„There’s a crack in everything / that’s how the light gets in“

Zum Tod Leonard Cohens

Von Sascha SeilerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sascha Seiler

Kurz nach der Präsidentschaftswahl in den USA konnte man in den sozialen Medien beobachten, wie nicht wenige Menschen sich an Leonard Cohens 1992 erschienenes Album The Future erinnerten, vor allem an den Titelsong; eine düstere Zukunftsvision, eine aus den Fugen geratene Welt beschreibend und interpretiert von einem sich in bösartigen Zynismus flüchtenden lyrischen Ich. Bereits nach den Anschlägen des 11. September 2001 hatte man oft an einen Cohen-Song gedacht, an jenen rätselhaften Drohgesang „First We Take Manhattan“, auf den sich niemand so recht einen Reim machen konnte, der aber mit dem terroristischen Akt plötzlich eine nachvollziehbare, sogar prophetische Bedeutung bekam.

Dabei war Leonard Cohen, anders als sein Zeitgenosse Bob Dylan, beileibe kein politischer Liedermacher. Zumindest war es nie sein lyrisches Kerngebiet. Das bestand eher aus einer, in der Popmusik seinerzeit einzigartigen, Verbindung von Liebe, Spiritualität und Sexualität. Angefangen hatte Cohen als Lyriker und Romancier; vor seinem ersten, 1966 erschienenen Album hatte er bereits mit Beautiful Losers und The Favorite Game zwei Romane sowie zahlreiche Gedichtbände – der berühmteste von ihnen sicherlich Flowers For Hitler –  veröffentlicht. Und obwohl er gute Kritiken und auch Preise für sich reklamieren konnte, wünschte er sich mehr Aufmerksamkeit, wohl auch mehr kommerziellen Erfolg. Er sah, dass junge Liedermacher wie ebenjener Bob Dylan Mitte der 60er Jahre die Jugend begeisterten, er sah auch das Potential der gerade entstehenden Jugendbewegung, vor allem aber sah er ihr Verlangen nach einer neuen Form von Spiritualität, nach freier Entfaltung von Sexualität, und entdeckte hier eine Nische für sich. Also begann er, der (in jener Zeit für einen Popmusiker undenkbar) bereits die 30 überschritten hatte, Folk-Songs zu schreiben. Er spielte sie Judy Collins vor, der Grande Dame der Folkmusik in den 60er Jahren, und die zeigte sich begeistert. Noch auf ihren Deutschland-Konzerten Anfang 2016 erzählte Collins von diesen ersten Begegnungen: „ Er lebte damals in Griechenland mit Marianne Ihlen und flog in die USA, um mir seine Songs vorzuspielen. Ich überredete ihn, sie auch selbst aufzunehmen. Marianne traf ich vor ein paar Jahren, kurz vor ihrem Tod, durch einen Zufall in Schweden. Ich kannte sie nicht, aber sie sprach mich an und meinte, nur halb im Spaß: Sie sind also diese Person, die meine Beziehung zu Leonard zerstört hat.“ Dokumentiert wird dieses Ende im Song „So Long Marianne“, einer der zahlreichen Klassiker auf seinem ersten Album Songs Of Leonard Cohen.

Die Art jedoch, wie Cohen auf Songs Of Leonard Cohen das Genre der (im weitesten Sinne) Popmusik  für sich interpretierte, war völlig neu. Sein Gitarrenspiel war spartanisch, seine Stimme dunkel, tief und, das vereinte ihn mit Dylan, nicht besonders geschult. Unterstrichen wurde diese düstere, melancholische Stimmung von zurückhaltenden (aber dennoch prägenden) orchestralen Arrangements sowie den mittlerweile legendären Frauenchören, die fortan ein wichtiger Bestandteil der Ästhetik Leonard Cohens seien würden. Vier Alben lang wiederholte und perfektionierte Cohen diese Formel, der Höhepunkt seines Schaffens sicherlich sein dritter Streich, Songs Of Love And Hate, eines der düstersten, verzweifeltsten Alben, die jemals aufgenommen wurden, das jedoch mit „Famous Blue Raincoat“ eines der schönsten, melancholischsten Liebeslieder enthält, die jemals geschrieben wurden.

