Kein Leben wie im Traum

Moritz Föllmer beschreibt, wie die „Kultur im Dritten Reich“ das Regime stabilisierte

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

1940, als er im Sommer das besetzte Paris besichtigte, notierte Joseph Goebbels in sein Tagebuch: „Es ist wie in einem Traum.“ Der Aufsteiger aus Rheydt in Paris. Die Naziherrschaft auf ihrem Höhepunkt. Wer wollte dagegen Einwände erheben? Das ganze deutsche Volk selig. Dem Führer sei Dank: „Ein Leben wie im Traum.“ Wirklich? Der Titel des im handlichen Paperback-Format des C.H. Beck Verlags erscheinenden Buches „Kultur im Dritten Reich“ des Historikers Moritz Föllmer zeigt ein Farbfoto: ein Paar in steif-förmlicher Tanzstellung allein auf dem Parkett, im Hintergrund auf Holzbänken sitzend, ein Publikum, das ihnen zuschaut. Sie alle vor der Hakenkreuzfahne an der Wand. Das Foto wurde im Sommer 1938 bei einer Veranstaltung der Organisation „Kraft durch Freude“ (KdF) aufgenommen: „KdF-Werkspause“ vermerkt der Fotonachweis.

Den Tanzenden auf diesem Foto sei ihr Vergnügen gegönnt, obwohl sie sich ein wenig unwohl zu fühlen scheinen wegen der Beobachter ringsum. Ein Pflichttanz, wenn man so will, jedenfalls kein Anlass für tanzfreudigen Übermut. Denn die KdF-Veranstaltung, die die beiden Tanzenden aufs Parkett führte, war eine ernste deutsche Sache: „reine“ deutsche Kultur. Das hatten die Nationalsozialisten seit ihrem Machtantritt zum Programm gemacht und schrittweise umgesetzt: die Überwindung der „Weimarer Kultur“ mit ihren ‚kranken‘, ‚entarteten‘ Anteilen, die die Menschen aufforderte, zu ‚animalischer Negermusik‘ undeutsch zu tanzen – um im Bild der Tanzenden zu bleiben. An ihre Stelle rückte eine „reine“ Kultur, die Ausdruck deutschen Wesens sein sollte. So wie sie erstmals 1937 im Münchner „Haus der deutschen Kunst“ auf der Großen Deutschen Kunstausstellung gezeigt wurde. Gleich gegenüber konnte man zur gleichen Zeit in der Ausstellung „Entartete Kunst“ sehen, was aus Sicht der neuen deutschen Kultur „entartet“ war. „Reichsschamhaarmaler“ Adolf Ziegler, ‚alter Kämpfer‘ der Partei und seit 1936 Präsident der Reichskammer der Bildenden Künste hatte die Ausstellung in diskreditierender Absicht zusammengestellt.

Dagegen präsentierten die Nazis ihr Kunst- und Kulturverständnis als „imperiale Inszenierungen“. Der Autor führt aus, dass dieser „imperiale Anspruch“ bereits vor Kriegsbeginn 1939 auch im Ausland vertreten wurde, ehe er während des Krieges in einen „Krieg der Kulturen“ zur „Erneuerung Europas“ überführt wurde. Der imperialen „Kultur-Achse“ zwischen Deutschland und Mussolinis Italien verdankte 1938 auch Leni Riefenstahls Olympiafilm die Auszeichnung mit der „Coppa Mussolini“ als bester ausländischer Film der Filmfestspiele in Venedig. So „grotesk“ schreibt Föllmer, sei die Preisverleihung gewesen, dass die britischen und amerikanischen Jurymitglieder die Sitzung verließen und empörte Kommentare in der westlichen Presse erschienen – Begleiterscheinungen einer Preisverleihung, die Leni Riefenstahl zeitlebens ignorierte.

In fünf Kapiteln beschreibt Föllmer anschaulich und gut lesbar, wie sich das Kulturverständnis der Nazis bis zum Kriegsende („Kultur der Zerstörung“) die Zustimmung der Bevölkerung sicherte. Dazu diente der „Volksempfänger“– „Die Idee eines schlichten Radiogerätes mit eingebautem Lautsprecher und Kunststoffgehäuse stammte“, so schreibt Föllmer, „bereits aus der Weimarer Republik“ – ebenso wie die neuen Formen des Kulturerlebens, die Organisationen wie „Kraft durch Freude“ (KdF) scheinbar allen „Volksgenossen“ bieten konnten.

Mit Ausbruch des Krieges ergab sich freilich ein „Grundproblem nationalsozialistischer Kulturanstrengungen“: sie sollten „den Krieg sowohl legitimieren als auch kompensieren“. Besonders der Film musste fortan Angebote „zwischen Kampfeswille und Unterhaltungslust“ bereitstellen.

Immer blieb das Kulturverständnis der Nazis eng mit den privaten Vorlieben ihres Führungspersonals verbunden: ein biederes, ebenso klischeebeladenes wie kitschiges Verständnis von ‚guter Kunst‘. So zeigt es auch das Foto der beiden Pflichttänzer: eine gefährliche Biederkeit, die ahnen lässt, dass hier kein Traum das Leben lebenswert macht, sondern eine zwanghafte Pflicht das Leben bis in den Untergang reguliert und normiert.

Kein Bild

Moritz Föllmer: „Ein Leben wie im Traum“. Kulturgeschichte des Dritten Reiches.
Verlag C.H.Beck, München 2016.
288 Seiten, 16,95 EUR.
ISBN-13: 9783406679056

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