Flucht in die Stille

Tilman Strasser gelingt es in seinem ersten Roman „Hasenmeister“ eindrücklich, einen Einblick in die Psyche eines leidenden Musikers zu geben

Von Benedikt HengstlRSS-Newsfeed neuer Artikel von Benedikt Hengstl

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Allein in absoluter Stille, in einer von grellen Neonröhren beleuchteten, nach Katzenfutter stinkenden Übezelle eines Konservatoriums, durch zwei schwere Türen von der Außenwelt getrennt. Dorthin flüchtet sich der überforderte Protagonist Felix Hasenmeister in Tilman Strassers Debütroman Hasenmeister, nachdem der wohl wichtigste Auftritt des jungen Violinisten ein abruptes Ende genommen hat. In aller Abgeschiedenheit beginnt er, sein bisheriges Leben zu rekapitulieren: Sein Heranwachsen und die gestörte Beziehung zu seinem Vater – Mediziner und ehemals selbst ambitionierter Violinist –, aber auch die verschiedenen Geigenlehrer und nicht zuletzt die Beziehung zur verheirateten Ärztin Carla, die, auf der Suche nach Hasenmeister, mit ihren Textnachrichten als einzige die selbstgewählte Isolation des Musikers zeitweise durchbricht.

In kurzen, nicht chronologisch angeordneten Episoden erhält der Leser aus der Perspektive des Protagonisten Einblick in dessen Gedankenwelt und Erinnerungen, wobei vor allem die Abschnitte über die einzelnen Violinlehrer geradezu grotesk wirken. So taucht die erste Lehrerin, eine strenge Russin, deren Augenfarbe sich je nach Leistung ihres Schülers zu verändern scheint, eines Tages im Garten des väterlichen Hauses auf und treibt dort ihr Unwesen: „Die Farnstängel knickte sie, die Tulpen rupfte sie aus dem Boden, den Efeu riss sie von der Wand und zerfledderte sämtliche Blätter. Als sie wusste, dass ich hinsah, verschlang sie mit einem Bissen vier Petunienköpfe.“ Ein weiteres anschauliches Beispiel für die Absurditäten im Roman ist die Beschreibung des dritten Lehrers, wie dieser, scheinbar gelähmt durch einen Unfall, erst durch das Klavierspiel eines Kindes im Nirgendwo des Ural die Musik wirklich zu verstehen lernt und nahezu vollständig geheilt wird. Auch die Sprache Strassers entfaltet hierbei einen ungemeinen Sog, sie bringt dem Leser die „wirren Traumbilder“ näher, die der Lehrer während seiner wundersamen Genesung vor sich sieht. Jedoch ist Hasenmeister keine Aneinanderreihung von grotesken Anekdoten, vielmehr gelingt es Strasser, dem Leser ein vielschichtiges Bild des Protagonisten vor Augen zu stellen, seine emotionale Unsicherheit und das mehr als schwierige Verhältnis zum Vater, welches den Dreh- und Angelpunkt des Buches darstellt, zu transportieren.

Hasenmeister, aufgewachsen ohne Mutter, leidet unter seinem Vater und dessen immer weiter fortschreitende Distanzierung vom eigenen Sohn, demgegenüber er zuletzt sogar komplett verstummt. So erzählt er irgendwann nur noch den Freundinnen des Sohnes, dass dieser ihm mit seiner Geburt den Auftritt seines Lebens verdorben hätte. Doch diese, den Roman bestimmende, tragische Geschichte wird gerade durch die absurden, komischen Momente durchbrochen. So zum Beispiel auch, als die Wehen der Mutter während des Konzerts des Ärzteorchesters, dem der Vater angehörte, einsetzen und ein regelrechter Tumult ausbricht: „Die zweiten Geigen riss es von den Stühlen, ihr Stimmführer tat einen Hechtsprung in Richtung des Publikums, wurde aber vom Dirigenten beiseitegestoßen, der sich seinerseits vom Podest stürzte, um als Erster bei meiner Mutter zu sein.“

Gerade der Wechsel aus solchen Abschnitten und der ernsten und bedrückenden Grundstimmung, die vor allem in den Momenten fassbar wird, in denen der Musiker alleine in der vollkommen Stille der Übezelle ins Nachdenken gerät, tragen dazu bei, dass Hasenmeister eben nicht zu einer schweren, rein melancholischen Charakterstudie wird, sondern diese gekonnt auflockert und gerade deswegen der Leser in den Bann der Gedankengänge Felix Hasenmeisters gerät. Fesselnd ist ebenso die durchdachte und tiefgehende Charakterzeichnung der Figuren sowie die Tatsache, dass sich das Porträt des Protagonisten und dessen Beziehung zum Vater erst im Laufe des Romans durch die einzelnen Episoden einem Puzzle ähnlich zu einem Gesamtbild fügt. Zudem ist es bemerkenswert, wie Tilman Strasser es meistert, klassische Musik – hier vor allem das Geigenspiel – sprachlich einzufangen und zu paraphrasieren, ohne dabei an einer Stelle ‚verkopft‘ oder gar prätentiös zu klingen. So gelingt es ihm beispielsweise perfekt, die Dynamik eines Cellokonzertes und die Spannung des Publikums einzufangen: „Es verfolgte gebannt, wie der Cellist das Ungestüm des ersten Satzes wie der Teufel meisterte, wie er den zweiten durchschwelgte in sagenhaft warmen Ton, wie er schließlich den dritten begann: ein letztes, unbeugsames Aufbegehren.“

Hasenmeister ist somit ein äußerst gelungener Debütroman des 1984 geborenen Tilman Strasser, der eine eindringliche doch gleichsam unterhaltsame Studie über einen jungen, von Zweifeln geplagten Musiker darstellt, der es erst im Moment des kompletten Zusammenbruchs schafft, sich mit sich selbst und dem alles bestimmenden Vater tatsächlich auseinanderzusetzen. Dabei treffen reale Erinnerungen auf geradezu groteske Bilder, die sich auch durch Strassers Sprachstil traumwandlerisch sicher zu einem homogenen Ganzen vereinen. Diesem Stil ist es außerdem zu verdanken, dass die Faszination, die die Musik auf den Protagonisten ausübt und die Wirkung, die sie entfaltet, jederzeit nachvollziehbar ist. Sich auf das Gefühlsleben des Felix Hasenmeister einzulassen fällt leicht, umso schwerer dürfte es aber fallen, sich dem Sog dieses durchweg gelungenen Romans zu entziehen.

Titelbild

Tilman Strasser: Hasenmeister. Roman.
Salis Verlag, Zürich 2015.
240 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783906195254

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