ein schwieriges Feld, weil Kunstanspruch als dominantes Thema und die diskreditierte Funktion von Werbung, den Kaufreiz anzustacheln, immer noch miteinander konkurrieren. Das wird von den Kreativen in der Werbebranche ganz anders gesehen, sicherlich zum Teil auch aus Gründen der Aufwertung. Andererseits ist die kategoriale Trennung von Gebrauchskunst und Kunst kaum aufrechtzuerhalten, zu stark sind die verschiedenen Kunstformen in die Verwertungssysteme der Konsumgesellschaft eingebunden.

Der vorliegende, englischsprachige Band basiert auf einer Vortragsreihe an der Universität Graz aus dem Jahr 2012/2013, an der Praktiker, Grundlagenforscher und Kulturwissenschaftler beteiligt waren. Dieser Umstand prägt die Beiträge, die sich durch einen knappen Ton und den Wunsch, sehr schnell auf den Punkt zu kommen, auszeichnen. Allerdings drängt sich gelegentlich der Verdacht auf, dass Fokussierung mit Simplifizierung verwechselt wurde und einem allzu deiktischen Stil Vorschub geleistet hat.

Dass Werbung eine Form der Kommunikation ist, kann man dabei getrost akzeptieren – was könnte es auch anderes sein, sobald es sich im öffentlichen Raum ereignet und sich symbolischer Zeichen bedient? Freilich ist der Design-Begriff umfassender aufzufassen, da es den Beiträgern mitnichten nur um die schöne, grafisch aufgearbeitete Darstellung geht, sondern zu großen Teilen um den Entwurf des Konsumobjektes selbst.

Das spielt insbesondere für die Beiträge eine zentrale Rolle, bei denen die akustischen Teile des Objektdesigns eine Rolle spielt. Dass Konsumprodukte nicht nur eine visuelle Oberfläche haben, sondern auch ein Geräuschprofil, wird man ohne Weiteres annehmen können. Das führt allerdings soweit, dass Unternehmen verstärkt ihre Konsumgüter auch akustisch designen – und sei es, damit die Konsumenten das favorisierte Knacken erleben können, das sie mit dem Genuss mancher Speiseeissorten verbinden, ohne dass ihnen die Schokoladenhülle gleich vom Vanilleeis springt, wie Charles Spence berichtet. Dass man es dabei übertreiben kann, zeigt ein Beispiel, bei dem die Verpackung eines Produkts einen Geräuschpegel von etwa 100 Dezibel beim Auspacken erzeugte, was ungefähr so angenehm und lautstark wie eine Kreissäge im Betrieb gewesen sein muss. Kein Wunder, dass das Unternehmen das Design der Verpackung änderte.

Allerdings scheinen die Untersuchungen Spences weniger einem „neuro-science inspired approach“ verpflichtet zu sein, als einer simplen, wenngleich aufwendigen Hermeneutik von Geräuschen und ihren Bedeutungen.

Der Bedeutung der musikalischen Begleitung von Werbung in der Konsumgesellschaft skizziert Beate Flath, die den Band mitherausgegeben hat. Sie bettet den funktionalen Einsatz von Musik in das Konzept der Erlebnisgesellschaft ein, in deren Kontext Musik in Werbung die Aufgabe habe, eine emotionale Bindung zwischen Produkt und Konsument herzustellen. Das gehe nicht zuletzt darauf zurück, dass Musik in der Konsumgesellschaft ubiquitär sei – nicht zuletzt, weil sie für das Sozialleben bindende und einbindende Funktion hat. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Werner Jauk in seinem Beitrag über den „Sound“ der Massenmedien. Er sieht Popmusik und Werbung als Teil des Betriebssystems der Massenmedien, mit dem die emotionale Bindung des Publikums betrieben werden soll. Auffallend ist, dass die Weiterentwicklung des Einsatzes von populärer Musik vom Commercial zur Verwendung von Pop-Songs (die zum Teil sogar für diesen Zweck geschrieben werden und erst durch die Werbung in die spezifischen Kanäle dieses Teilbereichs der Populärkultur eingespeist werden) nicht diskutiert wird.

Hingegen bekommt die Engführung von Vermarktung eines Labels mit der Inszenierung einer Musiktalentshow, hier „The Voice“, einen eigenen Beitrag (Holger Schramm, Nicolas Ruth), wobei die Vermarktungskanäle, die die Show für Universal eröffnet, allgemein unter Werbung gefasst werden.

Fragen wirft der Beitrag von Bernhard Kettemann über die Semiotik der Werbung und den Konsum-Diskurs auf: Er leitet den Umstand, dass in der Kultur keine Wahrheiten, sondern Meinungen verhandelt werden, aus einem konstruktivistischen Paradigma ab, was einerseits unnötig ist und andererseits in die Irre führt. Hinzu kommen kleinere, aber nicht zu ignorierende Fehler in den beigegebenen Grafiken, vor allem bei der Bezeichnung des semiotischen Dreiecks von Bedeutung, Bezeichnung und Referenz (womit dann das konstruktivistische Paradigma gleich wieder unterlaufen wird). Kettemann arbeitet vor allem mit Setzungen und nicht mit argumentativen Ableitungen. Das Ergebnis, vor allem bezüglich der Anamnese der Anzeigen, die er vornimmt, ist schließlich eher ernüchternd.

