Einmal Marokko und zurück

In Martin Mosebachs Roman „Mogador“ sucht ein Banker im Exotischen die Befreiung von seinem alten Ich

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Patrick Elff ist ein Finanzjongleur. Einer von jenen Typen – Leonardo DiCaprio hat ihnen als Jordan Belfort in Martin Scorseses Film The Wolf of Wall Street (2013) ein in seiner exzentrischen Überdrehtheit umso wahreres Gesicht gegeben – , die mit ihren halsbrecherischen globalen Transaktionen die weltweite Banken- und Finanzkrise am Ende des ersten Jahrzehnts unseres Jahrhunderts  mit heraufbeschworen. Doch Elff, der als studierter Literaturwissenschaftler nur per Zufall bei einer Düsseldorfer Bank landete und dort schnell aufstieg, ist mehr durch Unerfahrenheit und Naivität in die Situation hineingeraten, die ihm am Anfang des neuen Romans von Martin Mosebach einem Kriminalbeamten gegenübersitzen lässt. Dem sind im Zusammenhang mit dem Suizid eines Bankangestellten Unregelmäßigkeiten aufgefallen und weil der tote Banker in Elffs Zuständigkeitsbereich tätig war, verspricht er sich von dem Gespräch Aufschlüsse über die Hintergründe von dessen Selbstmord. Elff allerdings gerät in Panik, weil er tatsächlich in Transaktionen verwickelt ist, die es einem marokkanischen Geschäftsmann erlaubten, Geld in dunklen Kanälen verschwinden zu lassen.

Mosebachs Mogador beginnt wie ein Krimi aus der so lukrativen (wie für den normalen Bürger undurchschaubaren) Welt von Wirtschaft und Finanzen. Ein Banker ergreift die Flucht, bevor ihn Polizei und Steuerfahndung betrügerischer Manipulationen überführen können und er für Jahre ins Gefängnis wandert. Nichts Neues in einer Zeit, wo Milliardenbeträge per Mausklick und mit Hilfe von Briefkastenfirmen in fernen Weltgegenden auf nur noch schwer zu verfolgende Wege geschickt werden, sollte man denken. Für Martin Mosebach freilich ist das Thema – im Gegensatz etwa zu seinen schreibenden Kollegen Kristof Magnusson (Das war ich nicht, 2010 ), Jonas Lüscher (Frühling der Barbaren, 2013) oder Sascha Reh (Gibraltar, 2013) – nicht unbedingt typisch. Einer der glänzendsten Stilisten der deutschen Gegenwartsliteratur und ein Buch über den schnöden Mammon? Schwer vorstellbar.

Direkt nach der Flucht Patrick Elffs aus dem Düsseldorfer Polizeipräsidium gerät die Ursache für den spontanen Ausbruch auch ziemlich schnell aus dem Blick. Und wenn Mosebachs Held am Ende zurückkommt, erweist sich seine Beteiligung an der betrügerischen Transaktion letztlich als so marginal, dass er eigentlich gar nicht hätte vor den möglichen Konsequenzen fliehen müssen.

Doch zum Glück ist ihm das noch nicht klar, als ihn sein Weg vom Polizeiverhör durch das Toilettenfenster direkt bis nach Brüssel und von da per Flugzeug ins ferne Casablanca führt. Und weil er dem marokkanischen Geschäftsmann und in undurchsichtigste Geschäfte verwickelten Regierungsberater Pereira offenbar bei ihrer einzigen Begegnung so gut gefallen hat, dass der ihm einen Wunsch zu erfüllen versprach, führt Elffs (Flucht-)Weg aus der Hauptstadt des nordafrikanischen Landes sofort weiter in die an der Atlantikküste liegende, mittelgroße Stadt Essaouira, die vor Marokkos Unabhängigkeit auch „Mogador“ genannt wurde. Es ist die Vaterstadt von Monsieur Pereira und hier hofft Elff darauf, von dem einflussreichen Mann unter dessen schützende Fittiche genommen zu werden.

Pereira freilich halten wichtige Geschäfte von Mogador fern. Und so landet Elff zunächst im Hause der aus ganz anderen Gründen hoch angesehenen Khadija. Kupplerin, Wahrsagerin, Geldverleiherin, Zauberin wie Prophetin in einer Person, bildet diese Frau den Mittelpunkt einer Welt, die jener, aus der der ängstliche Banker sich soeben abgesetzt hat, völlig entgegengesetzt ist. Khadija hat es, von ganz unten kommend, mit Glück, Geschick und nicht zuletzt der Hilfe eines Dämons, der ihr die richtigen Schritte auf ihrem Lebensweg eingab, zur heimlichen Herrscherin Mogadors gebracht: „Sie wußte, welche Feindschaften es gab, wem welches Haus gehörte, wer vor dem Bankerott stand, wer zu den Huren ging und welche Frau ihren Mann betrog.“

