Naturwissenschaftler und Marxist

Selbstbewusst hatte Robert Havemann (1910–1982) Zeit seines Lebens auf gesellschaftliche Entwicklungen reagiert. Ein umfangreicher Sammelband leistet neue Einblicke und Zugänge.

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In der DDR hatte Robert Havemann (1910–1982) spätestens seit den 1970er-Jahren den Ruf des prominentesten Regimekritikers. Dabei war Havemann einst ein maßgeblicher Parteigänger und Propagandist, als es nach dem Krieg darum gegangen war, erstmals auf deutschem Boden einen sozialistischen Staat zu errichten. Wie viele andere Antifaschisten und Nazigegner hatte auch Robert Havemann seine politischen Hoffnungen an die DDR geknüpft, von der sie sich die konsequenteste Gegnerschaft zum Nationalsozialismus versprachen.

Die Gewalt des deutschen Nationalsozialismus hatte Robert Havemann hinlänglich zu spüren bekommen. Während der Nazi-Diktatur war er vom legendären Blutrichter Roland Freisler wegen seines Widerstandes gegen das Regime im Dezember 1943 zum Tode verurteilt worden. Als Spezialist für physikalische Chemie war er jedoch zu wichtig für die Nazis. Sie hatten ihm im Zuchthaus Brandenburg-Görden eine Laborzelle eingerichtet, um wichtige „Forschungsarbeiten im Auftrag des Heereswaffenamtes“ durchführen zu können.

Der von Bernd Florath herausgegebene Sammelband mit dem Titel Annäherungen an Robert Havemann. Biographische Studien und Dokumente widmet sich verschiedenen Abschnitten und Etappen eines ungewöhnlichen Lebenslaufes. Neben einer ausführlichen Einleitung des Herausgebers sind 19 Beiträge versammelt, die unter den Rubriken „Studien zur Biographie“, „Naturwissenschaftler und Philosoph“ sowie „Havemann und die Entwicklung der DDR-Opposition“ aufgeteilt sind.

So beleuchtet der bereits verstorbene Havemann-Biograf Harold Hurwitz in seinem hinterlassenen Kapitel „Von der Komintern zu Neu Beginnen“ minutiös recherchierte Vorgänge bezüglich „Havemanns Weg in die Illegalität im Schatten des Reichstagsbrands“. Hans-Georg Bartel widmet sich in seinem Aufsatz „‚Geheim! – Reflexionsmessgerät zur Messung der Lichtreflexion der menschlichen Haut‘“ einer wissenschaftlichen Arbeit, die Havemann während seines Aufenthaltes im Zuchthaus Brandenburg-Görden verfasst hatte.

Zur kritischen Sichtung der vielschichtigen Persönlichkeit Robert Havemanns gehört es, dass seine Mitarbeit für den sowjetischen Geheimdienst wie auch für die Staatssicherheit der DDR nicht ausgespart bleibt. Sowohl Angela Schmole in ihrer Recherche „Sonderaufgabe ‚Leitz‘“ als auch Arno Polzin in der Untersuchung „Robert Havemanns Zusammenarbeit mit Geheimdiensten“ leisten hier wertvolle Aufklärungsarbeit.

Neben persönlichen Erinnerungen des französischen Germanisten Jean-Pierre Hammer, „Robert Havemann aus der Sicht eines französischen Freundes“, widmen sich mehrere Wortmeldungen der angespannten Phase nach der Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann, der mit Havemann eng befreundet war. Nicht zuletzt durch Befragungen der unmittelbaren Zeitzeugin Lilo Fuchs, der Ehefrau des Schriftstellers Jürgen Fuchs, gelingen Andreas Schmidt in seiner Nachforschung „Unruhiges Refugium“ neue Einblicke in jenen Zeitabschnitt, als Havemann im Gartenhaus seines Grundstückes das von der Staatssicherheit bedrängte Schriftstellerehepaar aufgenommen hatte.

Ein naturgemäß heikles Kapitel im Leben eines kritischen Kommunisten wie Robert Havemann stellen die Beziehungen zu Anwälten und Rechtsinstanzen dar. Mit dem Anwalt Götz Berger, einem Altkommunisten und Spanienkämpfer, war Havemann befreundet. Als Rechtsbeistand für ihn kam Berger allerdings nicht infrage, da dieser selber, wie Christian Booß in seinem Beitrag „Der Anwalt der Dissidenten“ belegt, im Visier der Staatssicherheit stand. Mit eigenen Erlebnissen wartet Bernd Markowsky unter dem Titel „‚souverän‘“ über Erfahrungen mit DDR-Anwälten, Stasi-Spitzel und sogar einem eigens angefertigten Foto von Gregor Gysi auf, das diesen „fassungslos verstört zeigte, die Maske verrutschte“. Das Foto zeigt Gysi im Moment der unvermittelten Konfrontation einer Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit.

