Kein zweiter Akt

In der Romanbiographie „Westlich des Sunset“ erzählt Stewart O’Nan von F. Scott Fitzgeralds letzten Lebensjahren in Hollywood

Von Eva PeukertRSS-Newsfeed neuer Artikel von Eva Peukert

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Francis Scott Fitzgerald wurde als 23-Jähriger mit seinem Debütroman Diesseits vom Paradies über Nacht reich und berühmt. Seine Frau Zelda und er galten als das Traumpaar der Goldenen Zwanziger. Sie führten ein Leben voller Partys und Ausschweifungen in New York, Paris und an der Côte d’Azur und gaben ihr Geld mit vollen Händen aus. Obwohl Fitzgerald Unmengen an Geld verdiente, war er immer verschuldet. Schon Mitte der 20er Jahre begann die Ehe zu kriseln, 1930 war fast alles verloren. Zelda erlitt einen Nervenzusammenbruch, Diagnose Schizophrenie. Ihr Mann hatte mit seinen eigenen Dämonen zu kämpfen. Er war zu dieser Zeit schon zehn Jahre Alkoholiker. Die finanziellen Misserfolge seiner letzten Romane, die hohen Ausgaben für Zeldas Klinikaufenthalte und Tochter Scotties Internat führten zu einer immer größeren Verschuldung. Er konnte sich nur noch mit dem Schreiben von Kurzgeschichten über Wasser halten, die er aber nicht als künstlerisch wertvoll betrachtete. Als er 1937 ein Angebot als Drehbuchschreiber für MGM bekam, ging er nach Hollywood.

O’Nans Roman steigt zu dieser Zeit ein und endet mit dem Tod von Fitzgerald. Anschaulich und detailliert beschreibt er, wie Fitzgerald in die Mühlen von Hollywood gerät. Inmitten von schillernden Filmstars und alten Schriftsteller-Weggefährten wie Dorothy Parker ist er der Gescheiterte. Mühsam hangelt er sich von einem Filmprojekt zum nächsten, von denen er meistens entweder wieder abgezogen wird oder die nach kurzer Zeit wieder verworfen werden. Nebenher beginnt er die Recherche für seinen letzten Roman Die Liebe des letzten Tycoon. Den Kontakt zu seiner Ehefrau Zelda, die in einer Klinik lebt, hält er vorwiegend durch Briefe. Die wenigen, kurzen Ausflüge oder Urlaube mit ihr sind eine Qual für Fitzgerald. Bedingt durch ihre Krankheit erlebt er bei jeder Begegnung eine andere Person, die mit seiner Ehefrau kaum noch Ähnlichkeit hat. Die gemeinsamen Urlaube enden für ihn in einem Absturz. Den einzigen Halt in seinen letzten Jahren findet er in der englischen Klatschkolumnistin Sheilah Graham. Er verliebt sich in sie, weil er sie für ein Abbild von Zelda hält. Sie verfällt seinem Charme und bleibt trotz seiner Alkoholexzesse, Misserfolge und Ehefrau bei ihm.

Der Reiz dieses Buchs liegt in der überzeugenden Darstellung der Gedanken- und Gefühlswelt von Fitzgerald durch den personalen Erzähler. Der Leser wird tief hineingezogen in die zerrissene Persönlichkeit dieses Mannes und leidet so bis zum Schluss mit am unaufhaltsamen Abstieg des Autors. Es ist das Psychogramm eines Alkoholikers, der sich letztlich selbst zerstören will, weil er nur noch die Erinnerung an seine Vergangenheit hat. Stewart O’Nan gelingt es überdies einnehmend gut, die Hollywood-Ära der 30er Jahre vor den Augen des Lesers lebendig werden zu lassen. Er blickt hinter die Fassade des Hollywood-Studiosystems und gewährt Einblicke in den Alltag der Filmleute auf dem Studiogelände. Dass der Protagonist seines Werks als ausgezeichneter Beobachter bekannt war, kommt ihm dabei zugute. In einer Szene während des Mittagessens auf dem Studiogelände von Metro betrachtet Fitzgerald die Anwesenden: „In nächster Nähe zu Ronald Colman verschlang Spencer Tracy ein Club Sandwich; neben ihm, die berühmten Lippen gespitzt, blies Katherine Hepburn auf einen Löffel Tomatensuppe. Mayer und Cukor schüttelten theatralisch einen sanduhrförmigen Würfelbecher, um zu sehen, wer bezahlen musste.“

Das ist sehr gelungen, aber eine kleine Schwäche hat O’Nans Buch. Für seine Romanbiographie musste er die biographischen Fakten über die Fitzgeralds mit der Fiktion mischen. Er hat sich dafür entschieden, den Charakter von F. Scott Fitzgerald positiver darzustellen als er tatsächlich war. Seine wirklich dunklen Seiten werden im Buch oft nur angerissen.

Wie man aus Fitzgeralds Tagebüchern erfahren kann, war dieser ein sehr herrischer und jähzorniger Ehemann, der seine Frau trotz ihrer Krankheit klein halten wollte; ein sehr strenger Vater und ein Mann, der betrunken seine Freundin Sheilah verprügelte. Besonders auffallend ist, was für ein negatives Bild von Zelda Fitzgerald gezeichnet wird. Ihrem teilweise aggressiven und unberechenbaren Verhalten wird eine böse Absicht zugeschrieben, obwohl es ihrem Krankheitsbild entspricht. Unterstrichen wird das im Buch noch durch die angedichtete, schlechte Beziehung zu ihrer Tochter und durch den Vorwurf, sie sei der Auslöser für die schlimmeren Abstürze ihres Mannes. Sicherlich war auch sie keine Heilige und hat vor dem Ausbruch ihrer Krankheit ein ähnlich wildes Leben wie ihr Mann geführt, doch kann ihr nicht die Schuld für das Scheitern Fitzgeralds gegeben werden.

Warum also diese Umdeutung? Vermutlich, weil der Leser sonst nicht den Weg mit der Figur Fitzgerald bis zum Ende mitgehen und auch kein Bedauern oder Mitgefühl für sein Scheitern empfinden würde.

Das Scheitern am amerikanischen Traum ist auch das zentrale Thema, das sowohl der Autor O’Nan als auch der Autor Fitzgerald in ihren Werken behandeln. Eine nicht ganz zufällige Verbindung. Während O’Nan aber den Beruf des Flugzeugingenieurs aufgeben, sich seinen Wunsch von der Schriftstellerei erfüllen konnte und das Scheitern des amerikanischen Traums nur literarisch verarbeitete, blieb bei Fitzgerald dieses Scheitern sowohl in seinem Leben als auch in seiner Literatur bestimmend. So ist denn auch im Buch Fitzgeralds letzter Gedanke: „Aber ich bin noch nicht fertig.“

Anmerkung der Redaktion: Die Rezension gehört zu den studentischen Beiträgen, die im Rahmen eines Lehrprojekts im Sommersemester 2016 entstanden sind und gesammelt in der Oktoberausgabe 2016 erscheinen.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Stewart O'Nan: Westlich des Sunset. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Thomas Gunkel.
Rowohlt Verlag, Reinbek 2016.
416 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783498050450

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