Das Leben der heiligen Hedwig zwischen interessierten Laien und versierten Forschern

Sabine Seelbach ediert und übersetzt die Hedwigslegende in der Übersetzung des Kilian von Meiningen

Von Jelko PetersRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jelko Peters

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die heilige Hedwig ist auch heute noch – über 750 Jahre nach ihrem Tod – eine Schlagzeile wert. Als im April 2016 Unbekannte ein als Reliquie der Heiligen verehrtes Schädelfragment aus dem Kaiserdom St. Bartholomäus in Frankfurt am Main stahlen, berichteten darüber zahlreiche überregionale Zeitungen und riefen so die Schutzheilige Schlesiens und Polens zurück ins Gedächtnis.

Wer war die heilige Hedwig? Wir wissen mangels Quellen nur sehr wenig historisch Belegtes über sie. Geboren 1174/78 als Tochter des Grafen Berthold IV. von Andechs-Meranien heiratete sie bereits 1188 Herzog Heinrich I. von Schlesien, der auf ihre Bitte hin 1202 ein Zisterzienserinnenkloster in Trebnitz gründete, in dem sie nach seinem Tod ihren Lebensabend verbrachte. Sie starb 1243. Bereits am 26. März 1267 wurde Hedwig von Papst Clemens IV. heiliggesprochen. Um 1300 verfasste ein unbekannter Geistlicher ihre Legende auf Latein, die unsere Vorstellung von der Heiligen maßgeblich prägen wird. Allerdings ist die Legende als Quelle für die Biographie der Herzogin wenig aussagekräftig.

Während des 14. und 15. Jahrhunderts entstanden fünf voneinander unabhängige deutsche Übersetzungen der Hedwigslegende, von denen bisher die älteste Übertragung aus dem Jahr 1380, welche Rudolf Wintnauer für Herzog Albrecht III. von Österreich verfasste, und die anonyme Breslauer Übersetzung aus dem Jahr 1451 ediert wurden. Sabine Seelbach ergänzt die Reihe der Ausgaben um die zweitälteste Übersetzung, die der Franziskanermönch Kilian von Meiningen im Jahr 1424 beendete.

Wer sich als Wissenschaftler mit der heiligen Hedwig beschäftigt, weiß um ihre disparate politische Rezeption als Patronin für die vertriebenen Schlesier und als Symbolfigur für die Versöhnung zwischen Polen und Deutschen. Er muss damit rechnen, dass seine Forschungen auch außerhalb der Zunft wahrgenommen werden. Der medialen Präsenz und der politisch-gesellschaftlichen Bedeutung der heiligen Hedwig ist sich Seelbach bewusst. Ihre Edition der Übersetzung der Hedwigslegende richtet sich sowohl an die Wissenschaft als auch an die „interessierten Laien“, indem sie der frühneuhochdeutschen Übersetzung eine moderne Übersetzung gegenüberstellt. Allerdings bedingt diese doppelte Zielgruppenorientierung auch, dass Seelbach Abstriche bei der wissenschaftlichen Ausgestaltung ihrer Edition macht. So führt sie bei dem editierten Text um „der besseren Lesbarkeit“ willen „moderate Normalisierungen“ und eine „moderate Interpunktion“ durch, nimmt aber auf diese Weise dem historischen Sprachwissenschaftler die Möglichkeit, Graphemik, Syntax und Übersetzung umfassend analysieren zu können. Dabei wäre bei einem unikal überlieferten Text – nach Seelbach handelt es bei der Handschrift eventuell um den Autographen des Übersetzers – die Gelegenheit gegeben gewesen, ihn diplomatisch zu edieren (wie es bei den bisherigen Editionen der Hedwigslegende auch geschah), um so einen Blick in die Werkstatt des Schreibers zu erhalten.

Der nicht sprachhistorisch bewandertere Leser wird trotz der Normalisierungen nur unter größten Mühen den frühneuhochdeutschen Text erschließen können. Die Übersetzung, die als Synopse abgedruckt wird, hilft ihm vor allem, den Inhalt zu erschließen. Aufgrund des Ziels, einen „nach gegenwartssprachlichen Normen“ lesbaren und verständlichen Text anzubieten, weicht die Übersetzung in der Regel von der Syntax des Ausgangstextes ab. Des Weiteren wird der Text nicht Eins-zu-Eins übersetzt, sondern Seelbach nimmt angesichts ihres Übersetzungsziels Glättungen, kleinere Kürzungen und Erweiterungen vor, sodass der Leser des frühneuhochdeutschen Textes die Übersetzung nicht wie ein Wörterbuch nutzen kann. Letztlich stehen beide Texte für sich. Mediävisten und Sprachhistoriker werden sich an die sorgfältige Edition der Übersetzung Kilians, die übrigen Leser an Seelbachs flüssige und gut lesbare Übersetzung halten. Angesichts der Tatsache, dass mit der Edition und der Übersetzung der Übersetzung sehr verschiedene Adressaten angesprochen werden, stellt sich die Frage, warum Seelbach für die „interessierten Laien“ nicht eine selbstständige Übersetzung der lateinischen Legende veröffentlicht hat.

Der Kommentar zur Edition umfasst kurze Erläuterungen über Orte und Personen, die zudem über das Register erschlossen werden können, über zeitgenössische Ereignisse, nennt Bibelzitate und gibt knappe Wort- und Sacherläuterungen. Des Weiteren verweist Seelbach sporadisch auf Abweichungen der Übersetzung von der berühmtesten lateinischen Handschrift der Hedwigslegende, dem 1353 entstandenen, eindrucksvoll illustrierten Schlackenwerther Codex. Die Hinweise besitzen allerdings nur eine geringe Aussagekraft, da die lateinische Vorlage des Übersetzers nicht aus dem Überlieferungszweig der Handschriften um die Bilderhandschrift stammt. Stichproben ergaben, dass die Vorlage wohl auf eine zwischen 1300 und 1310 vermutlich im Kloster Leubus entstandene Handschrift (Dombibliothek Breslau / Wrocław Nr. 107) zurückgeht. Die Handschrift aus dem Kloster Leubus weist aber hinsichtlich der Differenzen zwischen den bekannten lateinischen Handschriften keine gemeinsamen Lesarten mit dem Schlackenwerther Codex auf.

In ihrem Nachwort, das auf einem Aufsatz aus dem Jahr 2009 basiert, skizziert Seelbach zunächst vor allem für den „interessierten Laien“ den Gattungszusammenhang und Erzählform sowie das „Heiligendesign“ der Legende. Für den Mediävisten sind indes ihre knappen Ausführungen über die Überlieferung und Rezeption, die Handschriftenbeschreibung sowie den Entstehungskontext von Belang. Vor allem letzteren untersucht Seelbach genauer und arbeitet heraus, dass die Übersetzung des weiter nicht bekannten Mönchs Kilian aus dem Franziskanerkloster Meiningen im Auftrag der Gräfin Mechthild von Henneberg erfolgte. Nach Seelbachs überzeugender Argumentation ist es sehr wahrscheinlich, dass die Übersetzung – wie auch andere Übertragungen der Hedwigslegende – sich „in einen Kontext des Anspruchs auf Geblütsheiligkeit stellen lässt“. Ferner konstatiert Seelbach, dass die schlicht ausgestatte Handschrift wohl zur Erbauung der Hörer bei Tischlesungen zum Einsatz kam. Aufgrund der Tatsache, dass die lateinische Vorlage des Übersetzers aus einem Überlieferungszweig ohne Illustrationen stammt, erübrigt sich die Überlegung Seelbachs, dass an eine „Kopie“ der „überlieferten aufwendigen Illuminationen […] offenbar von vorneherein nicht gedacht [war]“. Es ist eher davon auszugehen, dass Auftraggeberin und Übersetzer die Zeichnungen gar nicht kannten.

In ihrem Nachwort weist Seelbach darauf hin, dass zu den Übersetzungen der Hedwigslegende eine „sprachgeschichtliche und literaturwissenschaftliche Auswertung […] erst in allerersten Anfängen geleistet wurde“. Dieses Urteil verwundert in seiner Pauschalität (und wirkt in einem Nachwort deplatziert), weil es zum einen den vorhandenen Forschungen nicht gerecht wird und zum anderen Seelbach selbst keine Untersuchungen zu diesen Bereichen leistet. Sie analysiert weder die Schreibsprache noch die Übersetzungsleistung und formuliert bis auf ihre Ausführungen zum Entstehungskontext auch keine neuen Erkenntnisse zur Hedwigslegende (was in einem Nachwort auch nicht zu erwarten ist).

Die Ausgabe der Übersetzung der Hedwigslegende durch den Franziskaner Kilian von Meiningen richtet sich an äußerst unterschiedliche Leser. Die Bewertung sollte daher nach Adressaten differenziert ausfallen. Für (mediävistische) Literaturwissenschaftler und Historiker, die sich vor allem mit dem Inhalt dieser Übersetzung der Hedwigslegende beschäftigen wollen, stellt die Edition eine zuverlässige und unverzichtbare Grundlagenarbeit dar. Mediävisten, Sprachhistoriker und Übersetzungswissenschaftler werden die vorgenommenen Normalisierungen bedauern, ein Glossar zu sprachgeschichtlich bedeutsamen frühneuhochdeutschen Wörtern vermissen und für einen Vergleich der Übersetzung mit der lateinischen Vorlage auf die Lesarten der übrigen Handschriften zurückgreifen. Die „interessierten Laien“ werden sich an der modernen Übersetzung der Übersetzung und an dem einführenden Nachwort erfreuen.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

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Sabine Seelbach: Die Legende der heiligen Hedwig.
Zweisprachige Ausgabe nach Codex Schleusingen G 189.
Aschendorff Verlag, Münster 2015.
277 Seiten, 45,00 EUR.
ISBN-13: 9783402131398

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