Zwei außergewöhnliche Künstler in der Nazi-Zeit

Das Leben zweier bekannter Künstler in einer hochpolitischen Zeit: „George“ und „Vor der Morgenröte“

Von Jan-Arne MentkenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan-Arne Mentken

Gerne hätte er Götz George für seine schauspielerischen Leistungen noch persönlich ausgezeichnet, wäre dieser nicht so plötzlich verstorben, meinte Festivaldirektor Michael Kötz in seiner Ansage zum Film George (2013). Das für Götz George selbst wohl wichtigstes Werk, eine Auseinandersetzung mit dem umstrittenen Leben des nicht minder bekannten Vaters, wurde ihm zu Ehren kurzfristig in das Programm aufgenommen. George feierte drei Jahre zuvor seine Premiere im Festivalprogramm auf der Parkinsel. Dem Film wurde seinerzeit kein Festivalpreis zuteil. Anders erging es Vor der Morgenröte (2016) in diesem Jahr. Die Stefan Zweig-Biographie wurde beim Ludwigshafener Festival des Deutschen Films mit dem Filmkunstpreis ausgezeichnet. Beide Filme spielen in der Zeit des Dritten Reichs, zeigen die letzten Jahre zweier prominenter Künstler und geben einen Einblick in ihren Umgang mit der hochbrisanten politischen Lage.

Viele bekannte Persönlichkeiten mussten sich nach Hitlers Machtübernahme im Jahr 1933 zwischen Exil und Anpassung entscheiden. Einigen allerdings wurde die Möglichkeit der freien Entscheidung verwehrt, da sie aus politischen Gründen zur Flucht gezwungen waren. Stefan Zweig war nach eigener Aussage „Jude aus Zufall“ und so musste der erklärte Pazifist seine Heimat bereits früh verlassen. Heinrich George entschied sich zu bleiben, gab sich betont unpolitisch, wurde jedoch teils passiv, teils auch gegen seinen ausdrücklichen Willen zum Unterstützer der nationalsozialistischen Propaganda. George und Vor der Morgenröte zeigen auf unterschiedliche Weise das gegenteilige Schicksal beider Männer, die den Krieg und seine Folgen nicht überlebten.

Regisseurin Maria Schrader, die gemeinsam mit Jan Schomburg das Drehbuch von Vor der Morgenröte schrieb, fokussiert sich auf vier Tage aus den späten Jahren Zweigs. In zumeist fiktiven Dialogen wird der Autor als Person des öffentlichen Lebens gezeigt und seine Trauer über die Vorgänge in Europa vor dem Hintergrund der eigenen Ohnmacht dargestellt. Einzig die erste Szenerie, ein PEN-Treffen im Jahr 1936 in Buenos Aires, beruht auf dokumentierten Gesprächen und Reden. In jenem Teil des Films wird Zweigs Unwille zur Verurteilung von Hitlers Vorgehen deutlich. Ein solches Urteil erscheine ihm arrogant, da er selbst nicht vor Ort sein könne, um die Situation hautnah mitzuerleben, und er sich zudem mit geäußerter Kritik – anders als Gleichgesinnte in Europa – keiner Gefahr aussetzen würde. Darüber hinaus galt Zweig seit jeher als Fürsprecher der Trennung von Politik und Literatur. In den späteren Szenen aus dem Jahr 1941 lernt man sein persönliches Umfeld kennen und erfährt die Gastfreundschaft der Brasilianer, spürt aber auch, vor allem in den ruhigen Szenen, die tiefsitzende Trauer Stefan Zweigs. Ein in einer einzigen Einstellung gefilmter Epilog zeigt letztlich die Trauer der Freunde und Bekannten über den Selbstmord von Zweig und seiner Frau, die sich mit Gift das Leben genommen haben. Die Leichen sind nur im Spiegel zu sehen. Hier werden jenes Vorspiegeln und die Unzugänglichkeit der Gefühle aufgegriffen, die bereits auf der Plot-Ebene den Film prägen.

Die Macher von George haben sich im Vergleich scheinbar stärker an Fakten orientiert. So entsteht durch die Vermischung von vier filmischen Ebenen ein umfassendes Bild eines Mannes, der in vielerlei Hinsicht einen Gegenpol zu Zweigs Persönlichkeit bildete. Dokumentarische Szenen zeigen Götz George und seinen Bruder Jan; sie reisen an Orte wie das Wohnhaus aus Kindertagen und sprechen über das gemeinsam mit dem Vater Erlebte. Zudem berichten Heinrich Georges frühere Weggefährten in Interviewsequenzen von ihren Erinnerungen an den Schauspieler. Neben den Originalaufnahmen und Interviews wird das Lebens Heinrich Georges von der Machtübernahme Hitlers bis zu seinem Tod im russischen Arbeitslager Hohenschönhausen in Spielszenen dargestellt. Götz George spielt darin die Rolle seines Vaters. Zwischendurch ergänzen dokumentarische Filmaufnahmen sowie originale Ausschnitte aus Kinofilmen mit Heinrich George an entsprechenden Stellen das filmische Konzept zur Annäherung an seine Person.

Bereits durch ihre Herkunft sind Heinrich Georges und Stefan Zweigs Ausgangspositionen in der Hitler-Ära unterschiedlich. Doch so verschieden sie mit der Situation umgehen, so ähnlich ist ihre in den aktuellen Filmproduktionen vermittelte Einstellung. Stefan Zweig verlässt Deutschland 1934, wird als „bekanntester deutschsprachiger Schriftsteller neben Thomas Mann“ immer wieder gedrängt, ein Statement über die Vorgänge in Deutschland abzugeben, doch hält er sich an seine streng unpolitische Devise – und das in einer Zeit, in der man kaum unpolitisch bleiben konnte. Er nutzt gleichzeitig seinen Einfluss als bekannter Schriftsteller bei verschiedenen Botschaften, um Freunden und Bekannten zur Flucht aus dem immer gefährlicher werdenden Mitteleuropa zu verhelfen. Letztlich setzt ihm das stetige Reisen zu und er zerbricht an dem Gedanken, nur wenige Menschen retten zu können. Heinrich George bezeichnet sich ebenfalls immer wieder als unpolitisch. Im Verhör durch einen russischen Offizier bekräftigt er, dass er immer nur Theater spielen wollte. Er erscheint hier als naive Person, die die eigene Position nicht reflektieren kann. George erhält von Goebbels Privilegien, so z. B. die Leitung eines eigenen Theaters (des Berliner Schillertheaters), in dem seinem Wunsch nach sogar jüdische und kommunistische Freunde angestellt sein durften. So ähnelt er Zweig in dem Versuch, seine Position zu nutzen, um gefährdeten Bekannten zu helfen. Anders als Zweig ist er jedoch noch in Deutschland und so muss er sich im Gegenzug für die diversen Zugeständnisse vereinnahmen lassen und in verschiedenen Propaganda-Filmen mitwirken. Auch wird er in die Planung seiner politischen Funktion für Hitler-Deutschland gar nicht mit einbezogen, wie der Bericht über die direkte Fahrt vom Wohnhaus in den Sportpalast zeigt, in dem George als Vertreter der Künstler wie ein zujubelnder Anhänger inszeniert wird. Die Tatsache, dass er vor Ort gar nicht gefilmt wurde, so berichtet Götz George im Interview, wird durch eine Manipulation, ein sich bewegendes, mit Klatschen hinterlegtes Foto gelöst. Die Charaktere von George und Zweig sind grundverschieden. Zweig wirkt zwar zufrieden und unterhaltsam im Kontakt mit anderen Menschen, doch spielt er diese Rolle nur, um seinen Einfluss geltend machen zu können. In stillen, nur mit leiser Musik unterlegten Szenen erkennt man in seinem nachdenklichen Blick die Trauer über den Krieg und über das Ende der Idee eines gemeinsamen Europas. Zweig überspielt seine Trauer und gibt sich betont unbeeindruckt, während George die geliebte Rolle des Komödianten einnimmt und bis zuletzt nicht seinen Optimismus verliert. Seine Grundhaltung, auch im Angesicht des drohenden Todes durch körperliches Versagen, zeigt sich sowohl in der humoristisch-positiven Bewertung seiner Gewichtsabnahme im Arbeitslager als auch durch die plötzlichen und lautstarken Rezitationen im Kreise dahinsiechender Mitgefangener. Daneben bleibt die Liebe zum Theater, die ihn dazu bringt, im Arbeitslager mit einigen Mithäftlingen Goethes Faust zu inszenieren und nach einem Spielverbot und der Einschränkung auf russische Stücke, Puschkin im Original auswendig zu lernen.

Durch außergewöhnliche Leistungen der Schauspieler und starke, emotionale Szenen wurden den Persönlichkeiten George und Zweig eindrucksvolle filmische Denkmäler gesetzt. Obwohl beide Filme unterschiedlich funktionieren, gehen die jeweiligen Vorgehensweisen auf und es gelingt, den Zuschauern die Personen sowie ihre Einstellungen und Verhaltensweisen in einer schwierigen Zeit näherzubringen. Dennoch muss am Ende kritisch hinterfragt werden, wie authentisch die Schilderungen in George tatsächlich sind und ob die inszenierte Naivität Georges nicht nur eine Ausrede für die Tatsache war, dass George die Nationalsozialisten doch aktiver unterstützte.

George
Deutschland 2013
Regie: Joachim A. Lang
Darsteller: Götz George, Muriel Baumeister, Martin Wuttke
Länge: 113 Minuten

Vor der Morgenröte
Deutschland 2016
Regie: Maria Schrader
Darsteller: Josef Hader, Barbara Sukowa, Aenne Schwarz
Länge: 100 Minuten

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

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