„Schreiben lernt man durch Krisen“

Ein Interview mit Friederike Kretzen

Von Stephanie DemskiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stephanie Demski und Sarah LangnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sarah Langner

Im Vorfeld des 40. Ingeborg Bachmannpreises in Klagenfurt sprachen wir mit der Autorin Friederike Kretzen über ihre Erfahrungen mit dem sogenannten ‚Häschenkurs‘. Hinter dieser durchaus liebevoll gemeinten Bezeichnung versteckt sich der Klagenfurter Literaturkurs, der in den Tagen vor dem Bachmannpreis stattfindet. Spätere Bachmannpreisträger wie Terézia Mora (1999) und Thomas Lang (2005) nahmen sogar am ‚Häschenkurs‘ teil. Die Schreibwerkstatt bietet jungen Autorinnen und Autoren die Möglichkeit, ihre Texte mit unter der Anleitung von Tutorinnen und Tutoren zu überarbeiten und zu besprechen. Für Friederike Kretzen war es das letzte Jahr als Tutorin.

Frau Kretzen, Sie sind nun schon seit 10 Jahren eine der TutorInnen des ‚Häschenkurses‘. Haben Sie Tendenzen und Entwicklungen bei den Bewerbern des Kurses bemerkt? Gibt es sich wiederholende Themen und Motive?

Ja, sicher, Themen und Motive wiederholen sich, aber wie sie es tun, scheint mir eher zufällig. Was man bei den Einsendungen der Bewerber stärker bemerkt, ist der organisierte Einfluss der Schreibausbildungen. Dort werden den Schreibenden Methoden beigebracht, die eine instrumentelle Nutzung der Sprache fördern. Sie lernen, Fehler zu vermeiden, die ja meistens, – zumindest was die Arbeit am Text angeht – das Kostbarste an Texten sein können. Eine große Zahl der eingesendeten Texte sind soweit ganz gut geschrieben, alles in Ordnung, aber dieses aufgeräumt instrumentelle Verhältnis zur Sprache ist auch eine Imprägnierung und das ist sozusagen nicht in Ordnung.

Würden Sie sagen, die Texte sind inhaltsleer?

Sie sind nicht inhaltsleer, sondern entfremdet. Selbst für die Schreibenden ist es oft schwierig, einen Bezug zu ihren Texten zu haben, ein Gefühl dafür, wo diese dringend sind, wo sich in ihnen etwas notwendig so und nicht anders formuliert. Schreiben lernt man durch Krisen, Unsicherheiten, ausprobieren, weitermachen. Es ist ein unlernbares Handwerk, mit dem wir nie fertig werden. Nur durch Umwege, in Sprüngen, Anläufen, Wiederholungen bildet sich Substanz von Texten. Das Instrumentarium, was in Schreibschulen den Studierenden weitergegeben wird, ist begrenzt. Dabei ginge es um die Arbeit an genau diesen Grenzen, da würde die Arbeit anfangen. So kann weder ein Bezug zu dem, was sich da schreiben will, noch zu den Schreibenden, noch zur Sprache oder zu den Wörtern entstehen. Räume, in denen Sprache in ihrer ganzen Ungesichertheit erlebt, bewegt, bearbeitet und in ihren vielfältigen Bezügen in mir, mit mir entfaltet werden kann, sind an den Schulen eingeschränkt. Ich fürchte, wir haben eine gesellschaftliche Situation, in der es nicht nur an den Schreibschulen genau darum geht: Räume einer freien Arbeit mit und an Sprache einzuengen und zu kontrollieren. Nicht, dass die Schulen das so wollten, aber sie wollen zu wenig das Arbeiten an den Grenzen.

Dadurch fehlt es den Texten dann auch an Innovation?

Das ist damit verbunden. Heiner Müller sagt, dass der Schriftsteller sein ganzes Leben lang versucht, auf das poetische Niveau seiner Träume zu kommen. Schreiben wie im Traum, das ist der Traum der Schreibenden. Schreibend dahin zu kommen, dass sich der Text ergibt, Wort für Wort, eines gibt das andere. Mühelos über jeden Widerstand setzen. Dahin zu kommen, etwas von dieser Möglichkeit des Schreibens zu erfahren, das ist die komplizierte, schöne Arbeit des Schreibens.

