Verloren in der Ukraine

Markus Berges begibt sich in seinem zweiten Roman „Die Köchin von Bob Dylan“ auf eine Spurensuche zwischen Fakt und Fiktion

Von Sascha SeilerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sascha Seiler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als vor vier Jahren bekannt wurde, dass Markus Berges, Sänger der Kölner Band Erdmöbel, sein Romandebüt Ein langer Brief von September Nowak vorlegen würde, waren die ersten Reaktionen zu Recht verhalten. Zu viele mittelmäßige bis schlechte Romane waren in letzter Zeit von Rockmusikern erscheinen, ein Phänomen übrigens, dass seither anhält, man denke nur an Jochen Distelmeyers Otis oder die beiden Romane von Heinz Rudolf Kunze. Umso überraschender, dass Berges‘ Debüt zum Besten zählte, was die deutsche Literatur in den letzten Jahren an junger Literatur hervorgebracht hat. Und zwar deshalb, weil Berges seinem Buch eine interessante, keineswegs leicht zu entdeckende zweite Ebene eingebaut hat – die der unzuverlässigen Erzählerin, der man nur bei genauester Lektüre auf die Schliche kommt. Dass sich ein Großteil der Kritiker diese Mühe nicht gemacht hat, ärgert den Autor sicherlich bis heute, hielt ihn jedoch nicht davon ab, einen zweiten Roman zu verfassen, der den kryptischen Namen Die Köchin von Bob Dylan trägt.

Man könnte Berges nun vorhalten, er schwimme auf der Jubiläumswelle mit. Immerhin wird Dylan dieser Tage 75 Jahre alt, und auch sein Bandkollege Ekki Mas hat gerade ein – übrigens sehr empfehlenswertes – Soloalbum mit Neuinterpretationen seiner liebsten Dylan-Songs veröffentlicht. Der Vorwurf greift aber, so berechtigt er in Teilen sein mag, etwas zu kurz, denn immerhin spielt Dylan in dem Roman zwar eine bedeutende Nebenrolle als aktive Figur, andererseits handelt er ja, wie der Titel schon sagt, von seiner Köchin.

Diese trägt den Namen Jasmin und hat den Job von einer Freundin vermittelt bekommen, die aufgrund ihrer Schwangerschaft aussetzen muss; nun darf sie den Meister und seine Band auf ihrer Europatournee als persönliche Köchin Dylans begleiten. Die Tour startet auf Einladung eines Oligarchen in der Ukraine, und wie es der Zufall so will, stammen Jasmins Großeltern aus dem osteuropäischen Land. Die Großmutter, mittlerweile dement, wanderte einst mit ihrem zweiten Ehemann aus, doch der erste Ehemann, der eigentliche Großvater Jasmins, gilt als verschollen. Eines Tages bekommt Jasmin, deren Cousine glücklicherweise eine Ahnenseite im Internet betreibt, den Anruf eines Mannes, der besagten Großvater als den seinen wiedererkennt. Dieser habe nämlich, hier werden die Verwicklungen etwas albern, nach einem Schlaganfall plötzlich angefangen deutsch zu sprechen und seinen wahren Namen, Florentinus Malsam, offenbart, so dass eine einfache Google-Suche reichte, um besagte Ahnenseite zu erreichen.

Parallel zu diesem Gegenwarts-Plot erzählt Berges die Geschichte von Malsam, der aus einer deutschen Enklave in der Ukraine stammt und erst von Ukrainern, dann von Sowjets, schließlich von Nazis terrorisiert wurden. Bei aller Leichtigjkeit des skurrilen Jasmin-Plots, der Malsam-Plot ist bleischwer, rekapituliert er doch die blutige Geschichte der Ukraine zwischen Sowjet-Repression und Nazi-Terror, die ja in den letzten Jahren der Historiker Timothy Snyder so detailliert in seinen Werken Bloodlands und Black Earth aufgearbeitet hat. Hier eine Balance zu finden ist schwierig, doch dies gelingt Berges mit spielerischer Leichtigkeit, was an sich schon bewundernswert genug ist.

Nun aber zur Kernfrage: Welche Rolle spielt eigentlich Bob Dylan bei dem Ganzen. Gut, er ist der Chef Jasmins, die Begegnungen mit ihm inszeniert Berges als surreale Gespräche zwischen Tiefsinn und Oberfläche und trifft dabei Dylans vermutetes Spätwerk-Wesen so ziemlich genau. Ist er nur ein komischer Kauz, der die Welt blendet, oder ist er ein tiefsinniger, reflektierter Mensch mit einem scharfen Blick auf die Welt, die ihn umgibt? Eine Schlüsselstelle ist sicherlich Jasmins Lektüre von Dylans Chronicles, Vol. 1, ein Buch, das als Autobiografie gilt, doch letztlich nur eine bewusste Fiktionalisierung von Dylans Leben betreibt. Die Dylan-unkundige Jasmin verliert sich in den Geschichten des Künstlers und nimmt alles, was er dort behauptet für bare Münze, sie fällt also, wie der Leser vom Langen Brief an September Nowak, auf den unzuverlässigen Erzähler hinein. Der von Berges gezeichnete Bob Dylan ist nur eine Fiktion, eine Figur, die das Wesen der eigentlichen Hauptfigur reflektieren soll, die auch als Spiegel dient, in dem sie sich selbst immer wieder staunend betrachtet. Der von ihr erträumte Dylan und der ‚reale‘ treffen in ihrer Vorstellungskraft aufeinander und werden, für Insider ganz witzig, von der einer Karikatur gleichenden Figur seines Gitarristen – unverkennbar der echte Dylan-Gitarrist Charlie Sexton – wieder gebrochen, der das Rockstar-Klischee völlig überstrapaziert.

Man könnte nun noch länger die Bedeutung Dylans und seines Mythos für die Erzählung debattieren, aber vielleicht ist es gerade das, was Berges seinen Lesern überlassen möchte. Sein Buch ist nicht mehr so angestrengt geschrieben wie der Vorgänger, dafür beherbergt es aber auch nicht mehr jenes möglicherweise große Geheimnis, das September Nowak so reizvoll gemacht hat. Trotzdem ist es ein wunderbarer Roman, der hoffentlich fernab vom Rockstar-schreibt-Buch-Klischee angenommen wird, denn damit hat er beileibe gar nichts zu tun.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Markus Berges: Die Köchin von Bob Dylan. Roman.
Rowohlt Verlag, Berlin 2016.
288 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783871347092

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