Vehementes Welttheater in simultan-grotesken Skizzen

Josef Hegenbarths Illustrationen zu Grimms Märchen „Der Teufel und seine Großmutter“ sind nun erstmals erschienen

Von Klaus HammerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hammer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Welt der Märchen hat Josef Hegenbarth ein Leben lang gefesselt. Allein zu Musäus und Grimm weist sein Illustrationswerk 100 Arbeiten auf. Bereits 1938 entstanden die ersten Pinselzeichnungen zu Musäus’ Legenden von Rübezahl und Die Bücher der Chronika der drei Schwestern. Ab 1940 nehmen in Hegenbarths Werk jedoch die Grimmschen Kinder- und Hausmärchen mit ihrer Fülle von Gestalten eine herausragende Stellung ein, sie regen ihn in der Folgezeit zu vielen neuen innovativen Zeichnungen an. Dabei gilt laut Hegenbarth: „Je einfacher gestaltet – desto klarer, je klarer – um so schlagender in seiner Wirkung auf den empfindsamen Beschauer“.

Sind die Arbeiten während der 1940er-Jahre noch unübersehbar an der Bildsprache Alfred Kubins orientiert, etwa die Waldschlösser zu Jorinde und Joringel und Die wahre Braut– , zeigen die späten Federzeichnungen eine auffallende Reduktion auf das Wesentliche. So wird für Hegenbarth in einer Arbeit zu König Drosselbart allein die aufstrebende Linie wichtig. Pferd und Reiter etwa verschmelzen durch eine Linie zu einer Einheit. Sie fährt, erst im breiten schwarzen Zickzack, den strengen Konturen des Mannes hoch auf dem Ross nach, um sich dann den Leib des sich bäumenden Pferdes entlang, in konträren, weichen Rundungen, erst kraftvoll verstärkend, dann schmal zulaufend, den organischen Formen anzupassen. Der Ort des Geschehens – der Markt mit einer sichtlich erschrockenen Töpferfrau, kreuz und quer fliegenden Scherben – bleibt, flüchtig skizziert und dennoch beeindruckend, im betont hell gehaltenen Hintergrund. „Ich begann ein System auszubauen“, schreibt Hegenbarth, „in dem ich die tragenden Linien und Schraffuren der Zeichnung verstärkte, d. h. in tieferem Schwarz vortrug, um sie in eine vorgelagerte, augenfälligere Dimension zu versetzen, während alle anderen Linien und Schraffuren wie in der Ferne stehend erscheinen“ („Vom Illustrieren“, 1961).

Diese tragenden Linien sind häufig nur noch als „Zeichen“ erkennbar, wie der Künstler bestätigt. Und schließlich verändert er auch das Gesamtbild seiner Arbeiten: „Es wurde großflächiger, ruhiger. Es gelang mir, stärkste Bewegung, zeichnerisch in Ruhe gebannt, vorzutragen“. Damit erreichte er, wie sein Biograph Fritz Löffler schlussfolgert, nahezu das Zeichen, die Hieroglyphe, „und wie dieses bedeutet auch die Zeichnung nur noch einen Teil des Gesamtschriftbildes. Dabei spielt die Verfestigung der Mittelachse und die Verstärkung der Diagonalen eine besonders wichtige kompositorische Rolle“.

Daraus lässt sich ein Grundprinzip Hegenbarthscher Illustrationskunst ableiten: Um eine gedachte Mittelachse dreht sich das diagonal aufgebaute „Hieroglyphensystem“. Die Häufung dieser hieroglyphenartigen Zeichen erfährt durch das verstärkte Schwarz eine rahmende Rundung. Seine Zeichnungen verdeutlichen auf kleinstem Raum die Intentionen Hegenbarths, wesentlich ist dabei die wohlbedachte Aufteilung auf einer Seite. Ständig um das Neue, Bessere bemüht, fängt er zudem das „Huschen eines Ausdrucks über das Gesicht, das Plötzliche einer Bewegung“ einer Figur ein, was auch die rasche Niederschrift verlangt, und darin liegt für Hegenbarth „die künstlerische Berechtigung und der Wert des Skizzenhaften“.

Eine große Anzahl Federzeichnungen dieses grafischen Zyklus’ begleiten – durchsetzt von einer Reihe farbiger Pinselzeichnungen bzw. Tempera-Arbeiten -  die Grimmschen Märchen. Sie bieten dem Betrachter die Möglichkeit des Vergleichs zu früheren Arbeiten wie etwa dem erwähnten Joringel und Jorinde.

