Drei Geständnisse, aber nur ein Mörder

Bei Keigo Higashino funktionieren Rätselkrimis noch wie zu Agatha Christies besten Zeiten

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kann es etwas Schöneres geben, als auf dem Weg zum Traualtar zu sterben? Voller Hochgefühl und einen Partner an seiner Seite wissend, von dessen Liebe über den Tod hinaus man überzeugt ist? Natürlich kann es das – zum Beispiel, wenn man die Zeremonie überlebt und tatsächlich alles so kommt, wie man es sich erhofft hat. Im Falle des Schriftstellers und Drehbuchautors Makoto, der tot zusammenbricht, als er sich gerade anschickt, die berühmte Lyrikerin Miwako vor den Traualtar zu führen, liegen die Dinge allerdings ein bisschen anders.

Er ist nämlich nicht der Erste, den ein tödliches Gift dahinrafft. Bereits am Vorabend der Hochzeit hat es ein Opfer gegeben. Makotos Ex-Freundin nahm sich aus Kummer über seine Untreue im Garten hinter seinem Haus das Leben. Mit dem gleichen Gift, das nun auch für seinen qualvollen Tod verantwortlich zu sein scheint. Schnell steht fest: Die Substanz wurde dem Allergiker von einem Menschen, der Zugang zu seiner Medikamentendose besaß, untergeschoben. Aber wer hat den teuflischen Plan gefasst und skrupellos ins Werk gesetzt? Junko Namioka, die betrogene Ex, bevor sie sich selbst tötete? Oder besaßen auch andere ein Motiv für die Tat?

Ein Fall, der wie gemacht ist für Keigo Higashinos Kommissar Kaga. Deutsche Leser kennen den Helden des 1958 in Osaka geborenen japanischen Bestsellerautors bereits aus dem Roman „Böse Absichten“ (2015). Auch der spielte im Intellektuellenmilieu, unter Schriftstellern, deren Freunden und Neidern. Was an dem Buch besonders auffiel: schnörkelloses  Erzählen und etliche Wendungen, die Miträtselnde aufs Schönste zu verwirren verstanden. In „Ich habe ihn getötet“ übertrifft sich der Autor sogar noch in dieser Manier.

Erneut werden der Fall und seine Auflösung aus unterschiedlichen personalen Perspektiven erzählt. Diesmal sind es just jene drei Personen, die ein Motiv und die Gelegenheit hatten, den bekannten Autor zu töten, deren Sicht auf die Dinge der Leser ausgeliefert ist. Vorsicht scheint dabei von Anfang an geboten, denn einer der drei muss schließlich der Täter sein.

Takahiro Kanbayashi, Bruder der Braut und auf inzestuöse Weise an Miwako gebunden, hatte wohl wenig Interesse, seine Schwester an einen Mann zu verlieren, dem er nicht über den Weg traute. Auch Naoyuki Suruga, Makotos Manager und Mann für alle Fälle, sah sich nicht unbedingt als dessen Freund. In die Ex seines Meisters verliebt, ehe die sich für den schillernden Romancier und Filmemacher entschied, sorgte ihr Suizid dafür, dass in dem unterwürfigen Mann Rachegedanken aufblitzen mussten. Und schließlich ist da als Dritte noch Kaori Yukizasa. Bei ihr handelt es sich um eine abgelegte Flamme des unersättlichen Makoto. Als dessen Lektorin hat sie ihm Miwako, deren Werke sie ebenfalls betreute, einst vorgestellt. Alle drei teilen sich dem Leser abwechselnd und anscheinend in völliger  Offenheit mit. Und schnell ist klar: Sie alle waren genauso abhängig von Makoto wie sie ihn hassten.

Für Kommissar Kaga ist das natürlich ein Fest: drei Verdächtige mit erstklassigen Motiven.  Der messerscharfe Verstand, mit dem der Mann begabt ist, bekommt bei dieser Konstellation mehr als genug zu tun. Harmlos wie der auch in Japan nicht unbekannte Serienkommissar Columbo tritt er auf – und weiß genau, in wessen literarische Fußabdrücke er tritt: „Man kommt sich vor wie bei Agatha Christie. Die Verdächtigen versammeln sich um einen Detektiv, und er präsentiert die Lösung.“

Für die hat sich Keigo Higashino dann freilich noch etwas Besonderes ausgedacht. Denn er lässt seinen Kommissar den Fall zwar lösen, gibt aber auch dem Leser die Chance, die verschlungenen Gedankenwege des Kriminalisten bis an ihr logisches Ende nachzuvollziehen. Wer dazu in der Lage ist, dem braucht der Name des Mörders schließlich gar nicht mehr genannt zu werden. Wer dennoch Hilfe benötigt, muss zur Schere greifen und den letzten Buchteil, „Anleitung zur Lösung“ genannt, aufschneiden. In einem – fiktiven – Dialog zwischen Shinta Nishigami, dem tatsächlich existierenden Vorsitzenden der japanischen Gesellschaft der Kriminalschriftsteller, Mystery Writers of Japan (MWJ), und einem seiner Universitätsassistenten werden jene Texthinweise, hinter denen sich die Lösung um den Mord an Makoto Hodaka verbirgt, noch einmal ins Licht gerückt. Und danach sollte auch dem letzten Leser klar sein, mit welch genialen Tüftlern er es bei diesem Kommissar Kaga und seinem Erfinder zu tun hat.

Titelbild

Keigo Higashino: Ich habe ihn getötet. Inspektor Kaga ermittelt.
Übersetzt aus dem Japanischen von Ursula Gräfe.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2016.
352 Seiten, 14,95 EUR.
ISBN-13: 9783608983067

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