Denken Sie, dass Schreibschüler sich im Nachhinein wieder vom Instrumentarium der Schreibschulen loslösen könnten?

Ja, das müssen sie. Roland Barthes spricht im Zusammenhang mit seinen Seminaren vom ‚Entlernen‘. Allerdings ist die Notwendigkeit des ‚Entlernens‘ nicht nur auf Schreibschulen zu beziehen. Schon in der Schule wird ein Umgang mit Texten beigebracht und verstärkt, der Sprache abtötet, jedenfalls kalt stellt, was an ihr über die Maßen hinaus geht. Texte werden vereinheitlicht, es wird vorgeschrieben, was gelesen wird und vor allem wie. Zudem wird keine Zeit gelassen, eigene Erfahrungen mit Texten zu machen, sie wirken zu lassen, sie auf sich selbst zu beziehen, und wahrzunehmen, wie sehr Texte uns eine andere Erfahrung unserer selbst zur Verfügung stellen.

Letzteres kann schlecht vermittelt werden.

Warum? Man kann den Studierenden doch sagen, „Lassen Sie sich Zeit, gehen Sie lieber den Umweg“, das ist interessanter, bringt sie auf andere Gedanken, macht sie erfahrener. Schauen sie aus, was alles da ist, sobald sie eingefahrene Wege verlassen und quer übers Feld laufen. Es geht nicht darum, ob Schreibschulen gut oder schlecht sind – sie sind da. Und ich finde es toll, Zeit und Raum zu haben, sich mit Sprache, mit Schreiben, mit Literatur auseinanderzusetzen, so viel, so kompliziert und so eigenwillig wie möglich. Womit ich Probleme habe, ist die Institutionalisierung einer Berufsausbildung zum Schriftsteller, zur Schriftstellerin. Damit gehen Erfahrungsräume zu. Plötzlich gibt es Bewertungszusammenhänge, die der Sprache, der Arbeit des Schreibens völlig äußerlich sind. Und ebenso ist plötzlich Schreiben ein Beruf, müssen sich die Studierenden auf dem Markt beweisen. Das macht doch was mit dem Schreiben und der Literatur, die dabei entsteht.

Sie kritisieren die Schreibschulen einerseits, andererseits arbeiten Sie für die Schreibschule in Biel. Ist das kein Konflikt für Sie?

Für mich ist das kein Konflikt. Ich arbeite gerne in Biel als Mentorin und biete Seminare an, die den Ruf haben, konspirativ und, wie ein Student mir vor kurzem schrieb ‚entkrustend‘ zu sein. Mir ist es wichtig, meine Erfahrungen mit dem Schreiben, dem Denken, der Literatur und der Kunst zu kommunizieren, immer wieder auch zu überprüfen, ob sie stimmen, ob sie etwas berühren können, und ob ich darüber das Gespräch mit den Studierenden finde. Wenn das nicht mehr funktionieren sollte, würde ich sofort aufhören. Zudem leite ich seit bald zwanzig Jahren an der ETH Zürich das Seminar „Schreibarbeit”, in dem wir nichts anderes machen, als die von den Teilnehmenden eingesandten Texte zu besprechen. Also zusammen zu lesen, was steht da, was steht da nicht. Es ist eine sehr freie, nicht auf irgendeine Verwertung angelegt Arbeit, die ich noch immer mit großer Freude mache. Gerade allerdings glaubt die ETH, sie können sich so ein Seminar nicht mehr leisten und will es abschaffen. 1992 bin ich relativ naiv ans Unterrichten gekommen.

Wie kam es dazu?

