All about Jazz

Der preisgekrönte Autor Wolf Kampmann liefert ein mit Anekdoten und Fakten prall gefülltes Grundlagenwerk

Von Sebastian MeißnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sebastian Meißner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als Wolf Kampmann im letzten Jahr im Rahmen der jazzahead den „Preis für deutschen Jazzjournalismus“ verliehen bekam, wunderte dies kaum jemanden. Seit vielen Jahren gehören seine Beiträge zum Besten, was man über improvisierte Musik und ihre Schaffer lesen kann. Gleichsam unaufdringlich und unterhaltsam führt Kampmann seine Leser durch Fakten und Gedanken. Einer seiner großen Trümpfe ist, dass er den Musikerpersönlichkeiten stets sehr nahe kommt. Das ist auch in „Jazz. Eine Geschichte von 1900 bis übermorgen“ der Fall, in dem sich Kampmann von der Vor- und Frühgeschichte des Genres über dessen Blütezeit Anfang bis Mitte des letzten Jahrhunderts bis hin zur Gegenwart arbeitet. In 24 Kapiteln umreißt der Autor das Phänomen einer Musik, dessen Charakter durch die verschiedenen Strömungen immer wieder neu definiert wurde. Der chronologische Aufbau des Buches ermöglicht es dem Leser, die Interferenzen und Zusammenhänge dieser einzelnen Strömungen nachzuvollziehen.

Kampmann reiht in seinem Buch nicht einfach Fakten an Fakten, er füllt seine Erzählung mit Leben und webt unbekanntes Detailwissen in die jeweiligen zeithistorischen und sozialen Kontexte ein. Seine Kontextualisierungen und Interpretationen sind eine wahre Freude. Immer wieder zoomt er an einzelne Personen heran und gibt hilfreiche und oft kuriose Details aus den Biografien einzelner Musiker preis. So wird etwa die Offenbarung des Sun Ra, die sich im Jahr 1936 zugetragen hat und infolge dessen er als Botschafter des kosmischen Friedens eine geradezu uferlose Schaffenskraft entwickelte, erwähnt. Wertvoll auch die Analysen des Autors, wenn er etwa gegen althergebrachte Meinungen und Überzeugungen argumentiert. Ornette Coleman etwa stellt Kampmann als Zeit seines Lebens missverstandenen Künstler dar, als zweifelndes Genie, das „sich seiner Sache immer zugleich total und überhaupt nicht sicher“ war. Interessant sind auch seine Beschreibung des europäischen Jazz sowie das Kapitel über die Rolle des Gesangs im Jazz. In jeder Zeile zeigt sich Kampmanns sicherer Umgang mit Fakten und Spekulationen, mit Einschätzungen und Ansichten.

 Er analysiert den Hype um Kamasi Washington, Robert Glasper und Jaimeo Brown und anderen zeitgenössischen Größen wie José James, Terence Blanchard oder James Brandon Lewis – über die Zukunft aber verrät er nichts, sondern schließt seine Betrachtungen mit der Binsenweisheit, dass alles meist anders kommt, als man denkt. Von einem so fachmännischen Autor darf man hier mehr erwarten. 
Abgesehen davon aber erfüllt „Jazz. Eine Geschichte von 1900 bis übermorgen“ alle Erwartungen. Für Neueinsteiger bietet es sich ebenso an wie für ausgewiesene Jazzkenner, die hier viel Neues erfahren können. Angereichert ist das Buch mit vielen Schwarz-Weiß-Fotografien.

Titelbild

Wolf Kampmann: Jazz. Eine Geschichte von 1900 bis übermorgen.
Reclam Verlag, Stuttgart 2016.
392 Seiten, 34,95 EUR.
ISBN-13: 9783150110720

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