Beunruhigendes Schweigen und erzählerische Ausdeutung

„Welten der Romantik“ – neue Erkenntnisse über die Kunst der Nazarener

Von Klaus HammerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hammer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Von der Ostsee über Wien bis nach Rom reichen die Welten der Romantik. Stofflich wie formal war die romantische Malerei der Vergangenheit zugewandt, vor allem die der Nazarener und später der Präraffaeliten. Gerade in der Darstellung der Landschaft fand sie aber einen unmittelbaren Ausdruck romantischen Welterlebnisses, am vollkommensten in den Werken von Caspar David Friedrich, dessen naturreligiöser Symbolismus durch Philipp Otto Runges figürlich-klassizistische Allegorien der Tageszeiten vorbereitet wurde. Die romantische Landschaftsmalerei sollte das Absolute, die göttliche Unendlichkeit vermitteln. Im Anschluss an die Tradition der heroischen Landschaft entstanden Stimmungsbilder, so von Joseph Anton Koch, Carl Rottmann oder Carl Blechen.

Die deutsche Romantik bedeutete auch eine Hoch-Zeit der Zeichenkunst, die besonders von den Deutschrömern gepflegt wurde. Auch hier wurden landschaftliche Motive bevorzugt. Für die späteren deutschen Romantiker, deren Werke biedermeierhafte Züge enthalten, wurden dann Sage und Märchen thematisch wichtig (Ludwig Richter, Moritz von Schwind), das erklärt dann auch den bemerkenswerten Aufschwung der Buchillustration.

Anlässlich der Ausstellung „Welten der Romantik“, die die Albertina, Wien, in Kooperation mit dem Kupferstichkabinett der Akademie der bildenden Künste Wien um die Jahreswende 2015/16 zeigte, ist eine reich mit Abbildungen versehene Publikation erschienen, die sich dem Zusammentreffen von „protestantischer“ norddeutscher und „katholischer“ Kunst – letztere hatte ihren Ursprung in Wien im Kreis von Friedrich Schlegel – widmet. Vor allem der Beitrag Wiens zur Romantik soll herausgearbeitet werden. Hier schlossen sich zumeist protestantische Künstler in vehementer Ablehnung des akademischen Lehrbetriebs zur Gruppe der Lukasbrüder zusammen; sie stellten ihre Kunst in den Dienst der Religion und ihre Mitglieder zogen schon bald darauf nach Rom, wo sie, nun meist auch zum Katholizismus konvertiert, als „Nazarener“ für Aufmerksamkeit sorgten.

Die Nazarener traten für eine Erneuerung des religiösen Historienbildes ein, für andere Künstler – wie C. D. Friedrich – wurde die Landschaft zur existenziellen Daseinsmetapher. Den schweigenden Bildern Friedrichs steht die erzählende Ausdeutung derselben Motive in der Wiener Romantik gegenüber: Friedrich Overbeck, Ferdinand Olivier – Entdecker der österreichischen Landschaft –, dazu Joseph von Führich, Julius Veit Hans Schnorr von Carolsfeld oder auch Moritz von Schwind.

Mit dem romantischen Kunstkonzept beschäftigt sich Christian Scholl. Er führt aus, dass die Mehrzahl der romantischen Künstler nicht mehr an das aufklärerische Ideal des selbstevidenten, universal wirksamen Kunstwerkes glaubte. Sie entwickelten eine neue Mythologie als gemeinschaftsbildende Kommunikationsbasis, bei der Mediengrenzen, wie sie etwa Lessing noch in seinem Laokoon zwischen Malerei und Poesie gezogen hatte, keine Hürde mehr darstellten. Mit ähnlicher Intensität wie Runge und Friedrich dachten die Nazarener über die Möglichkeit „innerer Bilder“ und den Zusammenhang zwischen Künstlerpersönlichkeit und malerischem Schaffen nach.

So unterschiedlich die Malerei Runges und der Nazarener erscheine, so bilde doch das Streben nach öffentlicher, ortsgebundener Kunst eine Gemeinsamkeit. Einen anderen Weg beschreite Friedrich. Aber auch er war davon überzeugt, dass die Kunst von der religiösen und moralischen Haltung des Malers abhing, und er thematisierte immer wieder die innere Bildfindung im „Gemüt“. Er deutete die Natur als Offenbarung Gottes. Doch von Runges Emphase war er weit entfernt. Er behandelte Natur eher als Gleichnis. So setzte er im „Jahreszeiten“-Zyklus Tages- und Jahreszeiten sowie Lebensalter in Beziehung. Das Kreuz im Gebirge (Tetschener Altar, 1807/08) stellt – in Friedrichs eigenen Worten – nicht das dar, was der äußere, sondern der innere Blick wahrnimmt: Der Maler lässt das Kruzifix an der Bergspitze zum Blickpunkt werden, welches das Sonnenlicht reflektiert und die Mittlerrolle Jesu zwischen dem sich entziehenden Gottvater und den auf der Schattenseite lebenden Menschen symbolisiert. Friedrich enthalte sich – so Christian Scholl weiter – der Historismen und verwerfe die nazarenische Utopie, die Zukunft an eine für besser erachtete Vergangenheit anbinden zu können. Die Natur wird bei Friedrich in der Tat als göttliche Bilderschrift, als eine umfassende Hieroglyphe verstanden, deren unaussprechlichen Sinn allein die Kunst anzudeuten vermag. Oder mit Scholl gesagt: Er wollte Landschaft zum Erörterungsraum für theologische und menschheitsgeschichtliche Probleme erheben. Dafür besetzte er die Landschaft mit ikonographischen Zeichen. Die Zeitgenossen sahen in Friedrich vor allem einen Maler „symbolischer Landschaften“, der den „Hieroglyphen der Natur“ eine christlich-religiöse Deutung unterlegte und somit einen Künstler, der eine wichtige Forderung der frühromantischen Kunsttheorie eingelöst hatte.

Die Kunsthistoriographie des 19. Jahrhunderts, die primär entwicklungsgeschichtlich dachte und die Künstler an ihrer schulenbildenden Wirkung bemaß, sah allerdings die Nazarener als erfolgreicher an als Runge oder Friedrich. Heute gelten zwar Runge und Friedrich als die avancierteren Vertreter der Romantik, es müsse aber auch – so Scholl – an einer ausgewogeneren Sicht auf die Nazarener gearbeitet werden.

Nico Kirchberger wendet sich dem Bruderzwist zwischen Ludwig und Julius Schnorr von Carolsfeld zu. Ludwig Schnorr hatte sich an die Darstellung von Personen mit besonderen abnormen Geisteszuständen gewagt, so an die Gräfin Lesniowska, die er einer magnetischen Behandlung unterzog (vgl. „Heilige Cäcilia“, 1822). Zeitgleich entstanden die Monomanenbildnisse des französischen Romantikers Théodore Géricault. Während Schnorrs Patientinnen sich in einem künstlich herbeigeführten Zustand der Geistesabwesenheit befinden, handelt es sich bei Géricault um einen Dauerzustand, der die Dargestellten zu Insassen eines Irrenhauses macht. Pate für die Schattenseiten des menschlichen Geistes standen in der Romantik vor allem Francisco de Goya und Johann Heinrich Füssli.

War Ludwig Schnorr zum Katholizismus übergetreten, so blieb sein Bruder Julius überzeugter Protestant. Er gehörte zu den bekanntesten Protagonisten der Nazarener und arbeitete in Rom gemeinsam mit Katholiken und Konvertierten wie Johann Friedrich Overbeck und Julius Veit Schnorr an großen Projekten. Aber die Unterschiede in der Behandlung der religiösen Sujets zwischen den protestantischen und katholischen Nazarenern sind für Nico Kirchberger durchaus sichtbar. Auch der Magnetismus war kein alleiniges Spielfeld der romantischen Katholiken um Friedrich Schlegel, selbst der evangelische Theologe Friedrich Schleiermacher praktizierte den Magnetismus, ebenso der Naturforscher, Arzt und Naturphilosoph Gotthilf Heinrich Schubert und der Arzt, Maler und Naturphilosoph Carl Gustav Carus.

Holger Birkholz äußert sich in seinem Beitrag zum Frauenbild der Romantik. Frauen wurden in der Kunst der Romantik als entferntes, anbetungswürdiges und für den Künstler unerreichbares Ideal dargestellt. Durch sie gelangen abstrakte Vorstellungen zur Anschauung, sie entsprechen der Allegorie. Die Frau erscheint in zweifacher Hinsicht entrückt: durch hierarchische Unterordnung und idealisierende Überhöhung. Deshalb eignet sie sich als Folie für Projektionen. Dabei kann Idealisierung auch in ihr Gegenteil umschlagen, in Dämonisierung. Heroisierung und Dämonisierung sind die beiden Muster abstrakter Allegorie. Zeitgleich mit Franz Pforrs Diptychon Sulamith und Maria (1811) –  links Sulamith als Mutter auf der Rasenbank, rechts Maria in der Zurückgezogenheit in ihrer Kemenate –, malt Overbeck seine Vorstellung einer idealen Ausrichtung der Kunst, eine Vermählung zwischen Italia und Germania (1812-1815). Diese sind legitime Nachfolgerinnen der mittelalterlichen Ikonografie von Ecclesia und Synagoge, die den Alten und Neuen Bund mit Gott verkörpern, und deren Interpretation als Concordia.

Die Winzertochter Vittoria Caldoni aus Albano bei Rom wurde von unzähligen Künstlern porträtiert. Der Topos einer durch die Kunst nicht nachzuvollziehenden Schönheit entrückt das weibliche Idealbild in göttliche Sphären. In Friedrich Overbecks Kolossalgemälde Der Triumph der Religion in den Künsten (1831-1840) thront die Madonna in himmlischer Sphäre mit Heiligen und biblischen Figuren über der irdischen Zone mit Künstlern und Gelehrten, Adel und Klerus, deren Wunschbilder gebündelt erscheinen in der weiblichen Allegorie im Zentrum. Die Kunst der Romantik, so führt Holger Birkholz aus, kümmert sich nicht um die Lebenswirklichkeit. In ihr gipfelt – zum letzten Mal in der europäischen Kunstgeschichte –  die Darstellung der Frau als Verkörperung abstrakter Ideale. Frauen in der Malerei werden in der Regel als Madonna mit dem Jesuskind und als liebende Mutter gezeigt. Ihr Umfeld ist das der häuslichen Tätigkeiten oder der Zurückgezogenheit zur Andacht. Sie sind das Muster ländlich fleißiger Arbeit. Die Heroisierung der Frau kann sie aber auch als „dunkel“ und beunruhigend, als Verführung erscheinen lassen. Aber auch dann bleibt sie allegorisch.

Für Werner Telesko ist die Kunst romantischer Anschauung als Reflexionsmedium gleichsam unendlich, auf der anderen Seite steht sie aber ebenso im Dienst konkreter Ziele und Strategien in einer politisch höchst bewegten Zeit. Welche Bedeutung haben Vaterland, Nation und Dynastie für die bildende Kunst des frühen 19. Jahrhunderts am Beispiel der habsburgisch-lothringischen Dynastie? Die politische Programmkunst wird zu einer Art Geschäft, das politische Willensbildung mit der lockenden Aussicht auf Staatsaufträge kombiniert. Auf das Thema „Rudolf von Habsburg und der Priester“ wollte kaum ein bedeutender österreichischer Künstler verzichten. Die unterschiedliche Visualisierung habsburgischer Geschichte und Legenden hatten weniger eine Konkretisierung historischer Fakten zur Folge als vielmehr die Konstruktion und Beschwörung neuer wirkmächtiger Geschichtsmythologien.      

In 16 Themenbereichen werden dann von Peter Prange im Katalogteil des Bands eindringlich die Arbeiten der Ausstellung vorgestellt. Johann Heinrich Füsslis Darstellungen des Abgründigen und Unheimlichen, auch Dämonischen (The Shepherd’s Dream, 1786; Das Schweigen, um 1799-1801), wie Francisco de Goyas motivisch und thematisch ungeheure Radierungs-Serie Die Schrecken des Krieges (1812-1815) markierten bereits die Abkehr von der Antike, auf deren Nachahmungsmodell sich die Kunst bis dahin berufen hatte. Sie einte mit den Romantikern der Bruch mit dem Konzept des akademischen Klassizismus. Den Akademien wurde der Anspruch streitig gemacht, die Wahrheit der Kunst zu vertreten. Künstlerische Vielfalt spiegelte sich in ganz Europa wider.

Die durchweg religiös gesinnten Lukasbrüder in Wien verklärten das Mittelalter als eine Zeit, in der die Einheit von Kunst, Religion und Leben noch nicht aufgehoben war. Kunst sollte nach ihrem Verständnis der Religion dienen und religiöse Empfindungen im Betrachter wecken. Als moderne christliche Künstler verstanden sie sich als Nachfolger der bedeutendsten Maler des Spätmittelalters.

Die Lukasbrüder lehnten das Aktzeichnen, schreibt Peter Prange, nicht grundsätzlich ab, doch zogen sie den herkömmlichen, athletischen männlichen Modellen der Akademie jüngere Männer von zartem Körperbau vor (Franz Pforr, Der Knabe Xaverio, um 1810). Stilisierung und Idealisierung zeichnen Julius Schnorrs weiblichen Akt mit Stab aus (Aktstudie eines stehenden Mädchens mit Stab, 1820). Die beiden Mitbegründer des Lukasbunds, Franz Pforr und Friedrich Overbeck, wählten – wie schon ausgeführt – als Thema die idealen Frauengestalten Sulamith und Maria, die als Bildpaar das nazarenische Ideal von der Kunst im Dienst der Religion verkörpern. Overbeck beschwört in den allegorischen Gestalten Italia und Germania die Vereinigung von italienischer und deutscher Wesensart. Er stellt Raffael und Dürer in den Dienst der katholischen Kirche.

Nach der Trennung von der Wiener Akademie waren die Lukasbrüder 1810 nach Rom gekommen, wo sie schon bald als „Nazarener“ – in äußerlicher Angleichung an Christus – auffielen. Es folgten fast 10 Jahre gemeinsamen Schaffens, dessen Höhepunkte die Freskenzyklen mit Szenen aus der alttestamentlichen Josephslegende in der Casa Bartholdy und zu Dante, Ariost und Torquato Tasso im Casino Massimo waren, mit denen die Nazarener das mittelalterliche Wandfresko wiederbelebten. Ihr neues Kunstverständnis offenbarte sich aber am deutlichsten in der Zeichnung, die die Klarheit und Reinheit der Linie mit einer durchgeistigten Spiritualität verband (Overbecks Madonna im Rosenhag, 1820; Johann Evangelist Scheffer von Leonhardshoff Madonna mit Kind und Kreuzstab, um 1819).

Die Künstler des Lukasbunds entwickelten Ausdrucksmittel des Porträts, in dem nichts von der dargestellten Person ablenken sollte. Das auf das Gesicht konzentrierte Bruststück wurde zum prägenden Ideal der Romantik. Den privaten Charakter spiegelt auch Caspar David Friedrichs Selbstbildnis (um 1803) wider; der gewählte Holzschnitt bewirkt eine Reduktion der Gestaltungsmöglichkeiten, die Friedrich in der strengen Profilansicht zum „Charakteristischen“ vordringen ließ.  

Peter Prange weist darauf hin, dass Julius Schnorr seine Bildnisse als Büste im Typus des Renaissanceporträts präsentierte und die untere Bildleiste mit altertümlichen Schriftzügen versah (Franz Theobald Horny, 1820). Neben Freundschaftsbildern hat es in der Romantik eine große Zahl von Selbstporträts gegeben. Gerade für Johann Evangelist Scheffer von Leonhardshoff wurde das sensualistisch aufgeladene Selbstbildnis (1820) das Instrument einer von Selbstzweifeln nicht freien intensiven Selbstbefragung. Geprägt durch die Werke Raffaels und Peruginos verband er diese Vorbilder mit seiner eigenen Empfindsamkeit und Religiosität.

Die Zurückführung des Lebens auf eine „Urgestalt“ – so Prange – beschäftigte die Romantiker. C. D. Friedrich erkannte die Metapher für Gottes Wirken in den sich jahreszeitlich verändernden Vorgängen in der Natur, auch in der kleinsten Pflanze. Ph. O. Runges Scherenschnitte einheimischer Pflanzen (Nelken. Distelähnliche Blätter, o.J.) erfassen im Umriss das allgemeingültige Strukturprinzip der Pflanze. Franz Hornys Studien von Lilien (1817) unterscheiden sich nicht nur in der Farbigkeit und dem Fehlen alles Symbolischen von Runges Studien der gleichen Pflanze, sie stehen schon an der Schwelle zu einer getreuen Naturbeobachtung.

Einer neuen „christlichen“ Landschaftskunst hatte Joseph Anton Koch für die Nazarener den Weg gebahnt. Ferdinand Olivier verlieh der Landschaft einen feierlichen, durchgeistigten Charakter. Sein Lithografie-Zyklus Sieben Gegenden aus Salzburg und Berchtesgaden (1823) schildert die Landschaft als harmonische Einheit von Arbeit, Familie und Religion, seine Figuren lassen an christliche Tugenden und im Gesamtkontext der sieben Tage an verschiedene Stationen des christlichen Lebensweges denken.     

Das zeichnerisch verdichtete Naturbild und die Abgeschiedenheit werden bei Ferdinand Olivier zum Sinnbild innerer Kontemplation. Das Motiv des Wasserfalls, das Joseph Anton Koch als Metapher für die freiheitlichen Ideen der Aufklärung verwendete und von deren Kraft noch Karl Friedrich Schinkels Ansicht des Wasserfalls bei Wildbad Gastein (1811) kündet, wird bei Olivier zum Ort höherer geistiger Reflexion (Am Gollinger Wasserfall, 1815). Von Olivier übernahm Julius Schnorr die klare, bildparallele Schichtung der Landschaft, unterzog sie aber einer noch stärkeren Stilisierung, die in der abstrahierenden Verwendung der Feder an das Liniensystem altdeutscher Kupferstiche erinnert (Niederösterreichische Landschaft, 1815).

Friedrich Overbeck hat auf seinem Karton Italia und Germania (1812-1815) den beiden Figuren programmatisch jeweils eine andere Landschaft zugeordnet: Sulamith eine italienisch gestimmte Landschaft in sanften Hügeln, Maria eine nordische, mittelalterliche Stadtsilhouette. Der Künstler sah in der Vereinigung von nordischer und südlicher Landschaft die Wesensart der neuen deutschen Kunst.

Mit seinen wilden Waldstücken (Verwitterte Baumstämme, um 1834) wollte Carl Blechen dagegen einen eigenständigen Kontrast zu den beruhigten, klassisch inspirierten Landschaften der Deutschrömer schaffen. Aber auch Franz Horny, Julius Schnorr und Ludwig Richter eröffneten um und nach 1820 schon Wege zu einer naturalistischen Landschaftsauffassung, die den Nazarenern aufgrund ihrer dogmatisch religiös ausgerichteten Kunstanschauung noch verschlossen geblieben waren.

C. D. Friedrichs Landschaften wiederum verweisen auf Göttliches, Landschaft wird bei ihm zur religiösen Andacht und umfassenden Hyroglyphe, die aber nicht entschlüsselt, sondern tief empfunden werden will. In seinem späten Hauptwerk Die Lebensstufen (um 1834) symbolisieren Schiffe die Reise des Menschen durch das Leben, während der Maler in den am Ufer versammelten Personen sich selbst als Rückenfigur und seine Familie dargestellt hat. In Carl Blechens Der Bau der Teufelsbrücke (um 1830) wird die gegenständliche Welt rätselhaft und unheimlich – ihre beiden Bildwelten werden zunehmend metaphysisch aufgeladen.

