Von schönen Fehlern und Plagiaten

Hanns Zischler widmet sich im Marbacher Magazin Errata „aus zweiter Hand“

Von Lutz HagestedtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lutz Hagestedt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Giorgio Colli und Mazzino Montinari werden sich im Grabe gedreht haben, als im Jahr 2006 der dritte Band von Friedrich Nietzsches Jugendschriften, bearbeitet von Hans Gerald Hödl und Ingo W. Rath, erschien. Denn dieser Band, der für sich in Anspruch nimmt, aus dem „originale[n] Manuskriptbestand“ im Goethe-Schiller-Archiv erarbeitet worden zu sein, weist schier unerklärliche Wortmonstren auf: „nothwendigjugendliche“ oder „GleichartigealsosuchtdieSeeleansich“. Litt der junge Nietzsche, fragt man sich da unwillkürlich, unter solchem Papiermangel, dass er derart platzsparend schreiben musste? Wie aber erklärt es sich dann, dass andernorts (im selben Fragment 16 [19]) manche Wörter seltsam sinnentleert auseinandergerissen wurden? Wörter wie „Den ker“, „er scheint“, „ent flammt“, „Grund satz“, „entnom men“ oder „Geschichts schreibung“. Wollte Nietzsche den Absurditäten der Rechtschreibreform des ausgehenden 20. Jahrhunderts vorgreifen?

Die Wort-Cluster und Wort-Rupturen erklären sich, wenn man die Historisch-kritische Gesamtausgabe konsultiert, die in den 1930er-Jahren bei C.H. Beck erschienen ist. Dort haben die Setzer einzelne Wörter gesperrt gedruckt, andere Zeilen aber wiederum so gedrängt bestückt, dass kaum Abstand zwischen den einzelnen Wörtern blieb. Statt nun aber den Weimarer Nietzschebestand zu bearbeiten, haben die Herausgeber einfach die Beck-Ausgabe eingescannt – und dann versäumt, ihre Scans Korrektur zu lesen.

Nicht alle Fehler, die Hanns Zischler in seinem neuen Marbacher Magazin aufbietet, rühren derartig an den Ehrenkodex wissenschaftlichen Edierens. Aber es ist schon auffällig, dass der Druckfehler per se ein gutes Instrument abgibt, Plagiate zu erkennen: „Man schreibt im Unverstand ab“ und bemerkt den Fehler nicht einmal, so wie der Hinkelsteinhändler Plagiatus, der sich bei Obelix bedient und sich prompt beim eigenen Firmenschild verschreibt: „Plagiatius“.

Von diesen und anderen ‚schönen‘ Fehlern, die unsere Schadenfreude wecken, erzählt die Marbacher Kabinettausstellung „fluxus 34“, die Hanns Zischler mit Unterstützung von Heike Gfrereis kuratierte. Sie ist noch bis zum 3. Juli 2016 zu sehen.

„Ein Buch ohne Druckfehler ist unanständig“, sagt V. O. Stomps, und es stellt in seiner Hybris Gottes Autorität infrage. Fehler sind daher zuzulassen, nötigenfalls eigens einzubauen. Errata-Zettel entfalten im Übrigen ihre eigene Poesie (und auch sie können fehlerbehaftet sein), und aus manchen lacht ein böser Witz: „Nicht voll beansprucht, Deine Frau“, lautet ein Korrigendum auf einem Errata-Zettel zu einem Band mit Übersetzungen Rudolf Borchardts. Doch der Autor war auch als Ehemann rührig, wie es scheint: Immerhin hatte Borchardt mit Marie Luise Voigt, einer Nichte Rudolf Alexander Schröders, vier Kinder.

Titelbild

Hanns Zischler: Errata. Fehler aus zweiter Hand. Ein Gespräch in x Stichworten mit Hanns Zischler.
Deutsche Schillergesellschaft, Marbach am Neckar 2016.
72 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-13: 9783944469195

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