Mord und Profit

„Schwarzes Gold“: Dominique Manottis fulminante Studie über die Revolution des Ölhandels zu Beginn der 1970er-Jahre und die Anfänge des Kunsthandels

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dominique Manottis Krimis sind eigentlich keine Krimis, sondern ökonomische Basisstudien mit aufklärerischem Anspruch, die das Verbrechen nur deshalb brauchen, weil jede Begierde auch ihre Übertreibung kennt. Das bedeutet nicht, dass Morde in ihren Romanen begangen werden, weil jemand die Beherrschung verliert. Schwarzes Gold zeigt, dass im großen Geschäft genau das Gegenteil der Fall ist: Morde sind die Nebenkosten eines großen Geschäfts. Sie werden genau kalkuliert und sollen einen bestimmten Nutzen haben – und dessen Nachname ist eben Profit.

Das neue Jahrtausend mag uns zwar ganz rasant vorkommen, die 1970er-Jahre haben allerdings auch das Ihre zu den Extremgeschichten der letzten anderthalb Jahrhunderte beigetragen: Überfall auf das Olympische Dorf, die RAF in Deutschland, die Entführung der Landshut, die Attentate auf diverse Politiker, Beamte und Unternehmer, eben nicht nur in Deutschland. Außerdem der Aufstieg der OPEC zu dem entscheidenden Kartell im Ölhandel. Und der Aufstieg wie der Beginn vom Abschied vom Öl als der zentralen Energiewährung.

In Marseille werden zwei Männer in einem Auto erschossen. Sie werden abgepasst. Ein paar schnelle Schüsse fallen. Alles läuft präzise ab – und endet danach in einem Blutbad. In Nizza wird ein Marseiller Reeder vor dem Casino mit zehn Kugeln niedergestreckt. Eine gleichfalls präzise Tat, denn seine Begleiterin, die dicht neben ihm steht, bleibt unverletzt, wenngleich zutiefst geschockt. Kurze Zeit später wird sein Stellvertreter auf dem Flughafen ebenfalls erschossen. Der Kapitän eines der Schiffe der Reederei wird ertrunken im Bosporus gefunden – angeblich im Suff über Bord gefallen.

Die Art der Morde erinnert ein wenig an die Ermordung eines lokalen Drogenbosses einige Zeit vorher. Das gibt den Behörden Anlass genug, vor allem in Richtung Abrechnung im Milieu ermitteln zu lassen. Man will seine Ruhe haben, und wenn sich die Kriminellen gegenseitig massakrieren, kann der Bürger ruhiger schlafen. Das ist immerhin ein Kalkül – das aber nur aufgeht, wenn die Annahme stimmt. Der soeben nach Marseille abgeordnete Commissaire Théodore Daquin will und kann sich nicht recht damit zufrieden geben. Alle Morde sind offensichtlich genau geplant und präzise ausgeführt worden. Keine Schlachterei, keine unnötige Ballerei, sondern effektiv und mit höchster Genauigkeit, dabei ein Muster zeigend, das offensichtliche Bedeutung haben soll.

Daquin hat mehrere Nachteile: Er ist ein Pariser, der in Marseille, wo die Polizei wie das Milieu aus Korsen besteht, nichts zu suchen hat. Die Stadt ist durchzogen von einem Netzwerk Alteingesessener, von Interessen, die ausgewogen sein müssen, und von Diensten, die Gegenleistungen fordern. Und das kennt keine Grenzen, vor allem keine zwischen Politik, Rechtssystem und kriminellem Milieu. Hier hängen alle voneinander ab. Wer dieses System stört, wird so schnell wie möglich eliminiert. Es sei denn, das Ziel wäre es, das System der Alteingesessenen zu eliminieren, wie es die Pariser, die das Drogendezernat übernommen haben, offensichtlich vorhaben.

Dass der Krieg um die Drogen, den die Amerikaner nach Europa tragen, vor allem das Ziel hat, die französischen Lieferanten auszuschalten und stattdessen die südamerikanischen zu etablieren, weil bis in die höchsten politischen Ebenen alle in den USA davon profitieren, wirft ein bezeichnendes Bild auf die Welt in Manottis Romanen. Sie ist nicht so weit von der Realität entfernt.

In diesem Fall ist der Drogenkrieg jedoch nur ein Nebenschauplatz. Es geht im Kern um ein Gut, das viel viel wertvoller ist als jede Droge: Energie, insbesondere Öl. Denn der Ölmarkt wird Anfang der 1970er-Jahre völlig neu strukturiert, sodass neue Akteure ins Spiel kommen. Die alten Ölkonzerne werden aus den bisherigen Monopolen gedrängt. Das hat eine kleine Gruppe um einen international agierenden Erzhändler namens Michael Frickx erkannt und versucht nun, das große Geschäft zu machen. Dafür verbünden sie sich mit dem Iran, der als Lieferant ins Spiel kommt. Sie setzen auf steigende Preise und verkaufen ihre Lieferungen in großem Stil. Die aufsteigenden Industriestaaten Europas sind abhängig von Energielieferungen, und Öl ist die wichtigste Ressource, die sie kennen.

Die Morde sind lediglich notwendig, um den Weg für ein glattes und vor allem von Störfaktoren freies Geschäft zu bereiten, dessen Dimensionen selbst für den erfahrenen Trader Frickx ungewohnt, aber enorm attraktiv sind. Dass die Mordopfer stören, hängt nicht zuletzt daran, dass sie dem kriminellen Marseiller Milieu entstammen und sich nicht völlig von ihm gelöst haben (ein Waffenschmuggel hier und da, was kann das schaden?). Das macht sie als Geschäftspartner inakzeptabel. Schuld? Welche Frage! Frickx, der Trader, ordnet vielleicht die Morde an, aber sie sind nicht nur in eigenem Interesse, sondern auch im Interesse des Irans und Israels. Und sie sind im Interesse des Großen Ganzen.

Das alles ist logisch, sinnvoll und keineswegs moralisch. Aber wenn es etwas gibt, was Frickx motiviert, dann ist es Geld, viel Geld. Und wenn es etwas gibt, das hilft solche Morde aufzuklären, dann ist es die Spur, die das Geld hinterlässt. Geld in Dimensionen, die alles hinter sich lassen, was einem sonst an Gründen im Krimi untergekommen ist.

Wenn es also eine Autorin gibt, der es gelingt, das Verbrechen in der Wirtschaft, die Verbrechen der Wirtschaft und die Verbrechen, die aus Geldgier entstehen, im Krimi darzustellen, dann ist es Dominique Manotti. Sie ist dabei dankenswert zurückhaltend, was moralische Bewertungen angeht. Sie vermeidet jeden der blödsinnigen Irrwege, die die Krimiautoren in den letzten Jahren gegangen sind, um die großen Wirtschaftsbosse mit großen Verbrechen in Verbindung zu bringen: Vergewaltigung, Kindesmissbrauch, Mord aus Begierde. Alles nur Kleinkram und kleingeistig – und weit weg von den wahren ökonomischen Untaten. Manotti hat viel mehr von dem Sprengstoff verstanden, der die Ökonomie prägt, als alle Mankells oder Larssons zusammen. Das ist ihr hoch anzurechnen.

Titelbild

Dominique Manotti: Schwarzes Gold. (Ariadne Kriminalroman 1213).
Übersetzt aus dem Französischen von Iris Konopik.
Argument Verlag, Hamburg 2016.
384 Seiten, 19,00 EUR.
ISBN-13: 9783867542135

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch