Keine Rettung. Mark Schaevers „Orgelmann“

Das Buch über Leben und Werk des Künstlers Felix Nussbaum ist jetzt auf Deutsch erschienen

Von Julia AmslingerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Julia Amslinger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Für Schaevers ist es ein Wunder, so schreibt er im Vorwort seines Buchs Orgelmann, dass Felix Nussbaums Bilder „tatsächlich überlebt“ haben und nicht vergessen sind. Der Grundmythos des modernen Kunstmarkts, wonach etwas kulturell Bedeutsames wahlweise aus dem metaphorisch dichten Nebel des Vergessens tritt, aus einem reißenden Zeitfluss auftaucht oder sich wie der Feuervogel Phoenix aufschwingt, um nach seinem Wiederauftritt endgültig den verdienten Platz im Kanon einzunehmen, wird auch hier anzitiert. Doch solche Überlieferungen klingen immer etwas zu schön, um ganz wahr zu sein. Geschichte wird leichter erzählbar, wenn man sie im Schema des Überlebens bzw. als Rettung berichtet.

Aber ist das Wunder wirklich ein Wunder? Nach der Lektüre von Schaevers Buch muss man sagen: Nein. Viele Bilder Nussbaums sind erhalten geblieben und vermutlich wird das Werkverzeichnis Nussbaums durch Funde oder Fälschungen in Zukunft noch weiter anwachsen. Aber Kunstwerke sind keine Lebewesen – sie können nicht überleben, sondern nur übrig bleiben.

Dieses Buch handelt nicht von Wundern. Es ist vielmehr eine beunruhigende Suche nach Spuren des Künstlers Nussbaum. In den dreißiger Jahren war er eine Berühmtheit der Berliner Kunstszene. Es folgte ein Stipendium an der Villa Massimo in Rom und Reisen ins europäische Ausland, bei denen er den vom ihm bewunderten Malern der Moderne nachspürte. Ab 1933 wird der aufstrebende Künstler aufgrund der einsetzenden Repressionen zunächst zum Exilanten, dann zum Internierten des belgischen Staates, zum staatenlosen untergetauchten Bewohner Brüssels und – die letzte Station dieses leidvollen Abstiegs – zum Verschleppten. Schaevers ging es, so die lapidare Selbstaussage, darum, „ein bisschen mehr“ über den 1944 oder 1945 in Auschwitz getöteten Künstler Nussbaum und seine Frau Felka Platek zu erfahren. Entstanden ist eine umfassende Dokumentation seiner Recherche. Orgelmann handelt von Nussbaums und (sehr viel weniger prominent) Plateks Lebensgeschichte, von der Entstehung der Bilder Nussbaums und ihrer Überlieferung. Es ist zudem eine Geschichte der schwierigen Etablierung eines toten Malers in den internationalen Kunstbetrieb: 1998 wurde das Felix-Nussbaum-Haus in Osnabrück eröffnet, entworfen von Daniel Liebeskind. Felix Nussbaum ist kein vergessener Maler, seine Bilder werden weltweilt ausgestellt und zu hohen Preisen gehandelt. So endet das Buch in der Gegenwart. Von wem genau und in welchen Kontexten Felix Nussbaums Werke nach dem Krieg in Osnabrück gesammelt wurden und wie schließlich ein eigenes Museum mit zugehörigem Nussbaum-Archiv entstand, wird detailliert berichtet und auch über Lücken in der Überlieferung gibt Schaevers Auskunft, verbunden mit dem engagierten Aufruf, wenn möglich ergänzende Informationen an den Autor weiterzugeben.

Schaevers hat in eindrucksvollem Umfang Nussbaumliteratur gelesen, Nussbaumbilder studiert, Nussbaumforscher befragt, Nussbaums Bekannte aufgesucht und ist zu eben jenen Orten gereist, an denen Felix Nussbaum gelebt hat. Das Buch richtet sich ganz klar an einen Leser, der wie der Autor und mit ihm zusammen gerne mehr über den Maler erfahren möchte. Es ist das Verdienst Schaevers, Werk und Leben dieses Malers einem breiten Publikum vorzustellen und zugänglich zu machen. Das Buch versteht sich als Zusammenstellung bekannter Dokumente – dazu gehören an erster Stelle natürlich die Bilder, die in dem reich illustrierten Band dankenswerter Weise viel Platz eingeräumt bekommen. Entlang dieser Werkschau verläuft auch der Spannungsbogen – es ist das alte Verfahren des ut pictura poesis, das Schaevers Konzeption zu Grunde liegt. Doch in Umkehrung des Kunst-Katalog-Prinzips werden die Bilder von einem Text begleitet, der sich nicht ausschließlich als Kommentar zu ihnen versteht, sondern eine eigene, manchmal auch konträr zu den Bildinhalten verlaufende Geschichte erzählt. Dabei überraschen vor allem die Details der Lebensumstände des ungleichen Paares Nussbaum und Platek, die konkreten Szenen ihrer Existenz in einem zunehmend bedrohlicher werdenden Umfeld.

