Mord hat Konsequenzen

Christiane Geldmacher unterhält mit ihrem zweiten Kriminalroman prächtig

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sie trinkt weißen Tee: „Probier mal! Er hat eine feinfruchtige Note!“ Was schmeckt Harry? „Nichts. Meine Geschmacksnerven sind offenbar zu grobmotorisch für feinen chinesischen Tee.“ Dafür preist er seinen Kaffee an: „Eine peruanische Mischung! Mittlerer Körper, lebhafte Säure, Zitrusgeschmack im Abgang.“ Das hat er an der Kasse gelesen. Sylvia kommentiert: „Die Basis deines Kaffees ist die Asche von Leichen, die mit brackigem Wasser verrührt worden ist. Sie wird getrocknet, in die Kaffeemaschine gefüllt, und heraus kommt ein mittlerer Körper mit ätzender Säure.“

Harry hat aber noch größere Probleme als den Streit mit Sylvia, seiner Kollegin aus der „Eventmanufaktur“, mit der er ab und zu flirtet, die er dann mit Nicky zusammenbringt – mehr aus Versehen – und sie dann wieder auseinanderbringt. Harry hat nämlich vor zwei Jahren Ben, den damaligen Freund von Miriam, umgebracht und Nicky – einmal mehr aus Versehen – die Geschichte erzählt. Und der erpresst ihn jetzt. „Leiht“ sich Geld, das er nie zurückzahlt, bezahlt bei gemeinsamen Essen nicht und will jetzt sogar eine Weltreise machen, zu der er natürlich wieder einen Zuschuss braucht. Was für ein Glück, dass Nicky bei einer Wanderung mit Harry einen tödlichen Unfall hat.

Außerdem wohnt Harry zwar wieder mit Miriam zusammen, aber auch mit dem Kriminalkommissar Oswald Skokan, der ihn damals verdächtigt und verhört hat. Der ist nämlich inzwischen mit Harrys Mutter Annie zusammen und macht ein Sabbatical, ist also ständig da und geht Harry auf die Nerven. Und Harrys Beziehung mit Miriam funktioniert nicht so recht; sie streiten sich ständig und machen deshalb eine Therapie. Dann sein Flirt mit Sylvia. Und seine Angst, dass doch noch rauskommt, dass er Ben Goertz ermordet hat.

Schließlich geht auch noch das Antiquariat, das Miriam in dem Rheingaudorf eingerichtet hat, in dem sie auch wohnen, noch vor der Eröffnung in Flammen auf. Der Weinberg von Oswald und Annie wird verwüstet, nachts steht ein Mann in einer düsteren Ecke auf dem Hof und Harry wird von einem dunklen Auto verfolgt.

Immer Ärger für Harry. So erzählt es jedenfalls die Glauser-Preisträgerin Christiane Geldmacher in ihrem zweiten Roman, der Fortsetzung des grandiosen „Love@Miriam“, dem ersten Facebook-Krimi in der deutschen Literaturgeschichte. In „Willkommen@daheim“ hat Harry mit den späteren Folgen seiner Tat zu kämpfen. Nicht nur, dass er manchmal Alpträume hat. Er muss auch erfahren, dass jemanden umzubringen Konsequenzen hat. Dass ein Verdacht nicht so schnell verschwindet. Dass eine Lüge weitere nach sich zieht.

