Machtzentren und Megacities

Jeremy Black untersucht in „Metropolis“ Großstadtdarstellungen in Plänen und Karten von der Renaissance bis ins 20. Jahrhundert

Von Simone HackeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Simone Hacke

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Städte waren und sind noch heute Zentren der menschlichen Zivilisation, Zentren des Fortschritts und Handels, Zentren der Religion und Macht. Aus dieser exponierten Stellung heraus leitet sich auch das große Interesse der Kartografie an den Städten der Welt ab, und so gehören Stadtpläne zu den ältesten überlieferten Karten überhaupt. Städte sind darüber hinaus ein globales Phänomen, welches sich unabhängig von Kultur oder Entwicklungsstand in fast jedem Teil der Welt entwickelt hat.

Wie kam es zu den Gründungen der ersten Städte und wieso hat sich diese Form des Zusammenlebens letztendlich bis heute durchgesetzt? Was machte die Stadt gerade für Kartografen so interessant und wie unterscheiden sich die Darstellungsformen im Laufe der Zeit? Diesen und anderen Fragen geht der englische Militärhistoriker Jeremy Black in seinem neusten Buch Metropolis. Die Stadt in Karten anhand unterschiedlicher Abbildungen, Pläne und Karten von Städten auf den Grund. Dabei teilt er seine Betrachtungen in sechs Jahrhunderte auf: Von den prunkvollen Renaissance-Städten und den Städtegründungen in der Neuen Welt über das imperiale und das industrielle Zeitalter bis zu heutigen globalen Megacitys und dem Traum von den Städten der Zukunft.

Der mittelalterlichen Darstellung von Städten widmet sich Black leider nur in seiner Einleitung, in der er die kartografische Entwicklung von den ersten Zivilisationen in Mesopotamien bis zum Ende des Mittelalters vorstellt. Dabei wäre gerade die Gegenüberstellung der sehr symbolisch und biblisch aufgeladenen mittelalterlichen Karten mit den immer größere Präzision und realistische Darstellung anstrebenden Karten der Neuzeit interessant gewesen. Auch kommt Jerusalem – der Ort der Macht im Mittelalter und häufig auch das Zentrum der mittelalterlichen Karten – in Jeremy Blacks Einleitung zu kurz.

In den Karten und Plänen der Renaissancestädte spielte neben der idealisierten Darstellung von städtischer Utopie die möglichst maßstabsgetreue Wiedergabe eine immer größere Rolle. Black beschreibt diesen Vorgang als Verlagerung „von impressionistischen, symbolischen oder spirituellen Landschaften hin zur Herstellung eines Abbildes der materiellen Welt im verkleinerten Maßstab“. Ein Beispiel dafür ist der erste gedruckte Stadtatlas Civitates Orbis Terrarum, ein Gemeinschaftswerk des Autors und Herausgebers Georg Braun sowie des Kupferstechers Frans Hogenberg (1572-1618). Der Band zeigt teilweise Stadtpläne, jedoch überwiegend realistische Stadtansichten; eine bildhafte Darstellung, die zu jener Zeit ihre Konjunktur erlebte. Dabei ist insbesondere die Stadtansicht Venedigs hervorzuheben, die zusätzlich noch mit einer Legende von 150 Orten sowie einem Kommentar des Herausgebers versehen ist.

Ein weiteres Highlight der Renaissancestadtkarten ist die Rundkarte von Wien, die 1530 kurz nach der Belagerung der Stadt durch die Türken veröffentlicht wurde. Im Mittelpunkt befindet sich der Stephansdom, von dessen Turm aus die Karte entworfen wurde. Ringförmig um den Dom breitet sich die Stadt aus, dahinter sind die belagernden türkischen Truppen zu erkennen. Die Karte bietet nicht nur eine einzigartige Momentaufnahme des Türkenansturms, sondern zeigt in bemerkenswertem Detailreichtum den Aufbau der Stadt selbst.

Im 17. und 18. Jahrhundert entwickelten sich vor allem London und Paris zu den Hauptschauplätzen. Sie waren „Kumulationspunkte und Schaufenster von Macht“, was sich auch in den Karten, Ansichten und Plänen widerspiegelte. In London dominierten nach dem großen Brand 1668 Pläne zum Wiederaufbau der Stadt, der als bewusst modernes Projekt in Angriff genommen werden sollte. Im Plan des Architekten Sir Christopher Wren lösten breite Boulevards die engen Gassen der Stadt ab und sternförmige Plätze prägten das Gesamtbild. Jedoch wurde Wrens Plan aus Kostengründen nicht in die Tat umgesetzt.

Im Laufe des 19. Jahrhunderts transformierten sich die Städte noch einmal enorm. Die Bevölkerung wurde immer urbaner, allerdings ermöglichten die Einführung der Eisenbahn sowie erste Untergrundbahnen das Ausweichen der Bewohner auf Vororte. Soziale Probleme wurden in den Großstädten ein immer wichtigeres Thema, auch in der Kartografie. Das prominenteste Beispiel ist die Karte zur Armutsstudie von Charles Booth in London, in der er den Straßenzügen auf seinem Stadtplan mit unterschiedlichen Farben die dort vertretenen sozialen Klassen zuwies.

Im 20. Jahrhundert vollzog sich in den Städten der Welt ein noch größerer Wandel. Ehemalige Industriegebiete wurden zu Wohngegenden, industrielle Hafengegenden zu Parks umgebaut. Die Industrie wanderte aus den Städten heraus, da sie nun weniger auf eine Masse von Arbeitern und schnelle Erreichbarkeit angewiesen war. An die Stelle von Reihenhäusern traten Wolkenkratzer, die ein vollkommen neues Stadtbild prägten. Und auch die Kartografie wandelte sich, denn nicht mehr die prachtvolle Zurschaustellung der Stadt war das Kernziel, sondern die beste Route oder den besten Überblick über die jeweilige Stadt für Bewohner oder Touristen zu bieten.

Besonders spannend ist auch, dass sich Black nicht nur den westlichen Städten und Karten widmet, sondern zudem die arabische und asiatische Kartografie mit einbezieht. Hier sind viele Unterschiede auf den ersten Blick sichtbar: So sind in arabischen Karten die Moscheen und Minarette besonders kunstvoll hervorgehoben. Auch fehlen meist Darstellungen von Menschen und Tieren oder diese sind sehr schematisch gehalten. In der asiatischen Kartografie fällt vor allem die für das europäische Auge exotisch anmutende Häusergestaltung auf. Die japanischen Karten sind dabei am stärksten vertreten mit Darstellungen der bedeutendsten Städte des Landes, Tokio (Edo), Kyoto und Nagasaki.

Vor allem in den späteren Kapiteln liegt der Fokus deutlich auf den modernen amerikanischen Städten mit ihrem unverwechselbaren Schachbrettaufbau.

Ein kleines Manko des Bands ist, dass die Bilder nicht durchnummeriert sind oder einen sonstigen Verweis auf den Haupttext bieten. So fällt es manchmal schwer, die passende Karte zur im Text erwähnten Stadt zu finden, da diese erst einige Seiten später auftaucht. Sehr gelungen hingegen sind die in die einzelnen Kapitel eingebundenen Fallstudien zu verschiedenen in der Kartografie besonders gewürdigten Städten wie Venedig, Konstantinopel, Amsterdam oder Brasília.

Der Band von Jeremy Black offenbart die beeindruckende Vielfalt und Funktionen des Mediums Karte von historischen Stadtansichten und Straßenplänen über die Demonstration von Macht und Gebietsansprüchen der jeweiligen Herrscher bis zu datenfokussierten Darstellungen und Vorstellungen der Stadt der Zukunft. Der Autor führt den Leser anschaulich durch die verschiedenen Entwicklungsstadien des städtischen Lebens und lädt mit den vielen hochwertigen Farbabbildungen zum Blättern und Querlesen ein.

Titelbild

Jeremy Black: Metropolis. Die Stadt in Karten von Konstantinopel bis Brasília.
Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 2016.
224 Seiten, 49,00 EUR.
ISBN-13: 9783806233278

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