Ich habe in Zürich an der Hochschule für Gestaltung und Kunst eine Theoriewoche geleitet. Dort konnten sich Studenten aus allen Disziplinen der Schule einschreiben. Wir haben uns mit Fragen wie „Was ist einfach?“, „Was ist Sammeln?“, „Anfangen zu erzählen“ beschäftigt. Es waren Studierende vom Film, von der visuellen Kommunikation, von der Mode, von der Theorie der Gestaltung. Sie wollten alle nicht Schriftsteller werden, das wurde erst später Modeberuf. Wir haben in diesen Seminaren geschrieben, um genauer denken zu können und das, was wir uns fragten, anders wahrzunehmen. Wir hatten eine ganze Woche Zeit, das war fantastisch, hatten auch Zeit, müde zu sein und dennoch weiter zu denken. Das war eine sehr schöne Erfahrung, die ich bis 2007 jedes Semester dort machen konnte und was meine ‚Lehre‘, um es einmal so zu nennen, bis heute prägt. Reden, Ideen finden, Material bewegen, Stillsein, Müdesein und nicht aufhören, das, was geschieht, wichtig zu nehmen. Es ist ein Glück, wenn so etwas im Austausch mit anderen möglich ist.

Kann man Schreiben überhaupt lernen?

Ich glaube nicht, dass man Schreiben lernen kann. Höchstens so, wie wir das Leben lernen. In der Lehre kann bestenfalls immer nur ein Raum zur Verfügung gestellt werden, in dem auf eine möglichst freie, möglichst freundliche Art die Auseinandersetzung mit Sprache, Denken, Schreiben geführt wird. Das passiert heute größtenteils nicht mehr an Schulen und Universitäten, sondern konzentriert sich, wenn überhaupt, auf die Schreibschulen. Man sagt, man lernt Literatur zu schreiben, aber oft geht es um eine bestimmte Art zu schreiben und sich darzustellen. Das Schriftstellerdasein wird als Identitäts- und Erfolgsmodell angeboten.

Worum geht es beim Schreiben?

Ums Leben, um die Existenz. Was kann ich wissen, was hoffen? Ums zweite Leben, das ich brauche, damit ich ein erstes habe. Schreiben ist eine Form klarer zu denken, genauer zu empfinden, andere Erfahrungen zu machen, mich auf Zustände von Sprachlosigkeit einzulassen und vor dort aus eine Sprache zu suchen, die etwas davon sagen kann, was nicht zu sagen ist. Es geht um etwas sehr Elementares – ich bin da, in meinen Worten, und bleibe dort, auch wenn ich schon lange nicht mehr lebe. Diese Dimension von Sprache macht sie so einzigartig, so wenig äußerlich, so existentiell.

Früher haben Menschen, um zu kommunizieren, Briefe geschrieben. Briefe sind ein bisschen wie Literatur. Sie gehen auch immer über das einfache Kommunizieren hinaus, sie materialisieren eine Beziehung, eine abwesende Anwesenheit und anwesende Abwesenheit. Ich habe noch viele Briefe meiner Mutter, die sie mir während meines Studiums geschrieben hat. Darin schreibt sie mir, wie sie den Tag verbracht hat, wie das Wetter war, was im Garten wächst. Wenn ich ihre Zeilen heute lese, kann ich meine Mutter wahrnehmen, sie ist da, sie spricht zu mir, irgendwo zwischen ihren geschriebenen Wörtern, dem Papier und mir, die ihr zuhört und sich in ihren Zeilen angesprochen fühlt. Geschriebene Küsse fressen die Geister, sagt Kafka irgendwo in den Liebesbriefen an Milena. Ich glaube, das ist das Selbstverhältnis, das uns Schreiben ganz grundlegend eröffnet: Mehr als eins sein, anders, mit anderen und die Geister fressen hören in der Bewegung der Annäherungen und Entfernungen, alles auf einmal. Schreiben ist ein Raum für unsere gespenstischen Selbstverhältnisse ohne Selbst.

Stimmt es, dass die Leute weniger lesen?

Ja, das bekomme ich bei den Studierenden schon mit. Sie haben oft nicht wirklich Lust zu lesen, wollen lieber selber schreiben. Als ob das ein Widerspruch wäre. Sie behandeln das Lesen wie einen Widerstand gegen ihr Schreiben, eine Ablenkung. Ich weiß nicht, ob sie wahrnehmen können, wie sehr alles, was sie schreiben, aus dem lebt, was schon geschrieben worden ist. Ich hatte vor kurzem einen Studenten, der mir erklärt hat, dass er nicht in der Lage sei, Literatur von vor fünfzig Jahren zu lesen.

Wie verhält es sich mit der Kommunikation über Medien wie E-Mails und SMS und Facebook-Literatur? Dort entsteht doch auch Raum für Kreativität, für ein anderes Schreiben.

Ich kommuniziere so gut wie gar nicht in diesen neuen Medien und kann dazu nichts sagen. Ich beschreibe hier Veränderungen, die ich wahrnehme, aber sie zu bewerten, wie sollte das möglich sein? Allerdings finde ich, dass das, was mit Sprache passiert, wie sie gelehrt und bearbeitet wird, ganz und gar nicht harmlos ist. Es ist noch nicht lange her, da wussten wir genauer, dass Sprache eine Waffe ist, die gegen uns gerichtet ist.

Ist das ein Generationenkonflikt? Ein Untergangsdiskurs der Sprache?

Mit Untergang hat das nichts zu tun. Wir leben in nach-apokalyptischen Zeiten. Alle Untergänge, die geschehen können, haben wir schon erlebt. Allerdings finden massive Zugriffe im Bereich Sprache, Bildung, Kultur, Kunst statt. Wir leben in einer zerstörerischen Zeit, die leider betäubt zu sein scheint. Zu viele Schmerzmittel, zu viele Betäubungsmittel sind im Umlauf, als dass es möglich wäre, wahrzunehmen, wie gefährlich es ist, nichts mehr zu spüren. Sprache setzt ganz elementar etwas zwischen mich und den Schmerz, wodurch der ein anderer wird. Sie übersetzt und schafft damit eine andere Wahrnehmung des nun schon nicht mehr gleichen Schmerzes. So, wie es im Sprichwort heißt: Wenn die Wunde schmerzt, verbinde das Messer. Das macht Sprache. Was ich irre finde, ist, dass es so wenig Widerstand gegen Vereinnahmungen von Leben, Identitäten, Konzepten, Utopien gibt. Schulen, Ausbildungen sind Teil von Unterwerfungsprozessen, deshalb kritisiere ich sie. Wir leben ja immerhin in einer Demokratie und ich arbeite nicht in der Unterhaltungsindustrie.

Kennen sie Farhad Showghi, den persischen Dichter, der in Hamburg lebt und Psychiater ist? Bei einer Lesung bei den Philosophen an der Uni in Basel wurde er gefragt, wofür seine Gedichte gut seien. Er überlegte einen Moment und antwortete souverän, dass man, wenn man Gedichte liest, einer Diktatur besser widerstehen könne. Das ist es. Die Möglichkeit durch Sprache und Dichtung einer Diktatur, unserer Unterwerfung, etwas entgegnen zu können, diese Möglichkeit ist nicht aufzugeben. Ob sie besteht, liegt an uns, liegt sozusagen in unserer Hand.

Einmal zu einer ganz anderen Frage, um die man hier beim Bachmannpreis kaum herum kommt. Wie ist die Beziehung zwischen Autoren und Lektoren zu bewerten?

Lektoren werden heutzutage stärker in den Produktionsprozess mit einbezogen. Aber Lektoren sind leider auch Anwälte der Verlage. Verlage müssen sich verkaufen, bedienen eine bestimmte Marktschiene und da geht es dann um Unterhaltung, Verständlichkeit, Konvention. Lektoren werden auch in die Ausbildung mit einbezogen, kommen zu Prüfungen, prüfen und es gibt Seminare mit Lektoren, in denen sie den Studierenden Hinweise auf ihre Texte geben.

Also grätschen die Verlage in die Schreibschulen rein.

Natürlich. Es ist sogar so, dass die Schulen in die Verlage wollen. Es gibt ein Ranking. Je mehr Leute aus einer Schreibschule in großen Verlagen platziert werden, desto besser ist die Schule und umso mehr Studierende wollen dort studieren. Das ist doch mittlerweile an allen Schulen und Hochschulen so. Alle haben Gründe und Interessen, aber um einen Raum, in dem an etwas gearbeitet werden kann, also studiert, ohne gleich an die Verwertbarkeit zu denken, kann es dabei so gut wie nicht gehen. Leider ist das unserer Hochschullandschaft.

Also geht es auch beim Bachmannpreis nicht um innovative, gute Texte?

Nein, um den Bachmannpreis zu gewinnen, braucht man schon Verlags- und Medienmenschen hinter sich. Das können Sie sich hier angucken.

