Von Plagiaten, Stars und Sauberkeitskulten

Das aktuelle „Jahrbuch zur Kultur und Literatur der Weimarer Republik“ widmet sich vielfältigen Themen

Von Stefan TuczekRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Tuczek

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gerade einmal 15 Jahre existierte die Weimarer Republik. Kaum zu glauben, dass in diesen Jahren so viel passiert ist, dass man damit 17 Aufsatzbände füllen konnte, aber es ist doch möglich: Gerade zur Zeit der Weimarer Republik haben sich so viele kulturelle Veränderungen ergeben, so viele politischen Umwälzungen angedroht und so viele kleine und große Krisen ergeben wie noch nie zuvor im deutschen Kulturraum. Und mittendrin die Menschen, die es nach dem Leben dürstete, die emphatisch leben wollten.

Das aktuelle „Jahrbuch zur Kultur und Literatur der Weimarer Republik“ widmet sich auch in  ihrem 17. Band wieder dieser bewegten Zeit. So vielschichtig die Weimarer Republik in ihren literarischen und kulturellen Erscheinungen daherkommt, so unterschiedlich sind auch die Aufsätze, die hier versammelt werden.

Den Anfang des Jahrbuchs machen die Abdrucke von Briefen Gabrielle Tergits an ihre deutschen Verleger. Darin versucht sie ihr Manuskript von „Käsebier erobert den Kurfürsten Damm“ an den Verlag zu bringen. Erst wollten Rowohlt und Ulstein ihren Roman nicht, mit recht fadenscheinigen Ausreden, dass man kein Geld hätte oder das Buch nicht aktuell genug sei. Erst als Franz Hessel den Roman protegierte, wurde er von Rowohlt angenommen. Schnell wurde er ins Englische übersetzt und bald war auch schon die Rede von Hörspielen und Verfilmungen, die jedoch nicht mehr realisiert wurden. Die Briefe bilden damit einen interessanten, wenn auch recht kurzen Einblick in die Verlagswelt und würdigen gleichzeitig die Autorin Tergit, die über Jahre hinweg vergessen wurde. Dass gerade jetzt die Briefe zum „Käsebier“ abgedruckt werden, scheint kein Zufall zu sein, denn Tergits Roman wurde kürzlich bei Schöffling und Co. wiederaufgelegt. Damit bilden sie eine gute Ergänzung zur Lektüre des Romans. Nur schade, dass die Briefe ohne Kommentierung daherkommen, ein paar ausführlichere Anmerkungen hätte man sich schon gewünscht, beispielsweise warum Tergit Hans Fallada das Manuskript schickte und wie die Beziehung der beiden zueinander gewesen ist. Dafür gibt es zwar einen Aufsatz am Ende des Bandes, der die Briefe in Beziehung setzt und kontextualisiert, jedoch ersetzt dieser nicht in jedem Fall die Stellenkommentare. Dennoch sind sowohl die Briefe als auch der dazugehörige Aufsatz lesenswert.

Nach den Stimmen aus dem Archiv gibt es sieben unterschiedliche Aufsätze, die allesamt interessant sind. Herauszuheben sind Ines Lauffers Text über saubere Körper, Günter Helmesʼ Gedanken zu Asta Nielsen und Jonas Vollmers Aufsatz zur sozialen Abstiegsangst in der Weimarer Republik. Daneben werden in den anderen Aufsätzen Kurt Tucholsky, Martin Heidegger, Kriegsromane und der Friseursalon als Handlungsort besprochen.