Ähnlich wie bei Friedrich wird auch bei Philipp Otto Runge Landschaft zum Gegenstand ästhetischer und religiöser Reflexion. Das Projekt der Tageszeiten (1802-1807) – ihre vegetabilen Elemente gründen auf dem Strukturprinzip der Arabeske – hatte eine fortschreitende Beschäftigung Runges mit der Vorstellung von den Zeiten zur Folge, die sich eben dann zu umfassenderen Bildideen der Jahreszeiten, der Lebensalter oder der Weltenzeiten erweitern sollte.   

„Neu-deutsche religiös-patriotische Kunst“ hat Peter Prange in Bezug auf Goethes und Johann Heinrich Meyers gleichnamigen Aufsatz (1817) seinen Kommentar zur Wiederbelebung des monumentalen Andachtbilds durch die Nazarener und ihre Nachfolger überschrieben. Franz Pforr schuf mit seinem Gemälde Der Einzug Rudolfs von Habsburg in Basel 1273 (1808-1810) eines der symbolträchtigen, das Mittelalter verherrlichenden Bilder. Der fromme Graf Rudolf, der zum deutschen König erkoren wurde, muss hier als Gegenbild zu dem Europa mit Krieg überziehenden französischen Kaiser Napoleon verstanden werden. Auch Moritz von Schwinds betender Kaiser Maximilian I. in der Martinswand (1839) ist Ausdruck der „Pietas Austriaca“, des habsburgischen Selbstverständnisses.

Seine Illustrationen zu Goethes Faust (1810-1816) wollte Peter Cornelius als ein Bekenntnis zum Deutschtum aufgefasst wissen, wobei er sich an den grafischen Stil der Dürerzeit anlehnte. Als Beispiel deutscher Baukunst des Mittelalters wurde die Marienburg vom preußischen Herrscherhaus vereinnahmt (Norbert Bittner, nach Johann Friedrich Frick, Die Schlosskirche der Marienburg, um 1830), wie überhaupt die gotische Kathedrale von Friedrich Schinkel zum Symbol nationaler Baukunst und zur Metapher einer unerfüllten Sehnsucht erhoben wurde (Gotische Kirche auf einem Felsen am Meer, um 1815). Mit der Erneuerung der monumentalen, mittelalterlichen Freskomalerei setzte eben dann auch die Wiederbelebung des religiösen Andachtbilds ein, das Johann Evangelist Scheffer von Leonhardshoff, Leopold Kupelwieser und Joseph von Führig schufen. Die Verbindung von Liebe und Tod, die für die von erlebnishafter Subjektivität geprägte Frühromantik kennzeichnend war, wandelte sich in der Spätromantik – so Prange – zu einem messianischen Selbstverständnis ab.

Welche Konsequenzen ergeben sich aus dem Verständnis romantischer Malerei – wobei in dem vorliegenden Band die Nazarener in das Zentrum der Betrachtung gerückt werden – als neuer Sinnbildkunst? Es ist das besondere Verhältnis von Gedanklichem und Sinnlichem, das die Romantik von anderen Kunstbewegungen unterscheidet. Und es ist für das romantische Kunstverständnis bezeichnend, dass es trotz der unterschiedlichen Ausdehnungsbereiche zu keiner Abwertung eines der beiden Faktoren kam. Zumindest bei den beiden Hauptvertretern der romantischen Malerei in Deutschland, bei Runge und Friedrich, spielt das Sinnliche eine entscheidende Rolle, wenngleich beide Künstler der Auffassung waren, dass dieses nur ein Abglanz des Unendlichen bot, und sie daher zur Überwindung seiner Grenzen auf symbolische, ja auch allegorische Konstruktionen zurückgriffen. Nur bei den Nazarenern zeigen sich Tendenzen, das Sinnliche aufgrund seiner Unzulänglichkeit abzuwerten. Das Konzept einer romantischen Sinnbildkunst ist durch diesen wichtigen Text-Bild-Band erfolgreich weiterentwickelt worden.

Titelbild

Cornelia Reiter / Klaus Albrecht Schröder (Hg.): Welten der Romantik.
Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2015.
303 Seiten, 45,00 EUR.
ISBN-13: 9783775740579

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch