Der aufgeklärte romantische Pessimismus

In Alain de Bottons „Der Lauf der Liebe“ ist die Liebe ein hoffnungsvolles Glücksspiel

Von Thorsten SchulteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thorsten Schulte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Warum lassen sich zwei Menschen auf eine Beziehung ein, heiraten gar und setzen Kinder in die Welt, wenn doch das Scheitern von Beziehungen in der modernen Welt überaus wahrscheinlich ist? Alain de Botton zeichnet in seinem neuen Roman „Der Lauf der Liebe“ den Weg von Rabih und Kirsten, einem schottischen Paar, nach – von den ersten romantischen Annäherungen bis zur Entfernung und ihrem Kampf um die Liebe.

Leidenschaft und das Gefühl von Unvollständigkeit führen bei Rabih und Kirsten zu Wertschätzung, Zärtlichkeit, Dankbarkeit und Hingabe. Sie heiraten und bekommen zwei Kinder. Doch Leidenschaft und gemeinsame Erlebnisse und Gefühle lassen sich nicht „durch eine Ehe einfrieren oder bewahren“. Der romantischen Phase folgt ein Leben in einem stetigen, sich wiederholenden Rhythmus. Schon früh zeigen sich die ersten Risse, die später Konflikte hervorrufen werden. Kirsten ist eine starke Frau, „sie verdient mehr als ihr Liebhaber, sie ist […] eine Führungspersönlichkeit“. Rabih ist ängstlich, ohne es zuzugeben. Er hat Angst davor, alleine zu sein. Ihm fällt es schwer zu sagen, was er denkt. Er leidet unter Zwängen und Enttäuschungen. Und doch meint er manchmal, „zu wissen, was für andere das Beste ist“.

Die Erzählung von Kirstens und Rabihs Eheleben wird stets von einem kursiv gedruckten Kommentar unterbrochen, der das Gelesene in einen allgemeingültigen Kontext hebt. Das Buch gleicht damit einer Therapiesitzung. Es ist eine schonungslose universelle Therapiesitzung, da nicht nur sanft zugegeben wird, dass Menschen, die mehrere Jahre zusammen sind, auch zusammengehören und bei ihnen das Gefühl entsteht, denselben Blick auf die Welt zu haben. Sondern es wird immer wieder wiederholt, dass auch Menschen, die zusammengehören, auseinanderdriften können, weil Probleme nie von selber verschwinden. Alain de Botton legt den Finger auf mögliche Wendepunkte und Bruchstellen, die Prüfsteine für jede Beziehung sind.

Für Rabih erweckt seine Frau schon bald den Eindruck, als brauche sie keine Liebe: „eine Kämpferin, die so kompetent und stark ist, dass sich selten Gelegenheiten bieten, sie zu umsorgen“. Er sehnt sich nach „früher“, ohne noch genau sagen zu können, welchen Zeitpunkt er damit meint; er sehnt sich nach „Ruhe, Loyalität und Stabilität“. Aus Missverständnissen folgen Resignation und Aggressivität. Die Auseinandersetzungen des Paares führen dazu, dass sie nicht mehr zu unbefangenen Annäherungen in der Lage sind. Rabih lernt auf einem Kongress eine junge Schönheit kennen und betrügt seine Frau.

Mitten im Buch wendet sich der Autor direkt an seine Leser und kommentiert, dass den Schwierigkeiten gewöhnlicher moderner Beziehungen, in denen beide Partner nach Karriere und Glück streben, in der Literatur viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt werde. „Wichtig sollten uns Bücher sein, nach deren Lektüre wir uns mit Erleichterung und Dankbarkeit fragen, wie der Autor nur so viel über unser Leben wissen konnte“. Dieses Gefühl stellt sich unweigerlich beim Leser ein. Denn Streitigkeiten, die sich an Kleinigkeiten entzünden und zu die Liebe zermürbenden Verletzungen führen können, hat sicherlich jeder Leser selbst erlebt. „Wir laden alles ab bei den liebsten, sympathischsten, loyalsten Menschen in unserer Nähe“ und seien daher schwer zu ertragen, werden gefühlskalte Reaktionen von Kerstin und Rabih im kursiv gesetzten Text kommentiert. Alain de Botton versucht zu helfen, indem Gründe für Wut und verletzten Stolz in der Vergangenheit gesucht werden. Die Welt ärgere und enttäusche, frustriere und verletze. Er hofft, dass schließlich statt Empörung und Verurteilung von Partnern Mitgefühl gezeigt werden kann. Er ruft zum „Lehren und Lernen“ auf und dazu, den Partner „darin zu unterstützen, mehr aus sich zu machen“. Viele Streits entstünden aus Unsicherheit und diese sei ein positives Zeichen: „Sie bedeutet, dass wir andere Menschen nicht einfach für selbstverständlich nehmen“.

Sicher mit einem Augenzwinkern sieht Alain de Botton eine zumindest zeitweise „Lösung“ darin, Kinder zu bekommen. Verantwortung für ein neues Leben zu übernehmen und Eltern zu werden, sollte niemals als Bindemittel für eine zerrüttete Beziehung genutzt werden. Aber der Autor bezeichnet sie als Möglichkeit zu lernen, „dass Liebe in ihrer reinsten Form gewissermaßen ein Dienst ist“ – Liebe als stetiges Bemühen und als Mitgefühl für Schwächere. Da eine Lehre des Buches ist, dass praktisch keine Beziehung in der modernen Welt, in der die alten Gründe für eine Ehe (Besitzstandsicherung, moralische und religiöse Verpflichtung) keine Rolle mehr spielen und romantische Gründe nur über eine gewisse Zeit tragen, dauerhaft halten kann, ist diese Option, Kinder zu bekommen und sich nicht nur auf das eigene Versagen zu konzentrieren, ein erschreckend verantwortungsloser Ausweg. Rabih fasst das Dilemma zusammen: „Eine Liebesehe und Kinder sind das Ende erotischer Spontaneität; und eine Affäre ist das Ende einer Ehe.“ Er nimmt sich vor, aus Verantwortung für andere für seine Kinder durchzuhalten. Dies kann als aufgeklärter romantischer Pessimismus bezeichnet werden. Der Leser soll sich mit dem Partner arrangieren. Es könne immer nur „eine hinreichend gute Ehe geben“. Menschen seien zu vielseitig und zu einzigartig: „Zwei Menschen können unmöglich auf Dauer übereinstimmen“. Die Liebe ist somit ein hoffnungsvolles Glücksspiel, aber nur wenige gehen wirklich mit einem Gewinn aus der Spielbank nach Hause. Mit dieser Absage an die Vorstellung einer lebenslangen leidenschaftlichen Liebe lässt der Autor seine Leser alleine.

Titelbild

Alain de Botton: Der Lauf der Liebe. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Barbara von Bechtolsheim.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2016.
286 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783100024435

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