Kann Europa links werden?

Intellektuelle diskutieren mit Yanis Varoufakis die Demokratisierung Europas

Von Felix BreuningRSS-Newsfeed neuer Artikel von Felix Breuning

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Während und nach der sogenannten „Griechenland-Krise hat sich der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis als intellektuelle wie politische Gallionsfigur eines linken europäischen Projekts etabliert. Die von ihm initiierte Kampagne Democracy in Europe Movement 2025 (DiEM 25) fordert eine sozialere Europäische Union.

Bei Matthes & Seitz erscheint nun die Verschriftlichung einer vor der Gründung von DiEM 25 geführten Podiumsdiskussion zwischen Varoufakis und einigen anderen linken Intellektuellen. Im Oktober 2015 diskutierte er in der Berliner Volksbühne mit dem italienischen Operaisten Franco Bifo Berardi, dem kroatischen Autor Srećko Horvat und dem italienischen Publizisten Guillaume Paoli. Wobei Diskussion hier recht sokratisch verstanden werden muss: Intellektuelle fragen, Varoufakis antwortet. Er ist der charismatische Star des Abends, lässt sich feiern für sein Ringen mit der Troika, verflucht die Fehler der europäischen Sozialdemokratie und breitet in langen Beiträgen sein Programm eines europäischen New Deals aus.

Wer Varoufakis’ Analysen schon kennt, darf hier natürlich nichts Neues erwarten – seine Beiträge sind aber durchwegs unterhaltsam, nicht zuletzt dank einiger Anekdoten über die persönlichen Machtverhältnisse innerhalb der Troika, die Orientierungslosigkeit der SPD und die Selbstwidersprüche mancher Neoliberaler. Und es ist aufschlussreich, wie radikal Varoufakis’ keynesianistische Vorschläge dort klingen, wo Sozialdemokratie sonst SPD bedeutet: Aufwertung des europäischen Parlaments zur echten Legislative, Initiierung einer paneuropäischen Demokratiebewegung statt nationaler Parteien, unmittelbare Armutsbekämpfung durch europäische Konsumgutscheine – all das versucht zumindest, der trostlosen Austeritätspolitik eine ökonomische und politische Alternative entgegenzusetzen.

Ärgerlich bleibt aber die Pathologisierung durchdrehender und berauschter Banker anstelle der Fragen: Warum tun die was? Und: Wodurch entsteht der Machtgewinn des Finanzkapitals, der bei Varoufakis so unerklärt bleibt? Auch die Vorstellung, ein großangelegtes Investitionsprogramm würde rechten Bewegungen sofort den Wind aus den Segeln nehmen, ist sicher zu einfach gedacht.

Das größte Ärgernis dieses Bandes ist allerdings sein zweiter Teil: Eine als philosophisch  angekündigte Zitatcollage des Heidegger-Herausgebers Peter Trawny. Sein Versuch, aus Versatzstücken von Karl Marx, Jacques Derrida, Cicero und Aristoteles ein konkretes politisches Programm für die Vereinigten Staaten von Europa zusammenzuflicken, scheitert auf ganzer Linie. Nicht nur täuscht er über den autoritären Philosophismus des Versuches hinweg, mit philosophischen Texten ein bestimmtes Verfassungsmodell zu begründen. Auch die Vorstellung, man könne nun doch endlich das Wesen der Gerechtigkeit aus der Natur des Menschen herauslesen, hilft niemandem weiter. Ganz entgegen dem restlichen Band verfällt Trawny schließlich gar in einen philosophischen Nationalismus, wenn er fragt, ob es eine Philosophie jenseits von Europa – dem eigentlich philosophischen Ort – überhaupt geben könne. Man kann das als Warnung verstehen: Ohne Kosmopolitismus ist ein besseres Europa jedenfalls nicht denkbar.

Titelbild

Peter Trawny: Europa kaputt? Für das Ende der Alternativlosigkeit.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2016.
110 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-13: 9783957572806

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