Als ‚hinterhältig‘ verachtet, aber gleichwohl ‚akzeptiert‘?

Niels Brandt erschließt ein anderes ‚Türkenbild‘ abendländischer Ritter während der Kreuzzüge

Von Jörg FüllgrabeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg Füllgrabe

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vorliegendes Buch ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Womöglich ist es eher ein Zufall, dass es gerade in einer aktuellen Phase erschienen ist, in der die politischen Beziehungen zwischen der Türkei und der Bundesrepublik nicht unbedingt als spannungsfrei zu bezeichnen sind, vielleicht aber steckt dahinter auch eine nicht ungeschickte Marketingstrategie. Niels Brandt geht in seiner Darstellung dezidiert auf diejenigen mittelalterlichen Quellen aus der Zeit der Kreuzzüge ein, die sich mit der Darstellung und Wertung türkischer Krieger im Zusammenhang mit jenen ‚bewaffneten Pilgerfahrten‘ befassen. Und dabei zeigt der Autor durchaus überraschende Perspektiven auf, blendet aber anderes dabei aus.

Vom gängigen Schema wissenschaftlichen Forschens weicht die Vita des Verfassers ab, der „nach einem Studium der mittelalterlichen Geschichte und der Rechtswissenschaft in mittelalterlicher Geschichte promoviert“ hat, aber nicht etwa als Historiker arbeitet, sondern als Richter im saarländischen Justizdienst tätig ist. Inwieweit diese juristische Tätigkeit möglicherweise auf die Struktur des Buches zurückgewirkt hat, soll später noch einmal diskutiert sein.

Zunächst jedoch zur Kernaussage des vorliegenden Buches: Offenbar, so Niels Brandt, war das Bild, das die Europäer von ihren moslemischen Gegnern hatten bezeihungsweise weitergaben, keineswegs so eindeutig negativ verzerrt, wie gemeinhin angenommen wird. Vielmehr überwiege die Wertschätzung der Gegner. Dieses Ergebnis, dessen argumentative Begründung bereits auf dem Schutzumschlag beschrieben wird, mag überraschen. Tatsächlich entwirft Brandt anhand des vorhandenen Quellenmaterials einen ‚anderen Blick‘. Verwunderlich ist dann allerdings die Wahl des Haupt-Titels, der – da kein Fragezeichen gesetzt ist – die gängigen Erwartungshaltungen eher bedient als hinterfragt, und doch will der Verfasser ganz Anderes darstellen.

Niels Brandt will den Blick auf zeitgenössische christliche Aussagen aus der Zeit der Kreuzzüge lenken und hierbei übersehene oder zumindest wenig bekannte Details zutage fördern. Demnach „überwiegt in den Kreuzzugschroniken eine hohe Wertschätzung der Türken […]. Sie war nicht allein dem ‚edlen Heiden‘ Saladin vorbehalten, sondern betraf in der Zeit zwischen 1095 und 1291 auch andere muslimische Befehlshaber und Krieger. Dass die Türken ebenfalls beritten waren, machte es ihren Gegnern möglich, sie als Standesgenossen zu betrachten“, so bereits auf der Buchrückseite zu lesen. Die Argumentation leuchtet zwar ein, ist aber insofern zumindest etwas irritierend, als nicht erst seit den Tagen der Kreuzzüge in der europäischen Tradition die Bewertung von fremden, asymmetrischen Kampftechniken, generell das Kämpfen auf Distanz, als feige und bisweilen auch dezidiert hinterhältig beschrieben ist. Hunnen und später Mongolen etwa wurden nicht zuletzt aufgrund ihres Einsatzes berittener und damit extrem beweglicher Bogenschützen gar in die Nähe des Teufels gestellt. Nun ist diese Art der Kriegsführung intensiv von arabischen und eben auch türkischen Truppen ausgeübt worden, so dass die Bewertung dieser Gegner als ebenbürtige Standesgenossen zunächst überrascht. Dies gilt umso mehr, als Brandt darauf verweist, dass selbst bei innerchristlichen Auseinandersetzungen gefangene Bogenschützen – im Unterschied zu ‚normalen‘ Fußsoldaten – häufig exekutiert wurden, was kaum auf eine standesgemäße Wertschätzung schließen lässt, wenngleich natürlich die europäischen Bognertruppen als nicht adelig und unberitten keineswegs als standesadäquat angesehen wurden. Offenbar war auch die Bewertung des moslemischen Gegners, so Brandt, abhängig von der jeweiligen Rahmensituation des Kampfes; das Bild des Gegners in der Beschreibung von Belagerungen und ‚offenen Feldschlachten‘ wurde demgemäß unterschiedlich gewertet.

Aber der Reihe nach: In insgesamt zehn Schwerpunktkapiteln werden zum einen grundsätzliche Fragen in Bezug auf das Verhältnis zwischen Christentum und Islam beziehungsweise der Wertung der jüngsten monotheistischen Religion durch christliche Autoren dargestellt. Zum anderen werden spezifisch auf die Realität des Kriegerischen bezogene Positionen christlicher Chronisten dargestellt. Hier wird eine durch breite Literatur respektive Quellenbasis gestützte Darstellung unterschiedlicher Wertungsansätze der Position christlicher Exponenten unternommen.

