Zwischen Wasser und Land

Penelope Fitzgeralds Roman „Ein Hausboot auf der Themse“ lässt die Leser ins London der 1960er-Jahre eintauchen

Von Christina DittmerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christina Dittmer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

London Anfang der 1960er-Jahre. Das Leben ist nicht leicht für eine Ansammlung von Außenseitern, die mit ihren Hausbooten im Stadtteil Battersea auf der Themse ankern. Finanzielle Nöte, Lecks und Kriminalität sind nur einige der Probleme, vor denen die Bootsleute stehen. Dazu kommen Verwandte und Partner, die nicht nachvollziehen können, dass sie sich nicht (nur) aus Geldmangel, sondern vor allem aus Liebe zum Wasser, für dieses Leben entschieden haben.

Zu den mitunter skurrilen Bootsbewohnern gehören der liebenswürdige Stricherjunge Maurice, der ohne Gegenleistung Diebesgut auf seinem Boot lagern lässt und der alte Willis, der versucht, seine Dreadnought trotz Lecks zu verkaufen. Die Menschen auf den Booten spüren Schäden an diesen wie an ihren eigenen Körpern und werden auf Versammlungen mit ihren Bootsnamen angesprochen. Mehr noch spiegeln die Hausboote ihre unterschiedlichen Charaktere. Die Lord Jim des ordentlichen und rechtschaffenen Richard ist als einziges Boot gut in Schuss, Maurice dekoriert seines mit bunten Lichtern, um sich zu fühlen wie in Venedig und die Dreadnought hat, wie Besitzer Willis, ihre besten Tage schon lange hinter sich.

Ein Hausboot auf der Themse ist kein im klassischen Sinne spannendes Buch. Die Handlung plätschert vor sich hin, doch das ist es nicht, worauf es in diesem Roman ankommt. Die Geschichte lebt von den leisen (Zwischen-)Tönen. Vieles bleibt angedeutet, doch beschreiben diese Andeutungen die Figuren anschaulicher, als es eine akribische Darstellung je könnte. So gehört Bootsbesitzer Richard beispielsweise zu den Männern, „die auch morgens um halb vier noch zwei saubere Taschentücher bei sich haben“. Er lebt auf seinem Boot, der Lord Jim, mit seiner Frau Laura, die von einem Haus an Land träumt, was er allerdings zu ignorieren versucht.

Dreh- und Angelpunkt ist jedoch die unglückliche Nenna, die versucht, ihren Ehemann zurück auf das Boot zu holen, auf dem er sich ähnlich wie Richards Ehefrau Laura nicht wohl fühlen kann. Nicht nur hier findet sich eine angedeutete Verbindung zwischen Nenna und Richard. Die Autorin beschreibt die Gefühlswelten der Protagonisten weniger durch klare Gedanken, sondern mehr durch die Atmosphäre. So fährt ein Taxifahrer Nenna nachts aus Mitleid umsonst zu ihrem Boot Grace, in einem Auto, das nach „Tabak und alten Lieben“ riecht. Zuvor hatte sie erfolglos versucht, ihren Ehemann zurückzuholen.

Nennas Töchter Martha und Tilda führen ein von ihrer Mutter recht unabhängiges Leben. Sie verkaufen Strandgut aus der viktorianischen Zeit an Antiquitätenhändler, anstatt die Schule der Nonnen zu besuchen. Dies quittiert ihre Mutter mit unbekümmerter Gleichgültigkeit, als ein Priester auf der Lord Jim vorbeikommt, um sie darüber in Kenntnis zu setzen. Richard hatte diesen zuvor auf sein Boot gelassen, da er sich sicher ist, dass römisch-katholische Priester nützlich wären, da sie immer Whiskey tränken und lange Geschichten erzählten.

Die Stimmung des Romans trägt bipolare Züge und wandelt sich oft von komisch zu tragisch innerhalb weniger Augenblicke. Während Willis’ Dreadnought unbemerkt beginnt zu sinken, sitzen die Bootsnachbarn noch an Deck, um den gelungenen Verkauf des Bootes zu feiern. Einzig Maurice bemerkt, dass das Boot sich senkt, beschließt aber die Stimmung nicht zu ruinieren und erzählt seine Anekdoten zu Ende, anstatt Alarm zu schlagen.

Die Figuren sind keine großen Helden, sondern oft fremdgesteuert durch vermeintlich wohlmeinende Verwandte oder Ehepartner. Die kurze Hoffnung auf Glück wird häufig durch die Feigheit, eigene Entscheidungen zu treffen, zunichte gemacht. Leider geht die sinnhafte Andeutung des Originaltitels Offshore (küstennah) bei der Übersetzung Ein Hausboot auf der Themse verloren. So wie ihre Lage auf den Booten ist, weder ganz dem Wasser noch dem Land zugehörig, stehen die Figuren am Rande der Gesellschaft. Der Ton des Romans ist melancholisch und feinsinnig, das Werk einer überaus talentierten Autorin, die erst mit Ende 50 mit dem Schreiben begann. Der Roman ist wohl auch deshalb so authentisch, weil er autobiografisch inspiriert ist. Die Autorin widmet ihn ihrem Boot Grace, auf dem sie eine Zeit lang unter ärmlichen Verhältnissen gelebt hat.

Ein Hausboot auf der Themse ist die deutsche Erstausgabe, übersetzt von Christa Krüger. Die Originalausgabe erschien bereits 1979. Damit gewann Penelope Fitzgerald unverhofft den Booker Prize, den wichtigsten britischen Literaturpreis. Die Übersetzung enthält ein ausführliches Nachwort von Alan Hollinghurst und Angaben zur Autorin von ihrer Biografin Hermione Lee.

Titelbild

Penelope Fitzgerald: Ein Hausboot auf der Themse. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Christa Krüger.
Insel Verlag, Frankfurt a. M. 2016.
200 Seiten, 12,99 EUR.
ISBN-13: 9783458361572

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