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Neu aufgelegt: Hugo Balls kleiner Roman „Flametti oder Vom Dandysmus der Armen“

Von Stefan HöppnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Höppner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hundert Jahre ist es her, dass der Dadaismus im Zürcher Cabaret Voltaire aus der Taufe gehoben wurde. Seine Absurditäten waren offenkundig und sie waren Programm. Es ging darum, die bürgerliche Kunst ebenso in Frage stellen wie den Krieg, in den ganz Europa mit wenigen Ausnahmen gezogen war. Ikonisch geworden ist der Auftritt von Hugo Ball als „magischer Bischof“ im geometrischen Kostüm aus lauter Röhren, in dem er sich kaum bewegen konnte, vor ihm der Notenständer mit Lautgedichten.

Dass dieses Foto als Titelbild für eine neue Hörbuchfassung von Balls Roman Flametti oder vom Dandysmus der Armen (1918) verwendet wird, liegt nahe. Trotzdem führt die Assoziation in die Irre. Flametti ist weder ein dadaistisches Buch noch ein Buch über Dada. Tatsächlich stieß Ball bei seinen Mitstreitern auf ausgesprochenen Widerwillen, als er ihnen sein Manuskript vorstellte – nicht das Sujet fanden sie degoutant, sondern dass Ball es wagte, eine klare Geschichte zu erzählen, also zurückzufallen in eben die Konventionen, die man hinter sich lassen wollte. Aber Dada war bei aller Radikalität nur eine Episode im Leben Balls, der 1886 in Pirmasens geboren wurde und als Kriegsgegner in die Schweiz übersiedelte. Schon 1917 ließ er den Zirkel der Dadaisten hinter sich und wurde schließlich zum streng katholischen Autor, der über das byzantinische Christentum arbeitete und 1927, kurz vor seinem frühen Tod an Magenkrebs, die erste Biographie seines Freundes Hermann Hesse schrieb – eine Freundschaft, der Eveline Hasler vor einigen Jahren ein literarisches Denkmal setzte.

Eine Parallele zum Cabaret Voltaire gibt es trotzdem: Auch in Flametti geht es um Künstler, die wenigstens mit einem Bein außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft stehen. Dies allerdings in der weniger angesehenen Welt des Varietés, in der Ball und seine Lebensgefährtin Emmy Hennings sich ein halbes Jahr als Pianist und Soubrette über Wasser hielten – eine Szene, der die Stones ein halbes Jahrhundert später mit dem vielgeliebten Exile on Main Street ihre Reverenz erwiesen. Max Flametti, der Titelheld des Romans, ist Direktor einer kleinen Truppe aus Damenimitator und Schlangenmensch, Jodlerterzett, Klavierspieler und Sängerin. Die Geschäfte gehen schlecht, Flamettis größte Aufgabe als Manager ist es, das Überleben der Beteiligten zu sichern, und wenn er dafür in der Limmat angeln und seinen Fang verkaufen muss. Mit einer Revue über das Leben und Sterben des Häuptlings Feuerschein und seiner stolzen Delawaren feiert die Truppe noch einen großen Erfolg, aber bald beginnt sie wieder zu zerfallen. Man streitet und intrigiert, bis das kleine Imperium in Trümmern liegt. Der Roman und sein Held enden tragisch.

Hugo Ball erzählt leicht und unsentimental, im Plauderton, ohne das Elend seiner Figuren zu banalisieren oder zu weltgeschichtlichen Dimensionen aufzublasen. Der Roman Flametti bleibt ganz bei seinem kleinen Ensemble, vor allem bei seinem sanguinischen Titelhelden, für den man sich gar keine andere Existenz vorstellen kann. Ball lässt die Enge der Absteigen, der zweit- und drittklassigen Etablissements plastisch werden; trotz ihrer prekären Lage nimmt er seine Figuren ernst und macht aus ihnen glaubwürdige Existenzen. Der große europäische Krieg wird allenfalls als Hintergrundrauschen hörbar, aber er ist hier auch nicht das Thema. Flametti oder vom Dandysmus der Armen ist schlicht ein kleiner, feiner Roman.

Schon vor fünf Jahren gab es das Buch als Neuausgabe im kleinen Berliner Parthas Verlag. Dieser Druck ist leider längst vergriffen. Dafür veröffentlicht der Verlag nun die besagte – und ungekürzte – Hörbuchfassung mit Jochen Nix, der den bärbeißigen, aber sensiblen Varietédirektor und sein Ensemble mindestens ebenso lebendig werden lässt – ein großes Hörvergnügen!

Titelbild

Hugo Ball: Flametti oder Vom Dandysmus der Armen.
Ein Hörbuch, gesprochen von Jochen Nix.
Parthas Verlag, Berlin 2016.
5 CDs, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783869648507

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