Zwischen Kritik und Disziplinierung: Literatur und die Konstruktion ökonomischer Menschen. Manuel Bauer legt eine Studie zur literarischen Wirtschaftsanthropologie vor

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit einigen Jahren erweist sich das Forschungsfeld „Literatur und Ökonomie“ als außerordentlich fruchtbar. In seiner Untersuchung „Ökonomische Menschen“ zeigt Manuel Bauer, Privatdozent an der Philipps-Universität Marburg, eine bislang wenig beachtete Facette dieses Themenbereichs auf: die hier begrifflich eingeführte „literarische Wirtschaftsanthropologie“, die den Beitrag literarischer Texte zum Diskurs über den wirtschaftenden Menschen untersucht.

Die Studie geht von der Beobachtung aus, dass sich literarische und ökonomische Anthropologie bis zur Ununterscheidbarkeit überschneiden. Literarische Texte sind an der Modellierung ökonomischer Menschenbilder beteiligt, während wirtschaftstheoretische Texte immer wieder auf literarische Texte zurückgreifen, um ihre Thesen zu illustrieren. Dies wird im Rückgriff auf eine Vielzahl literarischer Texte aus unterschiedlichen Epochen, vom späten 18. Jahrhundert bis zur klassischen Moderne, sowie ein breites Korpus unterschiedlichster ökonomischer Schriften veranschaulicht, weit über den engeren fachwissenschaftlichen Diskurs hinaus.

Während vergleichbare literaturwissenschaftliche Untersuchungen bislang meist mit der Figur des homo oeconomicus operierten, geht Bauer davon aus, dass dieses Modell der Vielfalt literarischer Figuren und ihrer unterschiedlichen „Stellungen zum Wirtschaftsleben“ nicht gerecht wird. Daher nimmt die Arbeit eine Pluralität ökonomischer Menschen in den Blick – den idealisierten Kaufmann, den als unheimlich erachteten Spekulanten (der auf etablierten Semantiken des dämonisierten Glücksspielers beruht) und den scheinbar alle ökonomischen Zusammenhänge negierenden Taugenichts, der sich als zentrale wirtschaftsanthropologische Reflexionsfigur erweist.

Über die Konturierung dieser Typen wird eine umfassende ökonomische Kultur des „langen 19. Jahrhunderts“ greifbar – dessen Literatur die Menschen, von denen sie erzählt, stets als ‚ökonomische‘ inszeniert, die sich selbst und ihre Umwelt ökonomisiert wahrnehmen. Die Leistung der Literatur ist dabei  ambivalent, da sie sich als widerständig und disziplinierend zugleich präsentiert. Zwar begegnet sie den Härten des Hochkapitalismus mit der Konstruktion von anachronistischen Idyllen, spielt aber auch einen Part bei der Modellierung des Menschen zum ‚guten‘ und ‚nützlichen‘ Wirtschaftsakteur.

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Titelbild

Manuel Bauer: Ökonomische Menschen. Literarische Wirtschaftsanthropologie des 19. Jahrhunderts.
Palaestra. Untersuchungen zur europäischen Literatur, Band 342.
V&R unipress, Göttingen 2016.
430 Seiten, 55,00 EUR.
ISBN-13: 9783847105565

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