Wie der Fluch eines Märtyrers tausend Jahre später wieder Menschen umbringt

Christoph Ernsts Kriminalroman „Ansverus Fluch“ führt vom Slawenaufstand von 1066 bis zu tödlichen Verstrickungen in der Gegenwart

Von Hannah Varinia SüßelbeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Hannah Varinia Süßelbeck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mitte des elften Jahrhunderts, Christen und Heiden führen Krieg. Während des damaligen Slawenaufstands gegen den Vormarsch der christlichen Missionare wird der Abt des örtlichen Klosters, Ansverus, zusammen mit seinen Mönchen verschleppt und gesteinigt. Kurz vor seinem Tod, so heißt es, hat er alle Nachfahren seiner slawischen Peiniger verflucht. Ansverus wird heiliggesprochen und sein Märtyrertod dient Gläubigen auch 950 Jahre später als Grund, an den Ort seines Todes zu pilgern.

An dieser Nahtstelle zwischen zwei Kulturen und auf diesem historischen Unterbau siedelt Christoph Ernst seinen Roman an. Und gleich vorweg sei gesagt, dass das religiös sowie ethisch anspruchsvolle Thema der Christianisierung der Slawen sich nicht schwer über die Lektüre legt, sondern vielmehr das Fundament für spannende Querverweise in die Geschichte bildet. Ernst schafft es, für den geschichtlichen Hintergrund unaufdringlich Interesse zu wecken, hauptsächlich durch eine der zentralen Figuren des Romans  ­̶  Georg Fiedler. Dieser möchte die Geschichte des Slawenaufstands in der beschaulichen Kleinstadt Ratzeburg mittels eines alternativen Pilgerpfades aufarbeiten. Dieser setzt sich kritisch mit der Christianisierung der Slawen durch den Lokalheiligen Ansverus auseinander und möchte sie differenzierter beleuchten. Als während der Bauarbeiten für den Pfad eine Frauenleiche auftaucht, sind die Folgen und die Tragweite dieses Fundes nicht absehbar.

Die Tote stellt sich als Slawin heraus, die bereits im 11. Jahrhundert, etwa zeitgleich mit Ansverus, starb und in einem nun wieder freigelegten Brunnenschacht begraben wurde. Eine Woche später findet sich an gleicher Stelle eine zweite Leiche. Die Polizei findet die Tatwaffe schnell: ein Hammer von Georg Fiedler. Die Kriminalpolizei glaubt nicht an Fiedlers Unschuld, er kommt in Untersuchungshaft. Seine Anwältin schaltet den Privatermittler Jacob Fabian ein. Dieser ist von der Unschuld seines Freundes überzeugt und beginnt umgehend zu ermitteln. Gerade hat Fabian sich dem Fall angenommen, da werden weitere Unglücksfälle vermeldet. Menschen in der Umgebung sterben, die keine Verbindung mit einander oder der toten Slawin zu haben scheinen. Handelt es sich bei diesen Todesfällen um zufällige Ereignisse oder bestätigt sich tatsächlich 950 Jahre nach seinem Tod der Fluch des Ansverus?

Während der Ermittlungen verstrickt sich Fabian, gemeinsam mit einem aufgeschlossenen Priester, der den alternativen Pilgerpfad unterstützt, immer weiter in die Geschichte. Die beiden tasten sich in die Welt des 11. Jahrhunderts vor. So stoßen sie schließlich auf die sogenannte Ansverus-Bruderschaft, einen evangelischen Orden, der zu Zeiten des Slawenaufstands Angst und Schrecken verbreitet haben soll. Außerdem soll diese Bruderschaft auch noch nach dem Zweiten Weltkrieg Nazi-Verbrecher aus Deutschland herausgeschafft haben. Was zuerst wie ein Ammenmärchen wirkt, wird schnell realistischer, als Fabian und seine Familie selbst bedroht werden. Je intensiver der Privatermittler die immer gefährlicher werdenden Spuren verfolgt, umso deutlicher zeichnet sich die bedrohliche Erkenntnis ab, dass Fiedler mit der toten Slawin nicht nur eine Leiche, sondern alte, verdrängte Geschichten ausgegraben hat.

Durch die Ich-Perspektive und die häufigen Selbstgespräche des Ermittlers wird die verworrene Geschichte anschaulich erzählt. So setzt sich die historische Dimension des Romans für die Lesenden ebenso wie für den Ermittler erst allmählich zusammen. Dadurch dienen die vielen Zeitsprünge und der zeitgeschichtliche Rahmen als spannungstragendes Moment. Leider gerät die im Grunde raffiniert angelegte Spannung immer wieder ins Wanken. Denn Ernst nennt in seinem historischen Panorama häufiger Elemente, die nach einmaliger Nennung keine Rolle mehr spielen. Einige der so entstehenden Leerstellen bleiben am Ende des Romans bedauerlicherweise offen und unterstützen daher weder die Handlung noch den Spannungsbogen.

So wirkt beispielsweise die beschriebene Verbindung der Ansverus-Bruderschaft zu den Nazis eher wahllos und effekthascherisch als tatsächlich aufschlussreich. Die Nazis haben mit der Handlung ebenso wenig zu tun wie die italienischen Mafia, die gegen Ende des Romans ebenfalls auftaucht, um die Drecksarbeit zu übernehmen. Diese archetypischen inhaltlichen Elemente sind für die Narration nicht notwendig und stiften eher Verwirrung, als zur Lösung des Kriminalfalls beizutragen.

„Ansverus Kreuz“ ist ein hartgesottener Heimatroman mit norddeutschem Kolorit, der Elemente eines typischen Historienkrimis aufweist. Die kontrovers diskutierte Thematik der Christianisierung und die rätselhaften Todesfälle wecken Interesse, das leider durch Langatmigkeit getrübt wird, da die Spannungskurve durch die genannten Unstimmigkeiten und Leerstellen zuweilen aus dem Blick gerät.

Titelbild

Christoph Ernst: Ansverus Fluch. Kriminalroman.
Leda Verlag, Leer 2016.
368 Seiten, 10,99 EUR.
ISBN-13: 9783864120930

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