Die Mensch-Maschine des Silicon Valley

Thomas Wagners Buch „Robokratie“ ist ein Weckruf und ein Plädoyer für mehr Demokratie

Von Sebastian MeißnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sebastian Meißner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Mensch aus Fleisch und Blut ist ein Auslaufmodell. In absehbarer Zeit wird er sich mit Maschinen verschmelzen und mit deren Hilfe eine Intelligenz entwickeln, die 100-mal höher ist als die heutige. Was wie Science-Fiction klingt, ist erklärte Absicht und überzeugte Prognose der sogenannten Singularier – einer überwiegend im Silicon Valley ansässigen Gruppe loser Zukunftsforscher und Entwickler. Für sie ist die Verschmelzung mit Maschinen der nächste Schritt der Evolution, sie betrachten Roboter als unsere natürlichen Kinder, denen wir unser Wissen an die Hand geben sollten, nicht aber unsere vergänglichen Körper. Ihnen ist es vorbehalten, sich dank einer „Intelligenz-Explosion“ rapide weiterzuentwickeln sowie die Unsterblichkeit – und damit die Herrschaft über das Universum – zu erlangen.

Robokratie. Google, das Silicon Valley und der Mensch als Auslaufmodell beginnt mit Aussagen renommierter Wissenschaftler aus aller Welt, die eine Überlegenheit der Künstlichen Intelligenz über den Menschen noch vor Ende dieses Jahrhunderts für möglich halten. Es ist ein schauerliches Szenario, das dort gezeichnet wird: Der Mensch versklavt von Maschinen, die er selbst geschaffen hat oder gleich gänzlich eliminiert. Verhindern könne das niemand mehr – zumindest nicht die Politik, deren Einfluss auf die finanzstarken und unabhängig operierenden Multikonzerne zu gering ist.

Autor Thomas Wagner – Kultursoziologe und Publizist – nähert sich diesem Zukunftsszenario mit einer deutlich spürbaren Ablehnung. Für ihn ist die quasi-religiöse Sehnsucht nach einer universalherrschenden Superintelligenz gefährlich und unbedingt zu vermeiden. In Gesprächen mit Experten wie zum Beispiel Oxford-Professor Nick Nostrom oder Informatik-Professor Raul Rojas aus Berlin entlarvt er die technologischen Allmachtsphantasien der Singularier als verfrüht, überzogen und falsch. Eine Maschinendiktatur wird es nicht geben – diese Botschaft zu verbreiten, ist eines der Anliegen von Wagner. Der Leser erfährt, warum sich das menschliche Hirn eben nicht ohne Weiteres nachbauen lässt, warum sich mit Big Data allein das menschliche Lernverhalten nicht aufwiegen lässt und dass überdies mitnichten alle menschlichen Leistungen verstanden wurden.

Unterhaltsam und mit vielen Fakten und Stimmen unterlegt, ist Wagners Schreibstil angenehm und verständlich. Mitunter lässt er in Anbetracht seiner persönlichen Zielsetzung die gewünschte kritische Distanz allzu sehr vermissen – etwa dann, wenn er für seine Kapitelüberschriften „Demokratie ist kein Betriebssystem“ oder für seine Schlussbemerkung „Warum die Politik nicht durch Technologie ersetzt werden darf“ wählt. Sein leidenschaftliches Plädoyer ist dennoch eine absolute Leseempfehlung. Es zeigt nicht nur auf, welche Motivationen und Phantasien die mächtigsten Konzerne antreiben und welche Rolle sie dem Menschen in Zukunft zuordnen – es beleuchtet auch, wie die unkontrollierte Verteilung von Reichtum und Expertise und damit die Entstehung elitärer Think Tanks vermieden werden kann.

Titelbild

Thomas Wagner: Robokratie. Google, das Silicon-Valley und der Mensch als Auslaufmodell.
2. Auflage.
PapyRossa Verlag, Köln 2016.
177 Seiten , 13,90 EUR.
ISBN-13: 9783894385811

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch