Zwischen Ruhm und Elend

Mircea Cărtărescus gewitzte Erzählungen von der literarischen Existenz ohne Garantien

Von Holger EnglerthRSS-Newsfeed neuer Artikel von Holger Englerth

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„In der literarischen Welt kommt es nicht darauf an, was du bist oder tust, sondern darauf, wie du von den anderen gesehen wirst.“ Dieser Satz aus einer von drei Erzählungen aus dem neuen Buch von Mircea Cărtărescu verrät den beinahe literatursoziologischen Ansatz, der sich hinter seinen leicht und flott erzählten Geschichten verbirgt: Der Schriftsteller ist nichts ohne den Blick der anderen, nur im Zusammenspiel (oder im Widerstreit) mit ihnen kann er wirken, wobei die Blicke selbst immer in Bewegung bleiben. „Und dieses Bild, zumeist grotesk, immer aber falsch und ganz gewiss vereinfacht, wird dir von Freunden wie Gegnern während eines lebenslangen gemeinsamen Daseins sorgfältig angepasst.“

Wenn nun Cărtărescu in seinem Erzählband Die schönen Fremden einen Erzähler unter seinem Namen auftreten lässt, der noch dazu auch in seinen biografischen Eckdaten mit ihm übereinzustimmen scheint, so stellt er seinen LeserInnen schon die erste Falle – so stark die Versuchung auch sein mag, die Erzählungen autobiografisch zu lesen, handelt es sich doch nie um schlichte Autobiographie. Stattdessen gesellt sich zum Blick der „Freunde und Feinde“ der des Autors selbst. Und ist dabei nicht weniger „grotesk“ und „falsch“ als der der anderen, vor allem aber ziemlich ironisch. Eine gute Figur macht der Cărtărescu der drei Geschichten wirklich nicht, so wenig sogar, dass eine Rezensentin des Buches ihre Abneigung gegen den Erzähler gleich nahtlos auf den Autor übertragen hat – und dem Autor damit in die Falle ging.

Bereits in Anthrax, der ersten Geschichte des Bandes, erweist sich der Erzähler als ein mit paranoider Phantasie ausgestatteter Schriftsteller, der – warum auch immer – im weißen Pulver, das aus einem ihm zugesandten Schreiben rieselt, den titelgebenden Giftstoff vermutet. Der Gedanke, vielleicht bereits einem sicheren Tod geweiht zu sein, löst dabei zuallererst die Sorge um seinen Nachruhm aus:

„Auf dem ganzen Heimweg stellte ich mir die Kulturseiten der morgigen Zeitungen mit der Anzeige vor, in der meine Verdienste aufgelistet würden, mit den Artikeln meiner schmerzhaft betroffenen Freunde. Da ich mich in einem Konflikt mit dem Schriftstellerverband befand, würde man mich auch nicht an einem einigermaßen anständigen Ort aufbewahren. Sei’s drum, ich wollte keinen teuren Sarg, Teppiche und Fackeln, hierin war ich mit Eminescu einig. Besser, ein paar geflochtene Zweige und ein paar Sterne…“

Selbst nach dem Tod erweist sich so die Schriftstellerexistenz als eine von Inszenierungen abhängige.

Die Erzählungen Cărtărescus nehmen die Beziehungen des Autors zu verschiedenen Institutionen in den Blick; es geht eben nicht um das einsame Genie, sondern um den Schriftsteller im literarischen Feld, ganz im Sinne Pierre Bourdieus. In Anthrax steht dabei vor allem die staatliche Gewalt im Vordergrund, sucht der Autor doch zusammen mit seiner Frau Hilfe bei der Polizei. Die Erlebnisse im Präsidium sind dabei so kafkaesk, dass Cărtărescu folgerichtig gleich selbst auf den Namen des Prager Schriftstellers verweist. Die Anti-Terror-Einheit erweist sich als unterbesetzter Idiotenhaufen, der keine Gelegenheit auslässt, das Machtgefälle zum Bittsteller hin klarzustellen. Bedrohlich allerdings wirken die Beamten dabei nicht, der Terror staatlicher Gewalt aus Ceaușescus Zeiten scheint der Lächerlichkeit einer universalen dysfunktionalen Verwaltung gewichen zu sein.

Mit der titelgebenden Erzählung Die schönen Fremden (Oder Wie ich ein Dutzendautor wurde) wendet sich der Autor dem Literaturbetrieb zu. Die „Belles Etrangeres“ sind die Teilnehmer einer gleichnamigen Initiative des Französischen Kulturministeriums, in der einmal jährlich eine Gruppe von Schriftstellern aus einem zuvor bestimmten Land auf Lesereise geschickt wird. Die damit verbundene Aufgabe der nationalen Repräsentanz   wird vom Erzähler schon gleich zu Beginn durch die Schilderung mannigfacher Ab- und Zuneigungen zu den ausgewählten KollegInnen ad absurdum geführt – dem erwünschten Bild von nationaler Einigkeit wird ein komplexes Beziehungsgeflecht gegenübergestellt, in dem sich der Erzähler als äußerst wertungsfreudig erweist: „Die Ausgewählten für Frankreich waren recht gut, nun ja, weder der Schriftstellerverband noch das damalige Kulturinstitut oder gar eine Kritikerjury hatte die Auswahl getroffen, sondern sie, die Franzosen, die es besser verstanden.“ Dass damit keineswegs die heile Welt im Literaturbetrieb angebrochen ist, wird jedoch auch schnell klar: Bereits die Dreharbeiten zum Film, der die Schriftsteller auf ihrer Reise begleitet und erst recht das fertiggestellte Produkt machen die Problematik von Literatur- und Kulturvermittlung nur allzu deutlich.

Die Geschichte Rumäniens wird auf die Revolution 1989 und die Hinrichtung Ceaușescus eingedampft und reduziert, als gäbe es darüber hinaus nichts zu erzählen. Das Gedankenspiel des Erzählers, ebenso mit der französischen Geschichte zu verfahren, das heißt nichts anderes als den Fall der Bastille und das „Weib mit nackten Titten, das die Massen anführt“ zu zeigen, um französische Autoren vorzustellen, lässt die Hierarchisierungen und unterschiedlichen Wertungen zwischen den Ländern hervortreten. „Warum, so frage ich mich, haben die einen ein Recht auf Normalität und Modernität und andere nur auf pittoreske Geschichte? Warum bindet man uns immer wieder Ceaușescu an den Hals und ertränkt uns damit in der Seine, in der Themse und im Potomac?“ Dieses Bestehen auf der Eigenständigkeit – in einem weiteren Sinne vielleicht sogar auf der Freiheit – der Literatur bildet sich gerade in der Erzählung Die schönen Fremden auch im Formalen ab, denn Cărtărescu pflegt die Abschweifung in treuer Nachfolge von Lawrence Sterne. Bis zur eigentlichen Abreise dauert es ein gutes Viertel des Textes – und selbst danach bieten die verschiedenen Stationen immer wieder Anlass, die Gedanken schweifen zu lassen. Lesungen in Gefängnissen und Psychiatrien mit ihren absurden Details, Lektoren, die Texte verhunzen, Leichenzüge, die an Lesungen vorbeischreiten, mörderische lokale Gerichte, wie Haxen mit Bohnen, stille, aber umso erbittertere Kämpfe um die Heizung in Amsterdam – der Autor ist nicht gewillt, sich festlegen zu lassen. Dies geht einher mit Immunisierungsstrategien, indem er dem Offensichtlichen seiner Erzählungen die Offensichtlichkeit abzusprechen scheint, und seine Texte vor den LeserInnen zu schützen trachtet: „Ich liebe das Wort ‚Abschweifung‘ wahnsinnig, das die Kritiker, vor allem die jüngeren und etwas minder bemittelten, häufig und mit einigem Eifer meinen Büchern anheften.“ Da bedarf es auf – ‚minder bemittelter‘ – Rezensentenseite dann der Sturheit, sich vom Erzähler nicht das Offensichtliche ausreden zu lassen.

Wie nebenbei schreibt Cărtărescu eine kleine Geschichte der gegenwärtigen rumänischen Literatur, etwa wenn er sich an seine Anfänge erinnert, als er sich zusammen mit Ion Mureșan, Nino Stratan und Traian T. Coșovei wie die Fab four von der Dâmbovița vorkam: „Wer wird jemals die Geschichte jener Jahre schreiben? Niemand, nehme ich an.“ Und auch hier legt der Erzähler falsche Fährten, ist doch bereits in seiner Klage eine Historisierung der rumänischen Postmoderne angelegt.

Mit der letzten Geschichte Wie in Bacovia begibt sich der Erzähler auf eine wahre Höllenfahrt in die rumänische Provinz, die die überhöhten Träume vom schriftstellerischen Ruhm an einer – sichtbar ebenso überzeichneten – Karikatur von Literaten auf dem Lande zerplatzen lässt. Am Schriftsteller wird ein absurdes ‚Ehrenprogramm‘ vollzogen, das ihm nichts als Hunger, Kälte und Schlafentzug einbringt. Literarisches Leben scheint hier auf absurde Weise lebensgefährlich, doch der Witz liegt in der wiederum offensichtlichen Satire des Stadt-Land-Konfliktes, in dem der ‚zivilisierte‘ Erzähler jedes bösartige Klischee der Provinz über sich ergehen lässt – und dem nichts entgegenzusetzen weiß.

Den Erzählband als „Einstiegsdroge“ in Cărtărescus Werk anzupreisen, wie es der Hanser Verlag tut, birgt die Gefahr, beim zweifellos vorhandenen Witz der Texte hängenzubleiben und die Erzählungen als ungeschminkte Selbstzeugnisse des Autors zu lesen. Doch Cărtărescu ist ein viel zu raffinierter Erzähler, um seine Leser nicht immer wieder in neue Fallen zu locken, und das Vergnügen steigert sich geradezu, je misstrauischer man dem Erzähler begegnet. Die scheinbare Bloßlegung der Details einer literarischen Existenz bleibt immer Literatur als Erzählung, also als wahre Lüge oder gelogene Wahrheit – selbst wenn der Autor das offenbare Spiel nach den Regeln der Macht, bestimmt von dem, wie die anderen einen sehen, wieder für sich zurückerobert, indem er seinen Blick hinzufügt.

Titelbild

Mircea Cartarescu: Die schönen Fremden. Erzählungen.
Übersetzt aus dem Rumänischen von Ernest Wichner.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2016.
304 Seiten, 21,90 EUR.
ISBN-13: 9783552057647

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