Botschaften von unterwegs

Über Elmar Jansens Essayband „Ein Luftwechsel der Empfänglichkeit“

Von Alexandra HildebrandtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexandra Hildebrandt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zum Reisenden gehört, dass er immer unterwegs und alles in Bewegung ist – es gibt keinen Schlussstrich. Das gilt auch für den Essayband Ein Luftwechsel der Empfänglichkeit von Elmar Jansen, der überwiegend Botschaften von unterwegs enthält: Erkundungen aus fünf Jahrzehnten, zu Problemen einer vergleichenden Geschichte der Künste, unter anderem zu William Hogarth, Francisco de Goya, E.T.A. Hoffmann, Friedlieb Ferdinand Runge sowie zu zahlreichen Künstlerschicksalen zwischen Romantik und Moderne.

Aber auch Umrisse von Lebensbildern des Autors sind zu finden: Ost-West-Verhältnisse, wie er sie erlebte, vor allem die Zäsuren der Jahre 1945 und 1961 werden thematisiert – gedacht als Anregung, als Annäherung an große Themen, die bei Jansen immer mit den kleinen, unscheinbaren verbunden sind. Vor allem diese Passagen machen das Buch zu einer besonderen Lektüre, weil sie zeigen, was Lebenskunst und Können gerade in Umbruchs- und Krisenzeiten bedeutet. Als Jansens Familie 1942 aus Nordrhein-Westfalen, das damals noch nicht so hieß, nach Sachsen übersiedelte, schrieb ihm seine Großmutter: „Ihr lebt nun in der Diaspora.“ Damit wollte sie zum Ausdruck bringen, dass es eine ferne, von ihr nie betretene Gegend war, in der ihr ungekannte Gebräuche  und Glaubenslehren herrschten. „Sieh zu, schau dich um“, lautete ihr Rat. Elmar Jansen hatte ihn verstanden: „Sich nicht hinters Licht führen lassen, nicht alles für bare Münze zu nehmen.“

Sein Bücherschrank spiegelte schon früh sein Leben: Was ihm auffiel, wich von dem ab, was allgemein gefragt war: „kaum beachtet, in unteren, hinteren Ecken“. Auf Nebenschauplätzen spielten sich auch seine Lehrjahre ab – oft erhielt er Prädikate wie „mangelnder Ehrgeiz“ oder „Thema verfehlt“.

Die Wege des Geistes waren oft Umwege – diese Erkenntnis machte der „bewanderte“ Leser schon in jungen Jahren. Aber gerade sie waren es, denen er ein breites Themenspektrum und zahlreiche „Hervorbringungen“ verdankt: mehr als 20 Buchveröffentlichungen, 300 Abhandlungen und Rezensionen in Zeitschriften, Zeitungen und Katalogen mit Themen, die von der Romantik bis zur Gegenwart reichen.

Bekannt wurde Jansen vor allem durch Veröffentlichungen zu Carl Gustav Carus, Käthe Kollwitz und Ernst Barlach. Er studierte bei Richard Hamann (1879–1961), einem Schüler Wilhelm Diltheys, Georg Simmels und Heinrich Wölfflins. Der Kunsthistoriker und Begründer des Bildarchivs Foto Marburg übernahm 1947 neben seiner Marburger Professur auch eine Gastprofessur (ab 1948 Lehrstuhlvertretung) an der Humboldt-Universität in Berlin, bis er dort – gegen seinen Willen – 1958 entlassen wurde. Sein handschriftlicher Protest hing eine Zeit lang am Schwarzen Brett. Er enthielt nachhaltige Sätze: „Es gibt keinen Sozialismus des Parteibuchs […] Gesinnung kann man heucheln, Können muss man beweisen.“

Seine Lebenshaltung spiegelt auch eine im Buch zitierte Stelle in Rainer Maria Rilkes Dichterbriefen (1902), die Jansen nach Hamanns Tod entdeckte. Von Auguste Rodin ermutigt, schreibt Rilke hier: „Man soll arbeiten und Geduld haben. Nicht rechts, nicht links schauen. Das ganze Leben in diesen Kreis hineinziehen, nichts haben außerhalb dieses Lebens.“ Diese Wegleitung trug auch Elmar Jansen „einigermaßen getrost nach Hause“.

Indem er immer wieder gängige Pfade verließ und sich durch das „Dickicht des Zweifels“ schlug, musste er auf der Hut sein und mit bitteren Erkenntnissen rechnen: „Dort, wo sich die strebsamen Aufsteiger oder auch Anpasser trafen, begehrte der Eleve keinen Zutritt. Auch bei Abweichlern, die ketzerische Bemerkungen vom Stapel ließen, schien ihm Vorsicht erlaubt.“ Jansen, der Andersdenkende, der dies auch in seiner Personalakte bestätigt fand, arbeitete zwar in eingeschränkten Betätigungsfeldern (so war er langjähriger Mitarbeiter der Ost-Berliner Akademie der Wissenschaften, ab 1971 Akademie der Künste, die ihn 1989 zum Professor berief), was aber seine „freischwebende Intelligenz“ nicht einschränkte. Sie zeichnet sich durch unabhängiges Denken und Handeln aus, rebelliert unerschrocken gegen Bevormundung und hat Freude an der Vielfalt des Lebens. Davon zeugt seine in Ostdeutschland entstandene Essayistik, die das westliche Publikum leider nur sporadisch erreichte. Der Stil seiner Essays ist nicht akademisch und auch nicht „kunstwissenschaftlich“ (Jansen hatte zu offiziellen sozialistischen Lehrstühlen keinen Zutritt).

Viele seiner Texte sind wie Keime, die von der Leserschaft weiter gezüchtet werden können und sie produktiv machen. Sie leben, weil sie nicht den Anspruch erheben, ,fertig‘ zu sein, weil Denkspuren nicht getilgt sind, und der Leser nicht durch blickdichte Festigkeit erdrückt wird. Sie lesen sich „frisch wie eine Zeitung“ (Johann Wolfgang von Goethe über Christoph Martin Wielands Cicero-Übersetzungen): Sie sind unverbraucht und gegenwärtig. Das zeigt sich angesichts der Ereignisse in Paris. Vor dem Hintergrund des Anschlags auf Charlie Hebdo erhält sein Text „Passionswege der Satire. Skizzen zu einer Geschichte der Deformation“ eine neue Dimension. Und immer wieder wird Karl Kraus zitiert: „Shakespeare hat alles vorausgewusst.“„Beflügelt und verpuppt“ – die Charakterisierung der Hervorbringungen von Walter Benjamin trifft auch auf die Essays von Elmar Jansen zu.

Auch bei ihm, der dem Sammler und Historiker Benjamin zahlreiche Essays widmet, finden sich schwebende Denkbilder von unterwegs, die von einem freien und geheimnisvollen Dasein künden. Der größte Werkblock aber gilt Ernst Barlach, der zu seinem Lebensthema wurde.

Elmar Jansen ist im Hamannschen Sinne ein unermüdlicher Arbeiter und Berufener, der als „Könner“ sein Leben selbst in die Hand nimmt und präzise ans Werk geht. Seinen Freunden, die ihn zum Schreiben ermuntert haben, glaubt er am besten danken zu können, indem er weiterarbeitet, solange es eine Kräfte zulassen.

Titelbild

Elmar Jansen: Ein Luftwechsel der Empfänglichkeit. Baal, Barlach, Benjamin und andere Essays.
Wallstein Verlag, Göttingen 2016.
516 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783835318359

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