Geschichte als Konstrukt

Der vom Haus der Geschichte herausgegebene Sammelband über „Deutsche Geschichte im Spielfilm“ zur gleichnamigen Ausstellung zeichnet einen Querschnitt durch die west- und ostdeutsche sowie internationale Film- und Fernsehproduktion von 1945 bis heute

Von Michael BurgerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Burger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Frage nach dem Verhältnis von Geschichte und Film beschäftigt Historiker und Filmwissenschaftler gleichermaßen. Im Zentrum steht dabei nicht so sehr das Anliegen nach historischer Akkuratheit der Filme, sondern wie sie die auf überlieferten Fakten basierende filmische Erzählung inszenieren und damit einen wesentlichen Beitrag zur Geschichtsaneignung, zum Geschichtsbewusstsein, zur Auseinandersetzung mit Geschichte leisten. Letzterem Umstand ist der vorliegende, reich bebilderte Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn gewidmet. Ziel der Ausstellung ist, wie Hans Walter Hütter im Vorwort anmerkt, „Manipulation, Instrumentalisierung und Ikonisierung bildlicher Darstellungen“ kritisch zu betrachten.

Der Titel Inszeniert. Deutsche Geschichte im Spielfilm erscheint jedoch ein wenig unglücklich gewählt, da er leicht in die Irre führen kann. Der Sammelband deckt thematisch nur die jüngste deutsche Geschichte, also den Zeitraum zwischen der nationalsozialistischen Diktatur und der Wiedervereinigung, ab. Logischerweise werden deshalb auch nur Filme berücksichtigt, die ab 1945 entstanden sind. Der Fokus liegt hierbei auf Produktionen aus der BRD, der DDR und dem wiedervereinigten Deutschland; einige wenige US-amerikanische Filme und Serien wie Holocaust und Schindlers Liste finden ebenfalls Erwähnung. Zwar mag eine zeitliche Eingrenzung angesichts der Unmenge an audiovisuellem Material notwendig erscheinen, weshalb sie ausgerechnet auf diese Weise so getroffen wurde, bleibt der Band allerdings schuldig.

Der Sammelband ist logisch nachvollziehbar aufgebaut: Auf das kurze Vorwort folgen drei Aufsätze, die die Grundlage für die weiteren Beiträge liefern und das Verhältnis von Film und Geschichte mit Hilfe einiger wesentlicher Fragestellungen grob umreißen. Anschließend führt Christian Peters den Leser bildhaft durch die Ausstellung und ihre Schwerpunkte. Daran anknüpfend folgen die einzelnen, vertiefenden Aufsätze zu eben jenen Fokussierungen.

Dass Filme, die ein geschichtliches Ereignis thematisieren, immer schon Geschichte mitkonstruieren und folglich reflektiert werden müssen, zeigen die ersten drei Aufsätze, die sich als die interessantesten erweisen. Sie leisten nämlich nicht nur eine leicht verständliche Einführung in die Thematik Film-Geschichte, sondern zeigen dezidiert auf, wie ein kritischer Umgang mit filmischen Geschichtsdarstellungen aussehen kann.

So hebt Frank Bösch in seinem Beitrag „Zeitgeschichte im Spielfilm“ hervor, dass Geschichtsdarstellungen im Film ebenso dramaturgischen Eingriffen wie der realpolitischen Situation unterliegen und dass ein auf Fakten basierendes Narrativ oftmals nur die Grundlage für zeitlosere Themen darstelle. Angela Schwarz verschiebt in ihrem Aufsatz den Fokus auf Computerspiele, die den Zweiten Weltkrieg thematisieren, und macht die These stark, dass Filme und Computerspiele einen wesentlichen Beitrag zum Geschichtsbewusstsein liefern. Silke Satjukow befasst sich mit der Fragestellung, wie die Vermischung von Fakt und Fiktion im Spielfilm die Geschichtsaneignung nachhaltiger prägt als eine auf wissenschaftlicher Basis beruhende Dokumentation. Sie macht in Rückgriff auf empirische Forschungen darauf aufmerksam, dass fiktionale Filme emotionalisierende Wirkung haben, den Rezipienten auf diese Weise die Möglichkeit einer kritischen Distanzierung zur Geschichte entziehen und ihr Geschichtsbild entscheidend konstituieren. Allen drei Beiträgen ist gemeinsam, dass sie einen reflektierenden Umgang mit Spielfilmen einfordern und kritische Fragen meist unkommentiert, aber als Anregungen stehen lassen.

Diese Leistung können die Aufsätze zur Ausstellung nur bedingt leisten. Die Ausstellung ist in sieben chronologische Themenbereiche unterteilt, mit dem je ein Beitrag im Sammelband korrespondiert, unterteilt: „Holocaust“, „Widerstand“, „Zweiter Weltkrieg“, „Flucht, Vertreibung und Integration“, „Wirtschaftswunder“, „Linksterrorismus“ und „DDR im Spielfilm nach 1989“. Im Zentrum dieser Abschnitte stehe, so Christian Peters in der Erläuterung zur Ausstellung, jeweils ein Spielfilm, der aufgrund seiner zeitgenössischen, oft kontrovers geführten Rezeption und betriebenen Erinnerungspolitik für die jeweilige Thematik besonders hervorrage, beispielsweise der Fernseh-Zweiteiler Die Flucht („Flucht, Vertreibung und Integration“), die US-amerikanisch-deutsche Koproduktion Operation Walküre („Widerstand“), Der Baader-Meinhof Komplex („Linksterrorismus“) und der mit dem Auslandsoscar prämierte Film Das Leben der Anderen („DDR im Spielfilm nach 1989“).

Die Beiträge folgen strukturell demselben Muster: Die vorwiegend deutsche Film- und Fernsehproduktion von 1945 bis 2013 wird anhand eines der besagten Themenbereiche sehr grob und als Aneinanderreihung einzelner Filmtitel und ihrer Rezeption nacherzählt. Politische, wirtschaftliche oder soziale Veränderungen werden selten erwähnt, sodass eine umfassende Kontextualisierung der Filme fehlt. Einzig dem zentralen Film wird dies zuteil, ohne dabei zu sehr in Details abzudriften. Den einzelnen Aufsätzen ist eine Liste der erwähnten Filme mit Produktionsdaten, Inhalt und Rezeptionsgeschichte beziehungsweise ästhetischen Besonderheiten angehängt. Ebenso findet sich anschließend an diese Liste ein thematisch passendes Interview mit Produzenten, Historikern, Drehbuchautoren, Schauspielern oder Regisseuren. Die zahlreichen Bilder – Filmplakate, Setfotografien, Requisiten, Filmskizzen, und so weiter – erweisen sich als eine positive Ergänzung zu den Texten.

Dennoch vermisst man an vielen Stellen genauere Analysen der Filme in Anbetracht dessen, wie sie Geschichte inszenieren und ein Bewusstsein für Geschichte schaffen, ob und wie sie kritisch intervenieren oder Vergangenes verherrlichen. Ein umfangreiches Verzeichnis von Literatur, Filmen und Serien zum Thema sucht man im Anhang jedoch vergeblich, was den Band für die mit dem Themenkomplex und der deutschen Filmgeschichte vertrauten Leserschaft nur bedingt empfehlenswert macht.  

Auf den knapp 250 Seiten führt der Sammelband sachlich und leicht verständlich in die Thematik von Film und Geschichte ein und richtet sich vor allem an ein interessiertes Laienpublikum. Die einzelnen Aufsätze schaffen in ihrer Summe einen holzschnittartigen Überblick zur deutschen und internationalen Film- und Fernsehgeschichte ab 1945 anhand einiger Schwerpunkte sowie eine Heranführung an die wichtigsten Fragestellungen der disziplinenübergreifenden Forschung. Unter diesem Gesichtspunkt kann Hans Walter Hütters Formulierung aus dem Vorwort geradezu als eine Aufforderung verstanden werden, sich differenzierter mit Geschichtsdarstellungen im Film auseinanderzusetzen: „Filme inszenieren Geschichte nach den Gesetzen des Genres, das nach Straffung und Zuspitzung verlangt. Sie unterliegen damit aber auch der Gefahr, statt historischer Fakten Stereotype und Klischees, auch Verfälschungen zu transportieren.“ Den Anfang zur kritischen Auseinandersetzung liefert dieser Begleitband.

Titelbild

Frank Bösch / Johanna Dietrich / Alexander Hallasch / Hans Walter Hütter / Judith Kruse / Mark Laux / Silke Satjukow / Christian Peters / Angela Schwarz / Hans-Joachim Westholt: Inszeniert. Deutsche Geschichte im Spielfilm.
Kerber Verlag, Bielefeld 2016.
247 Seiten, 38,00 EUR.
ISBN-13: 9783735601889

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