In der Schilderung jener fremden Welt rund um die Medina von Mogador erreicht Mosebachs Roman jene Farbenpracht, Beschreibungsintensität und stilistische Brillanz, wie sie auch an früheren Werken des Frankfurter Autors immer wieder hervorgehoben wurden. Der Leser ist praktisch mittendrin in dem quirligen, für den Neuling Elff beständig neue Überraschungen und Irritationen bereithaltenden Leben einer Stadt, deren Einwohner sich hauptsächlich vom Fischfang ernähren, ihr Leben mal von guten, mal von bösen Geistern beherrscht glauben und Öffentlichkeit eine ganz andere Rolle spielt als in jenen Weltgegenden, denen Mosebachs Held den Rücken gekehrt hat.

Das ‚Mittendrin‘ des Lesers, der sich an einer großartig beobachteten Typologie der Mogadorschen Bettler ebenso wie an der bunten Biografie einer Frau, die es als Analphabetin unter Ausnützung der instinktiv zu ihren Gunsten genutzten Vor- und Nachteile der Sitten und Gebräuche ihrer Welt nach oben geschafft hat, erfreuen kann, ist allerdings nicht jenes, in dem Patrick Elff sich schon nach kurzer Zeit wähnt. Im Gegenteil: So wie der naive Held sein eigenes Verwickeltsein in den Finanzbetrug an seinem Düsseldorfer Arbeitsplatz gewaltig überschätzt, bleibt er auch in der Welt von Mogador ein eher Ahnungsloser.

Erst spät geht Patrick Elff ein Licht auf, dass das Hotel, in dem er sich wähnt, ein gut organisiertes und die sexuellen Frustrationen zwangsverehelichter Frauen zur Gewinnmaximierung nutzendes Bordell ist. Dass er auf Monsieur Pereira und dessen leichthin geäußertes Versprechen nicht vertrauen kann und sein Insistieren auf Wunscherfüllung von dem mit allen Wassern gewaschenen Tycoon als Erpressung verstanden wird, kostet Elff beinahe das Leben. Und dass er schließlich und endlich auch aus Mogador wieder fliehen muss, weil er sich erneut willenlos in eine kriminelle Tat hineinziehen lässt, ist fast schon typisch für einen jungen Mann. Im Gegensatz dazu steht die schlaue wie starke Khadija, die dies mit Erfolg getan hat. Elff hingegen ist mehr Treibgut als Lenker seines Daseins.

Mogador beginnt in einem Hamam, jenem traditionellen orientalischen, dem Reinigen und Schwitzen gleichermaßen gewidmeten Dampfbad. Hier ist Patrick Elff dabei, ein anderer zu werden, sich zu häuten, sich seine alte Existenz abschrubben zu lassen: „[N]icht einfach nur Schweiß und Schmutz sollten abgewaschen werden, es ging vielmehr darum, die Epidermis , die davon bedeckt gewesen war, systematisch abzutragen.“ Von dieser Verwandlung aus, die letzten Endes genauso ins Fiasko führen wird wie Elffs vorheriges Leben als Bankangestellter in Deutschland, wird erzählt: zurück in die Geschichte einer Ehe, in die Mann und Frau genauso hineingerutscht waren wie in ihre Berufe, und nach vorn in eine Zukunft, an die der Held von Anfang an nicht richtig glauben will.

Ein flüchtiger, absichtsloser Gedanke war das, als habe die Vorstellung, ein anderer zu werden, der abgeschüttelt hat, was hinter ihm lag, gar keinen besonderen Reiz für ihn, als sei sie nur ein müßiges Spiel im Reich der Zeitlosigkeit.

„Im Erzählen verwandeln sich die Erinnerungen; je unterhaltsamer sie sich anhören, desto weniger ist ihnen zu trauen“, heißt es an einer Stelle des Romans. Es ist dies ein Satz, der – hätte nicht der Autor ihn selbst formuliert – als Motto über Mogador stehen könnte. Nach zwei in der deutschen Realität unserer Tage verankerten Büchern – Was davor geschah (2010) und Das Blutbuchenfest (2014) – nun also wieder ein Griff des ohnehin als Schreibender gern in die Welt ausschweifenden Martin Mosebach ins Weite. Märchen- gegen Krisenhaftes, Fantasie gegen Alltag, Traum gegen Wirklichkeit. Am Ende freilich findet sich der Held wieder in Düsseldorf an der Seite seiner pragmatischen – und allzu schnell verzeihenden – Ehefrau Pilar. Das liest sich nicht so schön wie all die maghrebinischen Abenteuer vorher, ist aber das, was uns Abendländlern wohl als einzige Realität verblieben ist.

Titelbild

Martin Mosebach: Mogador.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2016.
367 Seiten, 22,95 EUR.
ISBN-13: 9783498042905

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