Hochpolitisch, softpornografisch und mittelmäßig

Mario Vargas Llosas Roman „Cinco esquinas“ ist leider kein Meisterwerk

Von Martina KopfRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martina Kopf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Idee war gut, aber die Umsetzung eben nur mittelmäßig: „Cinco esquinas“ führt uns ins Peru der 90er Jahre, als Alberto Fujimori regierte, das Land immer wieder von extremistischen Gruppen wie Sendero Luminoso oder Movimiento Revolucionario Túpac Amaru (MRTA) verunsichert wurde, die Sperrstunde zum Alltag gehörte und die Klatschpresse von Fujimoris rechter Hand, Vladimiro Montesinos – auch ‚der Doktor‘ genannt –, zur Umsetzung eigener Interessen missbraucht wurde.

Mit der Sperrstunde, dem sogenannten ‚toque de queda‘, fängt der Roman des Nobelpreisträgers auch an. Chabela besucht ihre Freundin Marisa, beide im mittleren Alter, wohlhabend und verheiratet, als sie von der Sperrstunde überrascht werden und Chabela die Nacht in Marisas Bett verbringen muss. Marisas Mann Enrique alias Quique ist beruflich verreist und in dieser Nacht schlägt ihre Freundschaft in eine lesbische Beziehung um, die jedoch vorerst geheim bleibt, sich gegen Ende in eine Ménage-à-trois und schließlich vermutlich in eine Ménage-à-quatre entwickelt. Auch Quique war seiner Frau allerdings nicht hundertprozentig treu, er wird Opfer des Boulevardmagazins Destapes, das den bekannten Ingenieur bei einer Orgie in Stellung 69 auf dem Titelbild zeigt. Als kurz darauf der Chefredakteur der Zeitung, Rolando Garro, im heruntergekommenen Stadtteil Limas Cinco esquinas, was so viel wie fünf Ecken bedeutet, tot aufgefunden wird, stellt sich die Frage: Wer hat den Klatschreporter umgebracht? 

Es dauert nicht allzu lange bis die Wahrheit ans Licht kommt. Cinco esquinas ist kein Krimi, vielmehr ein politischer Thriller, der von zu vielen Sexszenen durchzogen ist, die dem Roman nicht sonderlich gut tun. In einem Interview in El País hat Vargas Llosa – nicht zu vergessen Autor diverser erotischer Romane – einmal erklärt, dass Pornografie schlecht geschriebene Erotik sein. Fragt sich also, warum er seinen Roman mit so viel schlechter Erotik überfrachtet hat: Diese softpornografischen Szenen wirken – ebenso wie häufig die Dialoge zwischen den Liebenden – künstlich und klischeehaft und geben Auskunft über Details, die man gar nicht wissen will. 

Unbestreitbar ist: Vargas Llosas neuer Roman ist ein politischer Roman. Er ist sogar hochpolitisch, denn er verarbeitet nicht nur innenpolitische Skandale der 90er Jahre, sondern erschien – kann das Zufall sein? – in diesem Jahr kurz vor den peruanischen Wahlen, bei denen Fujimoris Tochter Keiko gegen Pedro Pablo Kuczynski antrat und letztendlich knapp verlor. Vargas Llosa hatte deutlich vor einem Sieg Fujimoris gewarnt: Mit Keiko käme die Diktatur wieder an die Macht. 

Hat Cinco esquinas also den Wahlausgang beeinflusst? Vargas Llosa trat bei den Wahlen 1990 selbst gegen Alberto Fujimori an und verlor in der Stichwahl. Er kehrte Peru damals den Rücken, verarbeitete seine Enttäuschung über Land und Leute in seinem Roman Lituma en los Andes / Tod in den Anden (1993). Vor diesem Hintergrund liest sich sein neuer Roman auch als späte, aber dafür doppelte Rache an seinem Kontrahenten Fujimori.       

Cinco esquinas scheint darüber hinaus ein medienkritischer Roman sein zu wollen, der den Boulevard-Journalismus auf die Schippe nimmt und ihm Machtmissbrauch vorwirft. Symbolisch für diesen Verfall des Journalismus steht das Limenser Viertel Cinco esquinas, das sich von einem ehemaligen Glanzviertel, in dem der berühmte Tanzmusikkomponist Felipe Pinglo bis in die 1930er Jahre lebte, in ein Elendsviertel verwandelt hat. Rolando Garro stammt aus diesem Stadtteil und wird hier tot aufgefunden und auch seine Mitarbeiterin Retaquita, die nach seinem Tod zur neuen Chefin von Destapes wird, wohnt dort. Felipe Pinglo ist Vorbild für die Romanfigur Juan Peinata, ebenfalls ein ehemaliges Opfer der Klatschpresse, mittlerweile alt und arm, aber Beschwerdebriefe an Rolando Garro verfasst er regelmäßig. Damit wird er neben Enrique zum Verdächtigen.

Dass die Klatschpresse vor keiner Enthüllung halt macht, aber auch zwei Gesichter hat, musste Vargas Llosa in diesem Sommer am eigenen Leib erfahren. Der in diesem Jahr 80 gewordene und frisch Geschiedene zierte gemeinsam mit seiner neuen Partnerin Isabel Preysler, ehemals Model und Ex-Frau von Julio Iglesias, das Titelbild des spanischen Gala-Äquivalents ¡Hola!: Mario mit Basecap, die quasi faltenfreie 65-jährige Isabel im Badeanzug und darüber der Titel: „Descubrimos las exóticas y románticas vacaciones de Isabel y Mario“ („Entdecken wir die exotischen und romantischen Ferien von Isabel und Mario“). Alles allerdings harmlos, durchweg vorteilhafte Aufnahmen, keinerlei Skandal – wie ist das möglich? Vermutlich weil Vargas Llosas neue Partnerin auch Journalistin bei eben dieser Boulevardzeitschrift ist.    

Enthüllungen dienen also ebenso der Selbstinszenierung und nicht zuletzt können sie moralisch gut sein, indem sie das wahrhaft Böse ans Licht bringen. Das zeigt auch das Ende des Romans, hier kommt es zu einem eher unerwarteten Kurswechsel: Destapes, Instrument der Regierung, wird schließlich zu ihrem Verräter. Das Organ, das der Regierung Fujimoris die Macht garantierte, führt – wenigstens im Roman – zu ihrem Sturz: Das letzte Kapitel trägt den wenig einfallsreichen Titel „¿Happy end?“ und wieder geht es um Sex, allerdings diesmal unter der Präsidentschaft Alejandro Toledos.

Dass er ein großer Erzähler ist, hat Vargas Llosa, der im April in die Bibliothèque de la Pléiade aufgenommen wurde, zur Genüge bewiesen. Auch in Cinco esquinas schimmert dieser große Erzähler immer noch durch, doch scheint er nur noch halb da zu sein. Im Kapitel „Un remolino“ (,ein Strudel‘) kommt es zu einem regelrechten Absturz: Der Versuch die verschiedenen Handlungsstränge strudelartig zusammenzubringen, irritiert nicht nur, er ist schlichtweg misslungen. Leider: Vargas Llosas Spätwerk ist kein Meisterwerk mehr.    

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Mario Vargas Llosa: Cinco esquinas.
Alfaguara, Barcelona 2016.
314 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9788420418964

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