Wenig hilfreich ist außerdem der Beitrag Eva Kleins, die sich mit der Adaptation von Leonardo Da Vincis „Mona Lisa“ in der Werbung beschäftigt. Dass dieses Motiv für Verwendungen in der Werbung recht willfährig ist, kann kaum überraschen – welches Motiv wäre das nicht, wenn es derart verbreitet ist wie dieses? Direkt an diesen Beitrag schließt sich derjenige von Jörg Matthes an, der Erotik, Humor und die Verwendung von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens als die wohl wichtigste Taktik der Werbebranche sieht, um um das immer rarer werdende Gut Aufmerksamkeit zu buhlen. Die hohe Werbefrequenz schaffe einen hohen Anteil skeptischer Werbekonsumenten (er nennt eine Quote von 39 Prozent). Es müsse also das Ziel von Werbung sein, diesen Skeptizismus zu brechen – was allerdings den Überbietungsmechanismus auch in den Werbemaßnahmen kaum brechen wird.

Die Auswirkungen, die der Status einer Konsumgesellschaft auf die gesellschaftliche Realität hat, werden von Manfred Pirsching vorgestellt. Dabei verbindet er Wachstumsdenken, Wohlstandszuwachs, das System von Kauf und Verkauf miteinander, und weist dabei der Werbung die Funktion zu, die entsprechende Mentalität herzustellen, die damit korrespondiert. Man mag das für eine Umkehrung des gewohnten ökonomischen Denkens halten, was aber zweitrangig ist. Denn Pirsching zielt auf die Produktion von Identität über Werbung ab, was in Richtung eines konformistischen Individualismus weist. Individualität wird durch die Wahl von kollektiv verfügbaren Mustern erzeugt. Das sieht er naheliegend kritisch, wenngleich die Funktionalität dieses Verfahrens aus dem Blick gerät. Konstruktivistisch gedacht ist das extrem funktional, weil es die Entwicklung von Individualität beschleunigt und erleichtert. Damit findet eine Verschiebung von der Kritik am Verfahren der Werbung hin zu einer Kritik ihrer Elemente statt.

Einen merkwürdigen Umgang mit theoretische Vorgaben zeichnet auch den Beitrag von Johanna Rolshoven aus, die ihren Beitrag damit beginnt, den Kulturwissenschaften einen strikt materialistischen Zugriff zu unterstellen, die den Griff auf Werbung als realitätsstiftendes Medium blockiert habe. Versteht man die Kulturwissenschaften aber als Ausgründung der Ethnologie, dann greift diese Kritik ins Leere. Mindestens die strukturalistische Ethnologie spricht bevorzugt über symbolische Muster und Manöver, die Realität strukturieren. Für die von Rolshoven herangezogenen Exempel wäre auch stärker die Konstruktion von attraktiven Narrationen hervorzuheben, die der Positionierung der betreffenden Akteure dienen. Dass sich diese Narrationen historischer Vorbilder bedienen, dient dabei der erfolgreichen Durchsetzung in der Konkurrenz mit Mitbewerbern. 

Die visuellen Anteile von Werbung sind nicht zu unterschätzen, was die Dominanz grafischer Lösungen in ihr erklärt, auch wenn dabei deren narrative oder inhaltliche Teile vernachlässigt werden. Was allerdings die Vorstellung eines Gemäldes des frühen 19. Jahrhunderts über die Gefahren der Lotterie in diesem Band zu suchen hat, ist nicht erkennbar. Dass visuelle Zeichen kontextuell verstanden werden, stellt Barbara Aulinger anhand eines NS-Plakats von 1937 vor, das zu seiner Zeit positive Assoziationen auslösen konnte, heute jedoch für ein Unrechtsregime steht. Die Frage, ob das Plakat als Werbung zu verstehen ist, wird zwar bejaht, allerdings ist dies angesichts der historischen Verknüpfung der (nicht nur) politischen Propaganda mit der Werbewirtschaft ja kaum anders denkbar.

In diesem Kontext ist der Beitrag von Friedrich Weltzien bemerkenswert, der von einer Herabwürdigung der Werbung als Propaganda schreibt, dabei aber vernachlässigt, dass bis in die 1950-er Jahre Propaganda als terminus technicus für Werbung generell stand. Erst im Zuge der Ausweitung der Werbewirtschaft und ihrem Bedürfnis, sich von der politischen Propaganda zu distanzieren, die durch die totalitären Regime diskreditiert war, verliert sich dieser Sprachgebrauch. Dass Theodor W. Adorno mit seiner Definition von Kunst äußerst defensiv war und lediglich einen Restbereich subjektiver Freiheit zu bestimmen hoffte, irritiert Weltzien so sehr, dass er ihm die Furcht unterstellt, bei einem näheren Blick auf die Populärkultur gegebenenfalls ebenso kontaminiert zu werden, wie er es bei seinen Zeitgenossen wahrgenommen habe. Dabei hat Adorno die Vergeblichkeit seiner Kunstdefinition durchaus bemerkt. Er behält damit möglicherweise nicht Recht, hemmt aber damit eine bedingungslose Apologetik der Konsumkultur – auch wenn sie einen vorbehaltloseren Blick verdient hätte, was zur Diskussion führt, die Bernadette Collenberg-Plotnikov am Schluss des Bandes führt: Wo ist der Unterschied zwischen Kunst und Werbung?

Titelbild

Beate Flath / Eva Klein (Hg.): Advertising and Design. Interdisciplinary Perspectives on a Cultural Field.
Transcript Verlag, Bielefeld 2014.
232 Seiten, 32,99 EUR.
ISBN-13: 9783837623482

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