Cohen wurde nicht zum Superstar, doch wurde er zur Identifikationsfigur für viele Menschen, die in der Popmusik auf der Suche nach Intimität, Spiritualität und nicht zuletzt auch einer bewegenden lyrischen Sprache waren. Denn Cohen war immer mehr Lyriker denn Sänger, seine Songs blieben stets vertonte Gedichte; Gedichte zumal, an denen er oft jahrelang schrieb. Der in den 1970er noch übliche Rhythmus, jedes Jahr ein neues Album zu veröffentlichen, muss ihm, auch wenn er sich nicht daran hielt, ein Graus gewesen sein. Mitte der 70er verlor aber auch er, der jeglichen Trends widerstanden hatte, sich im Sumpf des Popgeschäfts; er begann eine Zusammenarbeit mit dem legendenumworbenen Produzenten Phil Spector, einem hysterischen und gefährlichen Kontrollfreak, der versuchte, ihm auf dem Album Death Of A Ladies’ Man seine berühmte Wall-of-Sound überzustülpen, teilweise soll er Cohen sogar während der Aufnahmen eine Pistole an die Schläfe gehalten haben. Die Platte war ein kommerzieller, vor allem aber ein künstlerischer Flop. Auch das Folgealbum Recent Songs sollte nicht funktionieren. Cohen verschwand aus der öffentlichen Wahrnehmung. Das 1984 aufgenommene Various Positions wurde in den USA nicht einmal mehr veröffentlicht und konnte dort nur als Europa-Import gekauft werden. Dabei hatte er gerade in diesem einen neuen, moderneren Stil gefunden. Auf dem Album versteckt sich auch die Ur-Version von „Hallellujah“, jenem Lied, das Dank der Interpretationen von John Cale und vor allem Jeff Buckley zu Cohens berühmtestem Song werden sollte. Doch gerade an „Hallellujah“ zeigt sich auch die Dichotomie, die der Rezeption Cohens innewohnt, denn auch hier geht es um die Verbindung von Spiritualität und Sexualität, um das Verhältnis von sexuellem Begehren und Kunst, auch um Zweifel an der Religion, und trotzdem gehört jenes frevelhafte „Hallellujah“ zu den meistgespielten Songs auf kirchlichen Hochzeiten.

Als Cohen vier Jahre später mit I’m Your Man ein großes Comeback feierte, hatte er die Ästhetik der 80er Jahre für sich entdeckt: Billig scheppernde (teils selbst programmierte) Beats, manchmal ersetzt durch schmalzige Orchestrierung, wurden zu seinem Markenzeichen. Trotzdem gehören sowohl dieses Album wie auch das dunkle, prophetische The Future zu seinen besten Werken, da es ihm, anders als vielen Zeitgenossen, gelang, den billigen Sound der 80er Jahre mit seiner immer noch bewegenden Lyrik auf eine Weise zu verbinden, die ein einzigartiges Kunstwerk entstehen ließ. Man höre sich nur seine Übertragung von Federico García Lorcas „Pequeno vals vienés“ in „Take This Waltz“ an.

Kurz darauf zog Cohen in ein Mönchskloster. Was viele erst für einen PR-Gag gehalten hatten, zog der Musiker mehrere Jahre durch. Er sagte dem weltlichen Dasein, scheinbar für immer, Lebewohl und seine Fans verloren den Glauben an eine Wiederkehr. Als er dann doch wieder auftauchte, veröffentlichte er zwei unterdurchschnittliche Alben – Ten New Songs und Dear Heather (auf dem er seiner neu entdeckten Liebe zum Haiku frönt), nur um wieder zu verschwinden. Und dann, vor einigen Jahren, das große Comeback: Erst zahllose Welttourneen, bedingt durch seinen finanziellen Ruin, wie er ehrlich zugab. Von seiner Managerin war er um mehrere Millionen Dollar betrogen worden, eine Klage brachte nichts, das Geld war weg, und Cohen wollte, so seine Aussage, seinen Kindern keine Schulden hinterlassen. Also begab sich der Mitt-70er auf jahrelange Ochsentour, mit riesigem Erfolg allerdings. Es wäre also gar nicht nötig gewesen, auch Alben mit neuer Musik aufzunehmen. Doch er tat es, in einer Schnelligkeit allerdings, die ihm niemand zugetraut hatte: 2012 erschien ein überraschend gutes Werk namens Old Ideas, 2014 das nur wenig schwächere Personal Problems. Natürlich, so sagte man, konnten diese Alben nicht mehr die Emotionalität, die Hingabe und die Verzweiflung der frühen Werke ausdrücken, aber sie waren es wert, gehört zu werden. Und doch hätte niemand mit einem so bewegenden, melancholischen, poetischen, überaus dunklen und vor allem auch musikalisch überzeugenden Album wie You Want It Darker gerechnet, das vor wenigen Wochen erschienen ist. Hier zieht Leonard Cohen noch einmal alle Register und zeigt, dass, wenn man den Nobelpreis für Literatur schon an einen Popmusiker vergeben möchte, er sicherlich die bessere Wahl gewesen wäre.

Nun ist Leonard Cohen im Alter von 82 Jahren gestorben. In Interviews zum neuen Album erzählte er, dass er noch viel vorhabe und das nächste Album bereits in Arbeit sei. Gleichzeitig sang er davon, nun bereit zu sein, von Gott aufgenommen zu werden. Dies ist nun geschehen. Die Welt trauert, aber ist auch dankbar für ein lyrisches und musikalisches Werk, das in der Geschichte der populären Musik ihresgleichen sucht.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz