Drei Jesuiten, vier Meinungen?

Markus Friedrich erzählt in „Die Jesuiten“ die weltumspannende Geschichte des Jesuitenordens

Von Stefanie LeibetsederRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Leibetseder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Markus Friedrich ist Professor für die Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Hamburg und hat seine Habilitation über die Verwaltungsstrukturen des Jesuitenordens verfasst. Hiermit legt er die bis dato jüngste Monografie zur Ordensgeschichte vor, von denen seit  2013 – dem Jahr in welchem mit Papst Franziskus das erste Mal ein Jesuit zum Papst gewählt wurde – nunmehr vier erschienen sind. Die Konkurrenz zum Thema ist demnach groß; festzustellen ist, dass der Autor im Vergleich ein fundiertes gutes Werk vorgelegt hat.

Ein erster Blick auf den knapp 130seitigen Anmerkungs- und Literaturapparat verdeutlicht die immense Rechercheleistung des Autors, die nötig war, um die bald 400jährige Geschichte der Societas Jesu darzustellen. Ebenso offensichtlich erforderte der Umfang der Arbeit eine Verknappung und Komprimierung des Inhalts, was dem Leser aufgrund der detaillierten Darstellung durchgehend Konzentration und auch tiefgründiges Interesse am Gegenstand abverlangt.

Die gut gewählten Abbildungen zum Buch (33 sind es insgesamt) hat man in der Mitte konzentriert; eine Verteilung über den gesamten Text hätte aber möglicherweise mehr Entspannung und dem Gedächtnis eine Stütze geboten. Obwohl alle Hauptthemen des Buchs mit einer Abbildung belegt werden, angefangen vom Porträt des Hl. Ignatius über das Jesuitenmonogramm, eine Schule, Bußprozessionen, Missionare, die Theater und die Festungsbaukunst sowie das Deckenfresko von „Il Gesù“ in Rom – um nur die wichtigsten Punkte zu nennen – hätten es dem Umfang des Buches entsprechend möglicherweise auch mehr Abbildungen sein können. Auf den drei Weltkarten in den Innenseiten sind die Ordensniederlassungen wiedergegeben.

Der Text ist ausgehend vom Prolog mit der Gründung der „Gesellschaft Jesu“ in fünf Überkapitel gegliedert, die nacheinander „Innenleben und Strukturen des Ordens“, „Der Orden, die Kirche und die Gläubigen“, „Saeculum und Reich Gottes: Die Jesuiten in der Welt“, „Der weltumspannende Orden“, „Eine Welt ohne Societas Iesu: Feindschaft, Aufhebung, Neubeginn“ heißen und mit dem „Orden in der Moderne“ als Epilog schließen. Die im Unterkapitel benannte Entwicklung des Ordens vom Aufstieg zum Niedergang und Neubeginn beginnt mit der Darstellung des Aufstiegs in den Kapiteln zwei bis vier, während der Niedergang im Kapitel fünf und der Neubeginn im Epilog behandelt wird.

Der Prolog legt gut lesbar die Lebensgeschichte des Ordensgründers und die Niederschrift der „Geistlichen Übungen“ und „Konstitutionen“ sowie ihre zentrale Bedeutung für das Selbstverständnis der Jesuiten dar. Aus diesem Grund ist den „Geistlichen Übungen“ auch ein eigenes Unterkapitel gewidmet, denn „während die Konstitutionen und Regeln die Materie darstellten, seien die Übungen die Form und das Lebensprinzip des Ordens.“ Hervorhebenswert erscheint die Herkunft des Hl. Ignatius aus dem baskischen Militäradel, denn diese Prägung bedingte die ausgesprochen straffe und disziplinierte Führung des Ordens durch den jeweiligen General. Dies kommt ebenso in der gewählten militärischen Bezeichnung für den Ordensoberen zum Ausdruck wie in der Tatsache, dass der Orden Frauen bis auf Ausnahmen verschlossen war.

Die deutliche Ausrichtung der Ordensaktivitäten auf die führenden gesellschaftlichen Schichten, um im Einvernehmen mit ihnen zu missionieren und Einfluss zu nehmen, führte bereits zu Beginn in Rom zur Protektion durch verschiedene Adelsfamilien und später Herrscherhäuser (wie das von Portugal) und war der bedeutendste Grundstein für das weltumspannende erfolgreiche Wirken der Jesuiten. Gleichzeitig war dies von Anfang an der wichtigste Stein des Anstoßes für die protestantische Gegenseite und für sie Anlass zu endlosen Polemiken und Verdächtigungen gegen die Gesellschaft Jesu.

Auffällig ist in Bezug auf die ausgeübten Frömmigkeitspraktiken der Jesuiten, dass sie hierzu ältere Formen der Glaubensausübung gezielt aufgriffen, reaktivierten und mit neuen Inhalten besetzten. Bewusst versuchten sie vorreformatorische Formen der Volksfrömmigkeit wiederzubeleben, indem sie beispielsweise den durch die Bilderfeindlichkeit des Luthertums und der Reformierten leer gewordenen öffentlichen Raum mit farbenprächtigen Prozessionen und Wallfahrten besetzten und somit für sich in Anspruch nahmen. Auch den Reliquienkult belebten sie neu (z.B. die Anbetung der Reliquien des Hl. Stanislaus Kostka, eines ihrer Jugendheiligen) und fügten diesem die 40stündige Anbetung des Allerheiligsten hinzu. Hiermit erfüllte man auch die Vorgaben des Hl. Ignatius in den „Übungen“, wonach die Glaubensinhalte mittels der Sinnesorgane möglichst intensiv emotional nachvollzogen werden sollten.

Da Joseph Imorde zufolge dem Bild das Heilige nämlich nicht mehr anhaftete, musste es ihm von nun an innewohnen (Die Entdeckung der Empfindsamkeit, in: Die Jesuiten in Wien, 2003, S. 189). Ausschlaggebend hierfür war, wie von Hans Belting vorgetragen, dass der „Inszenierungsrausch des Barock ein Resultat des seit der Reformation offensichtlich gewordenen Anachronismus des Bildkults (war), der dennoch nicht zugegeben“ wurde (Bild und Kult, 2011, S. 538). Zum konkreten Vorbild für die eigene Glaubenspraxis nahm sich bereits der Hl. Ignatius den Orden der Franziskaner, was auch die Namenswahl des gegenwärtigen Pontifex Maximus erklärt.

Als interessantes Detail erwähnt der Autor, dass die Prozessionen der Jesuiten durchaus auch protestantische Besucher anzogen, sozusagen aus ethnologischem Interesse. Auch der wissenschaftliche Austausch zwischen den Jesuiten und protestantischen Gelehrten, wie Gottfried Wilhelm Leibnitz, fand konfessionsübergreifend ungeachtet aller Hindernisse statt.

Es ist ein ausgesprochenes Anliegen Friedrichs, die Geschichte der Jesuiten mit dem unvoreingenommenen und nüchternen Blick des Historikers zu behandeln. Hierbei gelingt es ihm durchgehend, neben den beindruckenden kulturellen und wissenschaftlichen Leistungen des Ordens auch die inneren Widersprüche, Konflikte und Grenzgänge seiner Angehörigen in den Blick zu nehmen, um die wissenschaftliche Auseinandersetzung zu versachlichen und zu entmystifizieren.

Dies wird unter anderem in seinen Ausführungen zur Herkunft und Rekrutierung der Jesuiten deutlich, die maßgeblich aus den berühmten Jesuitenschulen erfolgte. Dies hatte wegen des Armutsgelübdes des Ordens oft den erbitterten Wiederstand der Familien aus Sorge um den Verbleib des Vermögens zur Folge. Auch gab es bei den Jesuiten sowohl viele Ordensaustritte als auch wieder Eintritte. Diese Konflikte wurden von den Ordensoberen flexibel unter dem Maßstab des „nostro modo“ gehandhabt und unterlagen somit keinen festen Regeln. Die Vorgehensweise der Jesuiten vom Individualfall aus hat man ihnen in besonderer Weise als Kasuistik, was in diesem Zusammenhang Spitzfindigkeit bedeutet, zum Vorwurf gemacht.

Die weltweite Missionsarbeit der Jesuiten fand in zahlreichen vor Ort gegründeten Niederlassungen statt, wo die Mitglieder des Ordens als Weltklerus in größter Nähe zu den zu Bekehrenden lebten und zu diesem Zweck auch deren Sprache und Sitten erforschten und adaptierten, was sich z.B. in den ersten Grammatiken indianischer Sprachen niederschlug, aber auch durch ihre Reiseberichte nach Europa die kulturelle Kenntnis des Fernen Ostens und den Aufbau von Handelsbeziehungen beförderte. Es wird jedoch auch nicht übergangen, dass die Missionierung der Einheimischen zur Zerstörung und Entfremdung von ihren kulturellen Wurzeln führte, was anhand der anschaulichen Schilderung von Einzelfällen deutlich wird. Auch bedienten sich die Jesuiten zur Bewirtschaftung ihrer ausgedehnten Ländereien in Mittel- und Südamerika der Sklavenarbeit, was sie nur durch ausgefeilte sophistische Argumentationen mit ihrer eigenen Theologie in Einklang bringen konnten.

Ihre Aufgabe sahen sie vor allem darin „den Seelen zu helfen“. Daraus entwickelten sich im Laufe der Zeit verschiedene Aufgabenfelder, die der Orden als die „üblichen Dienste“ bezeichnete. Marginalisierte soziale Gruppen standen hier besonders im Fokus ihrer Arbeit: Prostituierte, Arme, Soldaten, Verbrecher, die in besonderen Einrichtungen betreut wurden.

Die 1773 erfolgte Aufhebung des Ordens durch Papst Clemens XIV. hatte wie erwähnt eine lange Vorgeschichte des Antijesuitismus`, die schon mit der Gründung des Ordens 1540 ihren Anfang genommen hatte und interessanterweise durch Schriften abtrünniger Jesuiten befördert wurde. In diesen Zusammenhang gehört auch die tendenziöse Enthüllungsschrift der „Monita Secreta“ von 1614 sowie die „Briefe in die Provinz“ des überzeugten Jansenisten Blaise Pascal. Besonderen Aufschwung erlebte die Bekämpfung des Ordens in Zusammenhang mit der französischen Aufklärung in der Zeit ab 1750 bis zu ihrem Höhepunkt 1798.

Die einzige Herrscherin, die sich der Aufhebung des Ordens widersetzte, war Zarin Katharina die Große. Die Jesuitenniederlassungen in Russland bildeten nach 1814 die Keimzelle für den Neubeginn der Ordensaktivitäten.

Die Nachkriegszeit war stark von der Rückbesinnung auf die Wurzeln der ignatianischen Spiritualität und der Suche nach einem neuen Kurs bestimmt, was auch die Auseinandersetzung mit der Befreiungstheologie in Mittel- und Südamerika einbezog. Dies führte zu einer erneuten Fokussierung auf die sozialethische Ausrichtung des Ordens, namentlich ein stärkeres Engagement in der Flüchtlingshilfe. Die Wahl eines Jesuiten aus Südamerika zum Papst bestärkt die Rolle der Gesellschaft Jesu als Verbindungsglied zwischen Rom und anderen Teilen der Welt.

Titelbild

Markus Friedrich: Die Jesuiten. Aufstieg, Niedergang, Neubeginn.
Piper Verlag, München 2016.
727 Seiten, 39,00 EUR.
ISBN-13: 9783492055390

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