Beim frühen Josef Hegenbarth findet sich eine Mischung von Pinselstrich und Federzeichnung, während seine ein- und mehrfarbigen Illustrationen nach 1945 hauptsächlich von der klaren schwarzen Linie leben. Die Physiognomie seiner Figuren wird in ausdrucksstarker Konturlinie eingefangen, Pinselschwünge und Tupfen ersetzen die Schatten in der Binnenzeichnung. Hegenbarth übersteigert die erzählten Vorgänge durch Einfühlung zu eigenen Dramen – durch Gesten, Gebärden, turbulente Szenen. Er liebt, wie er selbst sagte, „groteske Geschichten, witzige Tollheiten, welche die Phantasie stark anregen“. Nicht die Landschaft, das Milieu, das historische Detail, sondern die dramatisch bewegten Figuren stehen im Fokus der Illustrationen. Sie bilden ein eigenes Welttheater im Kleinen. Die abkürzende Zeichnung, die ungebrochene Farbe, die Kontraste in Hell und Dunkel, der überhitzte Rhythmus und die leidenschaftliche Dynamik, die Disproportionierung der Figuren und die Verschiebung der natürlichen Größen- und Raumrelationen sind jetzt für ihn charakteristisch.

Die Herausgeber Jutta und Christopher Breu präsentieren mit Der Teufel und seine Großmutter einen bedeutenden experimentierfreudigen Buchkünstler, der sich keineswegs eines bloß textbegleitenden Illustrationsstils bediente, sondern in der Auslegung des jeweiligen literarischen Stoffes markant seine eigene Subjektivität durchsetzte. Seine bisher so gut wie unbekannten Zeichnungen zum eher wenig bekannten Teufelsmärchen (neun farbige Pinselzeichnungen, 1940; zwei schwarze Federzeichnungen, um 1940/41; eine schwarze Pinselzeichnung, 1942; dazu eine Zeichnung in Leimfarben, 1960), sind nun in einer bildkünstlerisch Maßstäbe setzenden Ausgabe veröffentlicht. Sie fügen sich in ihrer Zusammenstellung zu einer Zusammenschau von Nah- und Totalaufnahmen. Bild und Text gehen ineinander über, die Szenen erscheinen in Groß- und Kleinformat, sich dabei mitunter wiederholend, sie werden stufenförmig, Zeile für Zeile, oder seitenübergreifend von links nach rechts erzählt. Die vom Künstler übersteigerte, zugespitzte Handlung, der physiognomische Ausdruck der Figuren dominieren. Die Individualität, um die es ihm etwa bei den Figuren in den Sieben Schwaben und der Goldenen Gans noch gegangen war, hat sich hier zum Typus gewandelt und das Groteske Einzug ins Märchen gehalten.

Christopher Breu und Katja Schöppe-Carstensen (Hegenbarth Sammlung Berlin) begründen in ihrem Beitrag die Darbietung der Illustrationen in Form eines „Storyboard“, eines Bilderbuchkinos, in dem die Figuren und Szenen nah herangeholt, dann wieder in den Hintergrund gerückt oder in der Großperspektive gezeigt werden. Dagegen widmet sich Andreas Bode, ein Spezialist deutscher und internationaler Illustration aus München, Hegenbarths Illustrationskunst im Allgemeinen und Besonderen und verweist auf die starke Identifizierung des Künstlers mit dem jeweiligen Text: „nie will er nur ‚illustrieren‘, mit Bildern schmücken, sondern er leidet mit allen seinen Figuren und ihren Verwicklungen und Verwirrungen mit“.

Hegenbarth setzt zwar auch im gebräuchlichen Großformat dickleibiger Teilausgaben an, bietet jedoch eine ungewöhnliche Fülle an Bildmaterial: ganzseitig und kleinteilig, in den Satz integriert, schwarz-weiß und in kräftiger Farbigkeit, kontrastreich im Spiel zwischen Buntheit und Schwarz-Weiß. In der Formsprache vereinfachend, dann wieder voller Turbulenzen, leistet er zweierlei: das Aufbrechen von grauen Bleiwüsten durch den Platz bis zum Rand hin ausnutzenden Kleinbildern einerseits und andererseits das knappe, präzise Erfassen der Märchenstruktur durch zumeist ein- bzw. doppelseitige Sequenz- oder Simultandarstellungen, an denen entlang das ganze Märchen rekonstruiert, nacherzählt und neu gedeutet werden kann. Seine bildkünstlerisch freien Illustrationen sind dem Gegenstand ebenbürtig: so zeitlos und allgemeingültig wie das Märchen selbst. 

Titelbild

Brüder Grimm / Josef Hegenbarth: Der Teufel und seine Großmutter. Ein Märchen der Brüder Grimm, illustriert von Josef Hegenbarth.
Herausgeber Jutta und Christopher Breu.
Verlag der Hegenbarth Sammlung, Berlin 2016.
50 Seiten , 10,00 EUR.
ISBN-13: 9783945970034

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