Im Abschnitt „Naturwissenschaft und Philosoph“ werden ausgewählte Aspekte in der Entwicklung des marxistischen Denkens bei Robert Havemann aus unterschiedlichen Perspektiven untersucht. Während Reinhard Buthmann in seiner Studie „‚Aber Sie haben ja noch nicht einmal die Zustimmung Ihrer Philosophen‘“ vor allem die Diskussion der Naturwissenschaftler Robert Havemann mit Werner Heisenberg in den 1950er-Jahren auswertet, wendet sich Christian Halbrock der Frage „Havemann und Gott?“ zu. Christian Sachse gelingt es in seinem Artikel „Ein ‚kommunistischer Weizsäcker‘ im Ostblock?“, Havemanns faszinierende Korrespondenz zwischen der Naturwissenschaft und dem Marxismus nachzuverfolgen: „Sein Kalkül bestand darin, durch eine logisch zwingende Ableitung politischer Prinzipien aus den Naturwissenschaften heraus eine Veränderung des Marxismus-Leninismus als Legitimationswissenschaft zu erzwingen, die dann auch politische Veränderung zur Folge haben mußte“.

Der umfangreichste Abschnitt, „Havemann und die Entwicklung der DDR-Opposition“, wendet sich der in den 1970er-Jahren beginnenden Bewegung der Bürgerrechtler und Dissidenten in der DDR wie auch in den übrigen Ländern des „real existierenden Sozialismus“ zu. Einzelne ausdifferenzierte Facetten werden etwa von Ilko-Sascha Kowalczuk „‚1968‘ – ein ostdeutscher Erinnerungsort?“, Hubert Laitko „Denkwege aus der Konformität“ oder Manfred Wilke „Die Entstalinisierung: Dissens und Opposition in der Sowjetunion und der DDR“ beigesteuert. Unter dem Titel „Kirche und Havemann“ berichtet Christian Halbrock von der ungewöhnlichen Annäherung des atheistischen Marxisten Havemann an Persönlichkeiten der evangelischen Kirche wie etwa die Pfarrer Johannes Meinel oder Rainer Eppelmann, mit dem Havemann sogar eine seiner letzten Wortmeldungen, den „Berliner Appell“ vom Februar 1982, verfasst hatte.

Es ist eine treffliche Wahl des Herausgebers, dass Wolfgang Templin in seiner biografisch gehaltenen Skizze „Havemann“ den Schlusspunkt setzt. Templin richtet sein Augenmerk auf die ideologische Entwicklung Havemanns „von der Wirkung eines Suchenden“ und zieht den Bogen „vom Stalinisten zum utopischen Kommunisten“. In praktischer Umsetzung des Verses von Wolf Biermann „Nur wer sich ändert, bleibt sich treu“ belegt Templin Havemanns lebenslange, ungebrochene Neugier für gesellschaftliche Vorgänge wie auch seines Festhaltens an der Utopie eines freien, demokratischen Sozialismus und leitet daraus seinen begründeten Ausblick ab: „Wie sein Freund Biermann, der es aufgab nach dem Roten Stein der Weisen zu suchen, hätte er leidenschaftlich dafür plädiert, die Frage nach der Verbindung von Freiheit und Gerechtigkeit auf neue Weise zu stellen“.

Zusätzlich aufgenommen wurde die bislang unveröffentlichte biografische Aufzeichnung „Weg, nicht Ziel“ von Robert Havemann sowie eine abschließende „Havemann-Bibliographie“, die sowohl Nachträge zur bereits vorliegenden Bibliografie des 2007 von Werner Theuer und Bernd Florath herausgegebenen Bandes „Robert Havemann. Bibliographie“ sowie eine „Bibliographische Fortschreibung 2007 bis 2012“ enthält.

Mit den im Band versammelten Texten liegen unverzichtbare Forschungserträge vor, die neben der Präsentation einer so komplexen und zugleich faszinierenden Persönlichkeit wie jener Robert Havemanns zeitgeschichtliche Hintergründe einer von zwei Diktaturen geprägten deutschen Wirklichkeit erhellen. Havemann war seinem Todesurteil in der Nazizeit nur knapp entkommen und in der DDR im Laufe der Jahre allerlei Schikanen ausgesetzt. Neben dem Ausschluss aus der SED und dem Verlust seiner politischen Ämter, dem Berufsverbot sowie der Möglichkeit, sich in den Medien der DDR zu äußern, hatte Havemann auch einen über zweijährigen Hausarrest auf seinem Grundstück in Grünheide zu ertragen. Bei allen Fehleinschätzungen und Widersprüchen im politischen Werdegang Robert Havemanns bleibt dennoch die eindrucksvolle Lebensleistung eines kritischen Menschen, dessen unbeugsamer Verstand sich nicht knebeln ließ.

Titelbild

Bernd Florath (Hg.): Annäherungen an Robert Havemann. Biografische Studien und Dokumente.
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2016.
668 Seiten, 50,00 EUR.
ISBN-13: 9783525351178

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