Mit verschiedenen Geschöpfen wird die Welt gefüllt

In einem weiteren Band der Reihe ‚Gott und die Welt‘ stellt Hans-Werner Goetz mittelalterliche Vorstellungen über Engel, Teufel und Menschen als widersprüchliche Geschöpfe Gottes vor

Von Jörg FüllgrabeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg Füllgrabe

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die in mehreren Bänden angelegte Reihe ‚Gott und die Welt‘, die unter dem noch umfassenderen Projekt ‚Orbis mediaevalis. Vorstellungswelten des Mittelalters‘ subsumiert ist, stellt im positivsten Wortsinne das Alterswerk des Hamburger Mittelalterhistorikers Hans-Werner Goetz dar. Vorstellungswelten des frühen und hohen Mittelalters erscheinen aus heutiger Sicht zunächst vertraut, was natürlich angesichts bestimmter, zumindest latent noch vorhandener Kulturtraditionen nicht ganz so verwunderlich ist. Erst bei näherem Hinsehen erweisen sich Brüche und Verwerfungen, die diese Mentalitäten von unserem heutigen Empfinden trennen, so dass erst der Blick auf mittelalterliche Traditionen und Quellen manche Widersprüchlichkeit auflöst und vermeintlich Identisches als das ganz Andere entlarvt.

Der nun vorliegende dritte Teilband der Reihe ist auch insofern eine Fortschreibung der ersten beiden Bücher, als der Verfasser in einem ‚Nachwort zum Vorwort‘ auf geäußerte Kritikpunkte zu diesen eingeht. Wesentlich ist der sich selbst bedingende Hinweis darauf, dass der Raum zwischen Gott und der Welt ohne Bewohner jedweder Art doch äußerst leer sein müsse -– damit ist quasi die Begründung für das Entstehen des vorliegenden Bandes gegeben. Wenden wir uns also den Geschöpfen in diesem Rahmen zu.

Natürlich sind diesen Bewohnern der Welt jeweils eigene Kapitel gewidmet, in denen sie respektive die mittelalterlichen Vorstellungen über sie vorgestellt werden. Hier werden, der Titelreihung folgend, Engel, Teufel und schließlich Menschen in beredten mittelalterlichen Texten nebst erläuternder Sachinformation vorgestellt. Puristen werden womöglich über die Tatsache die Nase rümpfen, dass die Quellenzitate im Fließtext auf deutsch gehalten sind, was aber dem Lesefluss ungemein entgegenkommt. Und natürlich liefert der Verfasser in den zugehörigen Fußnoten nicht nur den jeweiligen Quellenbeleg, sondern auch den zugrundeliegenden Originaltext. Nur paraphrasisch Zitiertes kommt dann in der Fußnote ausschließlich in der Originalversion vor. Mehr an Lesekomfort lässt sich wohl wirklich nicht verlangen.

Wer angesichts der gegenwärtigen Vielfalt an ‚Engelliteratur‘ der meist trivialen Art glaubt, wir seien überversorgt, irrt meines Erachtens zwar nicht, ein Blick in das Buch von Hans-Werner Goetz zeigt jedoch, dass bereits das Mittelalter in dieser Hinsicht ‚breit aufgestellt‘ war. Die Fülle an Vorstellungen wird vorstellbar, wenn die unterschiedlichen Informationen vorgestellt werden. Dies gilt selbstverständlich auch für die Unterschiede zu den heute populären Imaginationen von Engeln, in denen diese meist einzeln oder doch nur in geringer Zahl Thema sind. Die Chöre der Engel kennen die meisten heute – wenn überhaupt – nur aus Kirchenliedern, andererseits ist es vielleicht nicht ganz so verwunderlich, wenn Hildegard von Bingen Engels-Chöre und Engels-Heere synonym setzt; ein Blick in den Text des bekannten Weihnachtsliedes ‚Oh du fröhliche‘ zeigt, dass diese Vorstellung zumindest subkutan auch heute noch bekannt ist. Aber natürlich führt der Autor wesentlich mehr als das auf, und mit wirklichem Erstaunen erfahren wir nicht nur von Gestalt und Sprache der Engel, sondern auch von deren Rangunterschieden und Funktionen. Belegt wird dies alles, wie bereits ausgeführt, mit mittelalterlichen Quellentexten.

Die gilt dann auch für die folgenden Hauptteile, die ‚Teufeln‘ und ‚Menschen‘ gewidmet sind. Die Teufel werden anhand der Texte Isidors von Sevilla, auf deren Grundlage zuvor Vergleichbares zu den Engeln ausgeführt wurde, zunächst etymologisch und begrifflich vorgestellt. Die Untereinheit der ‚Dämonen‘ wird ebenso akribisch beleuchtet wie die Frage nach dem Wirken des Teufels beziehungsweise der möglichen Gegenwehr. Aus heutiger Sicht besonders interessant ist die Frage nach dem Zusammenfall von Andersgläubigkeit und teuflischem Wirken, die im Mittelalter selbstverständlich ganz anders beantwortet wurde. Der Mensch schließlich wurde, so zeigt Goetz auf, immer wieder durch eine Form der Dualität definiert. Dies ermöglichte es, etwa Körper und Seele ebenso zu diskutieren wie die Frage nach der Biologie oder Theologie des Menschseins. Nicht zuletzt aber ließ sich der Begriff auch auf das Phänomen Frau und Mann anwenden. Ein recht unterhaltsamer Exkurs führt in die Randbereich des Menschseins ein und damit etwa auch in die Vorstellungen von die Ränder der Erde bevölkernden Mischwesen, wie sie bereits aus antiken Quellen bekannt sind.

Analog zu dem jeweiligen ‚kleinen‘ Fazit am Ende der Hauptpunkte liefert der ‚Rückblick‘ noch einmal eine lesenswerte Verdichtung des Vorgestellten, weist aber auch noch einmal auf die Gefahr des ‚Eindimensionalismus‘ bei der Betrachtung und Wertung des Mittelalters hin. Nach der Lektüre des Bandes, aber auch seiner beiden Vorgänger, wird deutlich, wie bewegt das Mittelalter auch in geistiger Hinsicht war und damit trotz aller Unterschiede durchaus mit der Gegenwart vergleichbar ist. Offenbar gilt – wenngleich bedingt – auch in vorliegendem Zusammenhang: „Überall ist Mittelalter“!

Zum Großen und Ganzen: Es wäre sicherlich zu kühn zu behaupten, die etwas über 600 Seiten läsen sich gewissermaßen von selbst, gleichwohl versteht Hans-Werner Goetz es, bei durchaus angemessenem Sprachduktus, der ohne unerquickliche ‚Anbiedereien‘ an einen vermeintlichen Mainstream-Geschmack auskommt, Komplexes verständlich darzustellen. Zur ‚Anwendungsfreundlichkeit‘ tragen auch die insgesamt 59 Abbildungen bei, die den jeweiligen Hauptkapiteln angefügt sind, selbst wenn einige der dargestellten Illustrationen tatsächlich Miniaturen im aktuellen Wortsinne sind. Ein umfangreiches Verzeichnis der Quellen und Literatur sowie ein Autoren- und allgemeines Personenregister runden das Ganze adäquat ab.

Das Buch sei natürlich allen ans Herz gelegt, die die ersten Teilbände schon besitzen, aber auch ‚Quereinsteigern‘ ist mit dem vorliegenden Band gedient. Fundamentale Informationen verbunden mit ausgeprägten Ansätzen zur weiteren Beschäftigung mit der Materie sind die uneingeschränkt positiven Merkmale dieser Publikation. Und auch der Preis des Bandes liegt im vertretbaren Bereich, was ja keineswegs so selbstverständlich ist.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Hans-Werner Goetz: Gott und die Welt. Religiöse Vorstellungen des frühen und hohen Mittelalters. Teil I, Band 3, IV. Die Geschöpfe: Engel, Teufel, Menschen.
V&R unipress, Göttingen 2016.
623 Seiten, 69,00 EUR.
ISBN-13: 9783847105817

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