Das wir gerade einmal 50 Jahre das Badezimmer als kulturelle Errungenschaft unser Eigen nennen können, ist keine Selbstverständlichkeit. In der Weimarer Republik waren der Waschtrog und die Frisierkommode noch eine Normalität, man hat sogar gegen das Badezimmer angekämpft – Architekten, die solche Zimmer in ihren Plänen berücksichtigten, galten als Novum. Lauffer entwickelt aus der Geschichte des Badezimmers den Gedanken, dass sich im Gegensatz zu anderen Kulturen und Zeiten das Sich-Säubern eine Privatsache ist – wer sich säubert und dies im privaten Raum tut, der grenzt sich von den anderen ab. Abgrenzung ist generell ein allgegenwärtiges Thema in der Literatur der Weimarer Republik und so unterlegt Lauffer ihre Gedanken mit Irmgard Keuns „Gilgi“ und Sigfried Giedions Theaterstück „Arbeit“. Angenehm ist vor allem, dass hier mit Giedions „Arbeit“ ein nicht kanonisierter Text zur Untersuchung herangezogen und besprochen wird. Lauffers Aufsatz beweist ganz wunderbar, dass man abseits der längst ausgetretenen Pfade recht interessante Texte finden und an Ihnen aussagekräftige Beobachtungen machen kann. Nach ihrem Text jedenfalls sieht man das Badezimmer mit ganz neuen Augen.

Eigentlich gibt es zu Asta Nielsen nichts mehr zu sagen, aber Günter Helmes überrascht den Leser dann doch mit neuen Erkenntnissen. Nielsen wird nicht nur als erste große Filmschauspielerin dargestellt, die sich bewusst in Szene setzte, sie ist gleichzeitig auch als erste große Verweigerung der Kommerzialisierung des Films, was ihr Karriereende bedeutete, zu verstehen. Helmes weist außerdem etwas besonders Überraschendes nach: dass sich Nielsen nicht nur als Schauspielerin, sondern ebenso als Theoretikerin von Theater und Film hervorgetan hat. Damit wird das Porträt Asta Nielsens ohne Frage vielschichtiger.

Soziale Abstiegsangst kann nur in durchlässigen Gesellschaften auftreten, das heißt dort, wo keine starre Ständeordnung mehr existiert und jeder sozial aufsteigen oder eben auch absteigen kann, tritt die soziale Abstiegsangst auf, die als diffuse Angst so manchen in der Weimarer Republik befiel. Dass Jonas Vollmers Aufsatz keine umfangreiche Studie ist, versteht sich von selbst, daher hat er die stabile spätere Phase der Weimarer Republik ausgewählt, um seine These, dass die Absteigsangst in diesem Zeitabschnitt existierte, zu erläutern. Nach einer soziologischen Definition, wird versucht, anhand von Hans Falladas „Kleiner Mann – was nun?“ und Bertolt Brechts „Vom armen B.B.“ diese Angst nachzuweisen. Vor allem der Zugriff auf Falladas Roman, der als „ein Prototyp des Angestelltenromans begriffen werden kann“, ist gut gewählt, gerade wenn man bedenkt, dass sich die Angestellten als neue Arbeiterschicht in der Weimarer Republik etablierten. Sie waren sowohl vom Stellenabbau als auch von der Chance auf den schnellen Aufstieg besonders betroffen. Hohe Mobilität und Schnelllebigkeit zeichnen die Schicht der Angestellten aus – schon alleine für diese Erkenntnisse ist der Aufsatz lesenswert.

Den Abschluss des Bandes machen Rezensionen zu ausgewählten neuen Bücher über die Weimarer Republik oder über Autoren, die in dieser Zeit aktiv waren. Eine Liste mit Neuerscheinungen rundet den Band ab.

Das „Jahrbuch zur Kultur und Literatur der Weimarer Republik“ beweist einmal mehr, dass man immer noch etwas neues über die Kultur und die Literatur der Weimarer Republik lernen und erfahren kann – die Herausgeber Sabina Becker und Robert Krause beweisen auf vorzügliche Weise ihr Gespür für Randthemen, die das Bild von der kurzen Phase des Bestehens der Weimarer Republik erweitern und zum Nachdenken einlädt.

Kein Bild

Sabina Becker / Robert Krause (Hg.): Jahrbuch zur Kultur und Literatur der Weimarer Republik. Band 17. 2015/16.
edition text & kritik, München 2016.
227 Seiten, 34,00 EUR.
ISBN-13: 9783869164984

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