Nussbaum musste sich Ende der dreißiger Jahre – aller anderen wirtschaftlichen Möglichkeiten beraubt – mit dem Bemalen von Gebrauchskeramik seinen Lebensunterhalt verdienen. Er schildert dem Kunstkritiker Paul Westheim 1939 seine Situation: „Ansonsten male ich Teller, kurzum alles was zerbrechlich ist.“ Der Porzellan bemalende Nussbaum in Brüssel ist ein starkes Bild. Schaevers kommentiert lapidar, indem er ein Nussbaum-Zitat („dass ich noch nicht an der Zeit kaputt gegangen bin“) aufgreift: „Die Zeit kriegt ihn und seine Seele einfach nicht kaputt.“ Aber müsste man diese Selbstaussagen nicht in ihrer rhetorischen Verfasstheit beleuchten, anstatt sie nur zu wiederholen? Schaevers nimmt Nussbaum oft allzu wörtlich und kümmert sich wenig um die subtileren Zwischentöne bzw. den Kontext der nachgelassenen Dokumente.

Mit der Besetzung Belgiens durch die Deutschen beginnt auch in Brüssel die Judenverfolgung. Nussbaum und Platek müssen sich registrieren lassen, ihre Pässe werden gestempelt und sie werden zum Tragen des Judensterns verpflichtet. Schaevers schreibt: „In den Jahren seit Kriegsbeginn war Nussbaum explizit der Todesgefahr ausgesetzt und hatte genug Zeit gehabt, über die Endlichkeit des menschlichen Lebens zu reflektieren: Wie geht man mit der Absurdität des unausweichlichen Todes um?“ Dieses Vanitas-Vokabular der „Endlichkeit des menschlichen Lebens“ wirkt seltsam unpassend für eine genau zu kontextualisierende Situation der Bedrohung durch die deutschen Besatzungstruppen und die nachgerückten Organisationseinheiten in Brüssel. In Bezug auf Nussbaums Bild Triumph des Todes beantwortet Schaevers selber seine Frage nach dem Umgang mit Todesgefahr. „Ich lese seine gemalte Antwort so: Nichts kann gegen den Tod etwas ausrichten, und deswegen kann man ihm genausogut ins Gesicht lachen. Deshalb beleuchtet er sein düsteres Kriegsbild mit dem milden Schein einer schmerzlichen Fröhlichkeit.“

Ist diese Behauptung nicht auch zu einfach, nicht zu beruhigend, vielleicht sogar naiv? Natürlich setzt sich Nussbaum in seinem Bild mit der frühneuzeitlichen Totentanz-Tradition auseinander. Schaevers bleibt jedoch auch als Interpret im immanenten Deutungsangebot der Nussbaumschen Bildwelten und macht nicht explizit, dass „Tod“ 1943 kein überzeitliches, aber dennoch höchst individuelles Phänomen bezeichnet, sondern das erklärte Ziel der deutschen Vernichtungspolitik ist.

Der Verlag bewirbt das Buch mit der griffigen Formel: „Was Anne Franks Tagebücher in der Literatur sind, sind Felix Nussbaums Bilder in der Kunst.“ Welches tertium comperationis verbirgt sich hinter dem nichtssagenden Vergleich? Wohl der Befund, dass weder das Leben der 1945 in Bergen-Belsen gestorbenen Anne Frank, noch das Leben Felix Nussbaums als Rettungsgeschichten berichtet werden können. Das unverfügbare magische Schema der Rettung wird so zur profanen Geschichte der Bergung von Hinterlassenschaften. Im Kern ist das Buch somit auch eine clandestine Würdigung eben der Personen, die sich um das Andenken eines großen Malers des 20. Jahrhunderts bemüht haben.

Felix-Nussbaum-Haus und Kulturgeschichtliches Museum
Lotter Straße 2
49078 Osnabrück

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Mark Schaevers: Orgelmann. Felix Nussbaum – ein Malerleben.
Galiani Verlag, Berlin 2016.
480 Seiten, 38,00 EUR.
ISBN-13: 9783869711355

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