Lesenswert sind insbesondere die Beschreibungen der militärischen, aber auch nachbarschaftlichen Verhältnisse zwischen Muslimen und Christen – geschickt formuliert etwa durch die Überschrift ‚normannische Ritter und türkische Prinzessinnen‘ – während der verschiedenen Kreuzzüge. Dabei, der Untertitel des Buches legt es ja auch nahe, wird der Akzent in erster Linie auf die Bewertung der türkischen Krieger gelegt. Bemerkenswert ist, dass in der ‚Gesta Francorum‘ diese als beste Ritter nach den Franken bezeichnet werden, was allerdings weniger einem ‚antigriechischen‘ Reflex zu danken sei, sondern ehrlicher Wertschätzung der militärischen Leistungen des muslimischen Gegners entspringe.  

Während Brandt in diesem Zusammenhang von einer authentischen Akzeptanz ausgeht, schreibt er die eindeutig negative Tendenz im Türkenbild des Ekkehard von Aura dessen Unkenntnis der tatsächlichen Verhältnisse zu. Da Ekkehard nur indirekte Informationen über Kriegsschauplätze und die gegnerische Kampfweise besessen habe, seien seine Darstellungen von Vorurteilen geprägt. Diese Interpretation ist naheliegend, aber nicht unbedingt zwingend – eine strukturelle Unschärfe, der sich auch im weiteren Argumentationsgang des Verfassers niederschlägt. Gerade in diesem Kapitel fällt ein Defizit des Buches ins Auge; Brandt verweist zwar stets auf christliche Quellen, es finden sich jedoch keine aussagefähigen Zitate. Hier vermute ich den juristischen Hintergrund des Verfassers, der an seinem Arbeitsplatz die einschlägigen Gesetzessammlungen in der Regel vorliegen hat. ‚Normale‘ und explizit auch studentische Leserinnen und Leser haben mit Sicherheit nicht immer die herangezogenen Quellen direkt zur Hand, was einen tieferen Einstieg ins Thema allein durch die Lektüre Brandts verwehrt.

Dass dann überdies noch der Wandel des Saladin-Bildes eine 30 Seiten umfassende Würdigung erfährt, nimmt dann doch wunder, zumal Brandt ja eigentlich abseits der wohlbekannten ‚Saladinromantik‘ arbeiten möchte. Das ambitionierte Unterfangen, eine unbeschadet kultureller Prägungen objektive Sicht auf das ‚Fremde‘, beziehungsweise im vorliegenden Falle die türkisch-muslimischen Gegner, erscheint mir schon angesichts des Umstandes problematisch, dass hier eben nicht vom zivilisationskritischen Gegenentwurf der (Post-)Aufklärung ausgegangen werden kann und somit die spätere Idealisierung des ‚edlen Wilden‘ im Mittelalter kein Pendant hat. So kann auch folgende, im Fazit verortete Aussage Brandts nur etwas ratlos zur Kenntnis genommen werden. „Ganz verschwand das Bewusstsein der Zeitgenossen für die religiösen Unterschiede aber nie. Bildlich gesprochen blieben die Religionsunterschiede zwischen Kreuzfahrern und Türken immer ein trennender Graben.“ Fast wäre ich geneigt hier ein Loriot’sches ‚ach was‘ zu artikulieren. Und die wenige Zeilen weiter unten formulierte Aussage, „abendländische Ritter und türkische Reiterkrieger trennte ein religiöser Graben, aber sie standen sich stets auf Augenhöhe gegenüber“, lässt sich eben nicht aus allen vorhandenen Quellentexten belegen.

Darin liegt meiner Ansicht das Problem des vorliegenden Bandes: Interessant und angesichts der oft re-rezipierten christlichen Negativ-Klischees gegenüber den islamischen Gegnern auch in überraschender Weise erweiternd, ist die Beweisführung Brandts zweifellos. Allerdings wird, die oben zitierten Ausführungen am Ende belegen es, das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Angebrachter wäre der Ansatz, eine differenziertere Rezeption des Gegners im Mittelalter zu schildern. Die ausschließliche Konzentration auf das Positive aber wird den vorhandenen Quellen nicht gerecht.

Gleichwohl machen die umfangreiche Bibliographie und das Orts- sowie Personenregister wieder Boden gut, so dass das vorliegende Buch als hilfreiche Ergänzung gängigerer Werke zu den Kreuzzügen seinen Wert besitzt. Ärgerlich ist, dass es im Buch keine Abbildungen gibt, lediglich den Titel ziert eine graphisch durchaus reizvolle, allerdings für die praktische Verwendung eher verwirrende, weil in Einzelsegmente zerlegte Darstellung von Kämpfen zwischen christlichen Rittern und ägyptischen Reitern aus der um 1255 entstandenen ‚chronica majora‘.

Das Buch ist sicherlich interessant, allerdings scheint mir der Titel mehr zu versprechen, als dann eingelöst wird, so dass auch der nicht ganz günstige Preis nicht unbedingt gerechtfertigt ist. Auch für den Kreis der am Großthema ‚Kreuzzüge‘ Interessierten oder Arbeitenden also ein durchaus starkes ‚Kann‘, aber kein zwingendes ‚Muss‘!

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Niels Brandt: Gute Ritter, böse Heiden. Das Türkenbild auf den Kreuzzügen (1095-1291).
Böhlau Verlag, Köln 2016.
405 Seiten, 55,00 EUR.
ISBN-13: 9783412503376

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