Sein größtes Problem aber ist, dass er dumm ist. Ungeschickt. Ein ausgemachter Trottel. Nicht in seinem Beruf, denn da schafft er es, neue, wichtige und einflussreiche Kunden zu akquirieren und seinen Chef mit innovativen Ideen zu begeistern – so initiiert er das Projekt „Rheinland-Pfalz an Belgien“, das sofort viral geht und in allen sozialen Medien auf ein großes Echo trifft. Nein, Harry schafft es weder, mit Miriam ins Reine zu kommen, noch klar zu denken: Er verstrickt sich in derart abstruse Lügengeflechte, dass man sich beim Lesen ständig vor den Kopf schlägt und ihn schütteln möchte. So sagt er seinem Therapeuten, er heiße Michael und seine Freundin habe ein Lebensmittelgeschäft, verplappert sich aber schon in der zweiten und dritten Stunde. Er behauptet, Nicky wäre abgereist und schicke ihm Mails von seiner Weltreise, obwohl er wissen oder zumindest fürchten müsste, dass man ihn und seine Papiere finden wird und dann wahrscheinlich auch herausbekommt, dass er längst tot ist. Er vergisst, Nickys teure Uhr und sein Smartphone zu vernichten, sodass Miriam sie findet. Er nimmt Maßanzüge von ihm mit – auch die findet Miriam. Er vergisst die Wanderkarte im Leihwagen – Nickys Name steht drauf. Und er lügt derart ungeschickt und verhält sich so unmöglich, dass Miriam einfach misstrauisch werden muss.

Da Geldmacher den Roman aus der Ich-Perspektive erzählt kann man Harrys verworrene Gedankengänge sehr gut mitverfolgen. Wie schlau er sich findet; wie er immer wieder ganz erstaunt ist, welche Fehler ihm unterlaufen; wie er in seinem Hamsterrad immer hektischer wird; und wie ihm am Schluss doch alles gelingt, sogar seinen mysteriösen Verfolger, Bens misstrauischen Vater, in den Abgrund fahren zu lassen und es zum Selbstmord zu erklären.

„Willkommen@daheim“ (Harrys neues Passwort und ein ironischer Hinweis auf seine verkorkste Wohnsituation) ist ein witziger Roman über unsere Alltags- und besonders unsere Liebeskommunikation. Die funktioniert nämlich oft nicht, wenn Menschen ihr seelisches Gepäck weiter mit sich herumschleppen und verstecken müssen. Der andere aber ahnt, dass da ein Päckchen ist, dass er aber nicht wissen darf oder soll, was für eines. Die Szenen des sich aufschaukelnden Missverstehens beherrscht Geldmacher so gut wie Loriot, ihre Dialoge gehören zum Leichtesten und gleichzeitig Geschliffensten, was die deutsche Krimiszene heute zu bieten hat. Aber man sollte sie wegen ihres hintersinnigen Humors nicht unterschätzen: Geldmachers Diagnose ist oft so bitter wie der Kaffee, den Sylvia so unerbittlich charakterisiert. Dass Harry ein Chauvinist ist, macht sein Leben mit der selbständigen Miriam nicht einfacher, denn natürlich lässt sie sich vieles nicht bieten. Wieso sie mit ihm zusammen ist, bleibt allerdings ein Rätsel. Aber eigentlich sind alle Beziehungen in diesem Roman rätselhaft, und fast alle Personen schwer erträglich.

Doch Geldmacher schafft es, den Personen Leben einzuhauchen, die Atmosphäre ist dicht und genau, die Sprache ist flott und schlank. Und viele Details aus dem Leben dieser normalen, seltsamen Menschen, die die Autorin erzählt, sind so abstrus, dass man Angst bekommt, es könnte sie wirklich geben. Wie der Extralack eines Tiroler Geigenbauers, mit dem Nicky die Schaltplatinen seiner Stereoanlage bestreicht. Oder die Lautsprecherkabel, die ohne Fußbodenkontakt auf Porzellanträgern über das Parkett gelegt sind und so Resonanzstörungen verhindern. Oder der Generator, der „unverfälschten Strom erzeugt: Der Strom, der ungefiltert aus der Steckdose komme, sei nicht rein genug. Er sei verschmutzt von Störfrequenzen, dem neuesten Feind im Hörgenuss.“

Sind wir Menschen so abstrus? Geldmacher scheint es zu glauben. Der Rezensent inzwischen auch.

Titelbild

Christiane Geldmacher: Willkommen@daheim.
Bookspot Verlag, München 2016.
208 Seiten, 14,80 EUR.
ISBN-13: 9783956690426

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