Im Westen viel Neues

Junge Autoren in Flandern und den Niederlanden

Von Jasmin M. HlatkyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jasmin M. Hlatky

Wie überall auf der Welt hat es die Literatur auch in Flandern und den Niederlanden schwer im 21. Jahrhundert. Sie konkurriert mit zahlreichen anderen Medien, kämpft mit einem allgemeinen abnehmenden kulturellen Interesse (wer hat noch Zeit zum Lesen?), muss dennoch finanziellen Ansprüchen genügen, sprich: sich verkaufen, und sucht gleichzeitig auf vielfältigste Weise und in allen Richtungen nach dem künstlerischen Ausdruck.

In den Niederlanden sorgen jedoch zahlreiche literarischen Preise, Festivals und Initiativen dafür, dass nach wie vor eine sehr lebendige Literaturszene existiert und viele junge Autorinnen und Autoren den Weg in die Verlage finden. Unterstützt von Institutionen wie Het Nederlands Letterenfonds (der niederländische Literaturfonds, der SchriftstellerInnen und ÜbersetzerInnen fördert), unzähligen Festivals, literarischen Zeitschriften und Blogs blüht die literarische Szene nach wie vor. Das mag auch an der niederländischen Leselust liegen, denn die Hälfte aller NiederländerInnen gibt an, gerne und regelmäßig  Bücher zu lesen (Quelle: Centraal Bureau voor de Statistiek, Stand 03.10.2016).

In Belgien ist die Situation noch einmal komplizierter: Etwa 60% der Belgier gehören zum flämischen Teil des Landes und sprechen und schreiben daher auch flämisch. Zwar gibt es eine niederländische Standardsprache, die offiziell in den Niederlanden und Flandern gesprochen wird, aber ebenso wie Deutschland, Österreich und Teile der Schweiz alle offiziell eine deutsche Standardsprache verbindet, herrschen auch hier deutliche Varianten vor. Geschichtlich betrachtet war das Verhältnis zwischen Flandern und den Niederlanden ebenfalls nicht immer ungetrübt. Kein Wunder also, dass seit langem die Diskussion auch auf kultureller Ebene schwelt, ob der große Bruder im Norden dem vermeintlich kleineren Flandern nicht ständig die Aufmerksamkeit stiehlt. Die intellektuelle Reflexion über Trennendes und Verbindendes bleibt ein Dauerbrenner, wie zahlreiche Publikationen dazu aus den letzten zehn Jahren deutlich zeigen.

So ging zum Beispiel das belgische Magazin Knack im Jahr 2010 auf die Suche nach einem möglichen Abstand zwischen flämischer und niederländischer Literatur und befragte dazu namhafte flämische Autorinnen und Autoren. Viele der Befragten sah eine Sprachkluft zwischen dem Flämischen und dem Niederländischen, die eben doch nicht über einen Kamm zu scheren sind, oder wenigstens eine Religionsgrenze (der katholische Süden gegen den calvinistischen Norden); einige andere konnte gar echte Mentalitätsunterschiede ausmachen. Die überwiegende Mehrzahl jedoch sprach sich los von dem unbedingten Willen, eine Kluft sehen zu wollen, wo vermutlich mehr Verbindendes vorherrscht.

Worüber redet man also als allochtone (ausländische) Rezensentin, wenn man von „niederländischsprachiger“ Literatur spricht? Die Antwort kann vielleicht in der Vielfalt der Autorinnen und Autoren im neuen Millennium liegen. Vermutlich gibt es nicht die eine niederländischsprachige Literatur, sondern die niederländischsprachigen Literaturen, in denen von der persönlichen Nabelschau über die Identitätssuche bis zur Fabulierlust alles geboten wird.

Eine der besten Sammlungen junger Autorinnen und Autoren hat der inzwischen verstorbene, überaus beliebte Journalist, Dichter und Moderator Wim Brands im letzten Jahr vorgelegt (De Nederlandse literatuur van de 21ste eeuw. De nieuwe schrijvers van het nieuwe millennium, samengesteld door Wim Brands). Brands trifft hier eine persönliche, alphabetisch angeordnete Auswahl von Autorinnen und Autoren, die ihr Debüt in den letzten fünfzehn Jahren hatten, und bescheinigt ihnen, dass sie deutlich vielstimmiger seien als noch in den sechziger, siebziger oder achtziger Jahren. Aufgenommen hat er in diese Sammlung insgesamt sechzig AutorInnen – die Zahl alleine schon zeigt, dass es noch viel zu entdecken gibt.