Werden wir tun. Demnach geht es nur um Leserfreundlichkeit?

Leserfreundlichkeit wäre ja, dem Leser etwas zuzumuten von seinem schweren Leben.

Aha, Sie sprechen im Konjunktiv.

Es wird von Leserfreundlichkeit gesprochen, das ist ein Phantom, um nicht zu sagen, ein Wahn. Zudem Angst besetzt. Vor ein paar Jahren tauchte plötzlich die Frage auf: Aber verliere ich mit dieser Formulierung oder diesem Abschnitt nicht den Leser? Ich finde das ziemlich irre. Wer, um Himmels willen, soll dieser Leser sein, und warum mich fürchten, ihn zu verlieren, den ich nie haben werde? Maurice Blanchot sagt: „Schreiben heißt, lesbar für andere und unlesbar für mich zu werden“. Das ist der interessante Zusammenhang, diese gewagte Übersetzung, die macht, dass ich für mich unlesbar werde und für den Leser lesbar. Das, würde ich sagen, ist Leserfreundlichkeit.

Die Drohung mit der Leserfreundlichkeit, genau das meine ich mit normierenden Zugriffen. Es wird uns von außen gesagt, was gute Literatur sei und was Leserfreundlichkeit. Viel von dem, was als solche Literatur gilt, ist stereotyp, redundant geschrieben, hat aber einen raffinierten Plot und sonst noch so ein paar Zutaten, von denen es heißt, sie machten den Text besonders interessant. Das ist richtig schlechte Literatur, schnell zusammengeleimt, schnell auf den Markt geworfen.

Sie saßen selber mal in der Jury des Bachmannpreises. Weswegen sind Sie nicht weiter als Jurorin angetreten?

Ich fand es sehr anstrengend, nicht zu den Texten zu sprechen, sondern immer nur darüber. Das aber war die Struktur des Gesprächs. Zudem ging es um äußere Positionen – da saßen ja vor allem Vertreter von Institutionen, keine Leser, keine Begeisterten, die etwas erfahren wollten, sondern Taktiker. Ich hatte das Gefühl, da verrate ich etwas von dem, was mir lieb und notwendig ist.

Es gibt Stimmen, die sagen, der Bachmannpreis werde durch die Vereinnahmungen von den Medien und Verlagen zu etwas, das er nie sein wollte und wenden sich ab. Es ist auch Ihr letztes Jahr hier?

Ich glaube, der Bachmannpreis wollte nie etwas anderes sein, er ist immer schon bei sich angekommen. Ich frage mich, was hat Literatur mit Wettbewerb zu tun? Das ist doch Gaudi für die Zuschauer und völlig inadäquat in Bezug auf Literatur. Wäre der Bachmannwettbewerb ein Fest der Literatur, wo uns die Fülle, die Vielfalt literarischer Formen vorgestellt würde, wo zu Texten gesprochen würde und nicht immer nur über sie, als wären sie tot, dann könnte die Veranstaltung interessant sein, lebendig – wir brauchten eine völlig andere Literaturkritik, eine, die an der Versachlichung ihrer Kriterien arbeiten würde, die ihre Methoden und Analysen darlegen würde, die analysieren könnte, wie ein Text geschrieben ist und zwar auf Grund der Kriterien, die ein Text jeweils zur Verfügung stellt. Das wäre meines Erachtens eine Zukunft, aber nicht diese fernsehförmige Verwurstung von Literatur, die wir da geboten bekommen. Und die sich nicht gut auf die Literatur auswirkt.

Ja, ich bin schon so lange dabei, zehn Jahre. Die Arbeit hat sich von den Texten her verändert, von der Haltung der Verfasserinnen und Verfasser zu den Texten. Am Anfang waren die Stipendiatinnen interessiert an Gesprächen. Mittlerweile habe ich das Gefühl, sie sind des Gesprächs müde, haben schon so viel und so oft über ihre Texte gesprochen, dass da nicht mehr viel passiert. Hat etwas mit Abdichtung zu tun. Na klar, wenn sie immer ihre Texte preisgeben sollen, dann werden das abgedichtete Texte. Was ich sehr schade finde.

Frau Kretzen, haben Sie vielen Dank für das Gespräch!

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen