Das fliegende Blockseminar

Ein studentischer Blick auf Annette Pehnts „Hier kommt Michelle“

Von Emily JeuckensRSS-Newsfeed neuer Artikel von Emily Jeuckens

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Prolog: Michelle schweift ab. Die Erzählstimme schweift ab. Der wissenschaftliche Forschergeist ist abgeschweift, auf dass die verstaubten Flure europäischer Universitäten durchgewischt und die blütentreibenden Orchideenfächer für den kalten Winter des Neoliberalismus zurechtgestutzt werden konnten. Also soll auch hier ein Blickwechsel erlaubt sein, ein Blick von der Rezension aufs triviale Vorabendprogramm: Als Reaktion auf erfolgreiche, aber in ihrer Sinnhaftigkeit fragliche TV-Formate wie „Schwiegertochter gesucht“ ist ein Dunstkreis an zynischer Feuilleton-Berichterstattung entstanden, der die schambefreiten Darsteller ein weiteres Mal öffentlich mit Schmähungen versieht: Sich an sprachlicher Gewitztheit überbietend, kommentieren namhafte Redakteure das mediale Dschungeltreiben und liefern so auch denjenigen hämische Lacher, die die fraglichen Sendungen nicht verfolgen. Medienwissenschaftlich mag dieser Kreislauf aus selbstreferentieller Verwertung von B-Prominenten und feuilletonistischer Aufbereitung nicht allein des Gesehenen, sondern auch der Reaktionen auf jenes in sozialen Medien interessant sein. Besonders würdevoll ist beides nicht.

Leider verhält es sich mit Hier kommt Michelle von Annette Pehnt − einem rot geprägten Bändchen, das es 2012 in den Piper-Verlag geschafft hat und noch dazu eines der seltenen Exemplare der Gattung „Campusroman“ ist – ähnlich. 138 Seiten lang verfolgt der Leser das modularisierte Schicksal der blonden, unbedarften Michelle, einer Lehramtsstudentin mit Hang zu „Irgendwas mit Medien“. Doch in den Strudeln des universitären Alltags verfangen sich nicht nur ihre KommilitonInnen, sondern auch neurotische Mittelbau-AnglistInnen, beinahe arbeitslose Keltologen und in ihrer Work-Life-Balance unausgeglichene Hochschulpressesprecher.

Lebensmittelpunkt der stets verwirrt-desinteressierten Heldin ist das zu Beginn des Studiums gefundene WG-Zimmer: eine Oase des modernen Biedermeier (Putzpläne & Spieleabende), die nur kurzfristig durch die Untermieterquerelen mit ihrem kiffenden, Gedichte rezitierenden Ex-Freund Manuel gestört wird. Hier schreibt Michelle aus Büchern, die sie nicht gelesen hat, Hausarbeiten zusammen, die trotz liebevollen Layouts schlecht benotet werden. Hier sinnt sie über ETCs und Auslandsaufenthalte nach und lässt sich nach amourösen und wissenschaftlichen Rückschlägen von ihren Mitbewohnerinnen trösten. Zu dieser Entourage gehören stets besorgte Eltern, die den universitären Erfolg der Tochter vom Frühstückstisch weg einklagen möchten, sowie dauerprotestierende Langzeitstudenten.

Wäre Hier kommt Michelle nicht so schmerzhaft lebensnah, wäre es absurd lustig. Wäre es absurd lustig, könnte man dem Text seine brutalen Klischees verzeihen. Und wäre es nicht so schmerzhaft lebensnah, wäre der hämische Ton der Erzählstimme nicht mehr als ein seltsames Stilmittel. Doch Pehnts Text sorgt für ein mitunter ungesund alternierendes Kopfnicken und -schütteln.

Denn einerseits enthält der Roman mehr Wahrheiten und Einblicke in den universitären Alltag nach der Bologna-Reform als alle Analysen des Generation-Y-Studenten und Campusreportagen des deutschen Journalismus zusammen: Michelle ist die Durchschnittsstudentin schlechthin. Sie ist ein ideales Abziehbild der Hilflosigkeit, mit der viele der 2,7 Millionen KommilitonInnen vor den Anforderungen der Institution „Hochschule“ stehen, wo zwischen Gruppenarbeiten und wöchentlichen Karriere-Messen in Regelstudienzeit wissenschaftliche Neugier und emotionale Bildung wachsen sollen. Sie ist in ihrem Mangel an Forschergeist der Albtraum aller engagierten Dozenten des Mittelbaus und das von Professoren belächelte kleine Licht. Ihre Unmündigkeit ist nicht nur selbstverschuldet und omnipräsent, sondern zuweilen auch schwer zu ertragen.

Die süffisanten Kommentare der Erzählstimme, welche die seichten Gefühlswelten der Protagonistin ironisch untermalt, führen zu einem noch kläglicheren Bild, das die als „blond, hübsch und zutraulich“ bezeichnete Michelle in ihren vier Modulen abliefert. Die Lächerlichkeit ihrer akademischen Irrfahrten vertieft sich in einem Auslandssemester in Glasgow und ihrer Hilfskrafttätigkeit am Lehrstuhl eines als grenzsenil dargestellten Linguisten eines zweifelhaften Forschungsfeldes. „Es wäre ein Leichtes, sich nun über sie zu amüsieren, die kleine Michelle, die alles richtig machen will“, so die Erzählerin zu Beginn. Doch bei aller verneinten chauvinistischen Arroganz dem talentfreien jungen Mädchen gegenüber passiert doch genau das: ein stetes Verlachen der Naivität und des Dilettantismus.

Zur Ehrenrettung der Studentin tragen in ihrer überspitzten Dramatisierung nur die klischeebeladenen Hochschulangehörigen bei: Vom egomanischen, reformversessenen Hochschulrektor über einen sadistischen Personalchef bis hin zur selbstgefälligen, studenten-verachtenden Lehrbeauftragten – kein noch so hölzernes Klischees wird gescheut, um die Widersinnigkeit des akademischen Status quo aufzuzeigen.

Das kann lustig sein, auch die lässige, hypotaktische Sprache der Erzählerin sorgen für einen großen, einen „diebischen“ (Badische Zeitung) Spaß, den dieser vor böser Ironie triefende Einblick in eine deutsche Hochschule nach der Bologna-Reform durchaus hervorrufen kann. Interessant ist auch die Weigerung der Autorin, sich den empörten Duktus der Reformgegner aufzwingen zu lassen, und stattdessen einen eigenen, zwinkernden Blick auf die Absurditäten des Hochschulalltags zu entwickeln. Das surreal gehaltene Ende entlohnt den Leser sogar beinahe für die vorangehenden, allzu klischeebeladenen Seiten. All das macht Hier kommt Michelle zu einem schwarzhumorigen, wenn auch stereotyp geratenen Lesevergnügen.

Doch andererseits steht diesem positiven Fazit der stets spöttelnde Ton der Erzählstimme entgegen, der sicherlich den größenwahnsinnigen Rektor ebenso karikiert wie die großäugige Protagonistin. Und doch heißt der Roman nicht Hier kommt Klaus Maurer – Titelheldin und damit Zielobjekt der größten Häme bleibt die blonde Katzenfreundin, deren Interessenschwerpunkt auch nach mehreren Semestern eher auf ihrem Ex-Freund liegt als auf der korrekten Verwendung von Fußnoten. „Wie hat so eine es überhaupt an die Uni geschafft“, rümpfen da Mittelbau und LeserIn unisono die Nase. Die Antwort liefert der Roman gleich mit: dank des unbedingten Reformwillens des narzisstischen Rektors, der allen Schulabgängern ein Hochschulstudium ermöglicht.

Ein kleiner, satirischer Roman von 138 Seiten muss und kann kein Manifest der Gleichberechtigung und der sozialen Mobilität sein – und doch stimmt die Boshaftigkeit, mit der die offenbar genetisch veranlagte Studienuntauglichkeit der Protagonistin bedacht wird, nachdenklich. Michelle mag unerfahren, naiv, tollpatschig sein und sie mag Porzellankatzen lieber als Büsten alter Gelehrter. Sie kann den Ratschlag der gestressten Dozentin nicht ernst nehmen, die ihr eine Ausbildung ans Herz legt, was aus volkswirtschaftlicher Sicht vielleicht sinnvoller wäre – auch weil ihre Schulbildung scheinbar einzig auf das Ziel des Studiums ausgerichtet war. Michelle ist das lebende Beispiel für das Scheitern einer großen Reform, die an einer verunsicherten Generation durchgeführt wurde. Doch die daran beteiligten Eliten, zu denen auch eine Schriftstellerin zählt, die ihre Studenten während eines absurden Blockseminars zu kreativem Denken zwingt, lachen lieber über die wissenschaftlichen Fehltritte einer ungeschickten Blondine. Hier kommt Michelle webt zwar ebenso Seitenhiebe auf andere Mitglieder der Universität ein, doch der Grundtenor bleibt ein bitterer: Die Hochschule wird kaputtgespart zu Gunsten von Dummchen, die es nicht verdient haben zu studieren.

Als persönliche Meinung mag dies legitim, wenn auch zweifelhaft sein. Die Herangehensweise der Erzählstimme, aufgrund der Alltagsschwierigkeiten an einer Reformuniversität das schwächste Glied der Kette, die unbedarfte Michelle, dem Gespött auszuliefern, trübt den Lesespaß jedoch enorm. Man kann über die Protagonistin ebenso herzlich lachen wie über die Teilnehmer geschmacklich verirrter Vorabendprogramme – dass sie die leichtesten Opfer eines strukturellen Problems des Bildungswesens sind, sollte einem dabei allerdings bewusst sein.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Annette Pehnt: Hier kommt Michelle. Ein Campusroman.
Piper Verlag, München 2012.
138 Seiten, 8,99 EUR.
ISBN-13: 9783492300827

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