Friedhelm Rathjen beschäftigt sich in „Zettelwirtschaft“ mit dem Spätwerk Arno Schmidts

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

46 Jahre nach dem Original erschien im Herbst 2016 die erste komplette Übersetzung von Zettel’s Traum, nämlich John Woods’ schier unglaubliche Leistung Bottom’s Dream. Nicht auszuschließen, dass Arno Schmidts ‚große Zukunft in Amerika‘, von der manche Auguren schon vor Jahrzehnten raunten, nun doch noch Wirklichkeit wird – aber unabhängig von der überfälligen Übersetzung hat es eine erstaunliche internationale und auch amerikanische Zettel’s-Traum-Rezeption bereits während der genannten 46 Jahre gegeben, genauer gesagt sogar schon davor, denn sie setzte schon ein, als Schmidts Arbeit an Zettel’s Traum noch nicht einmal beendet war. Einen Überblick über diese Rezeption gibt der erste Beitrag des Bandes Zettelwirtschaft.

Die übrigen Beiträge des Buches beschäftigen sich mit den Büchern Schmidts, die auf Zettel’s Traum folgten, und zwar nicht mit ihrer Rezeption, sondern aus verschiedenen Blickwinkeln mit Fragen der Textgenese. Für die Schule der Atheisten wird diese Genese in einer Art Tagebuch ebenso akribisch wie umfassend nachgezeichnet, außerdem wird ein Spezialaspekt herausgegriffen, nämlich die Verarbeitung des Gesamtwerks von Theodor Storm in der Schule der Atheisten (und in Schmidts übrigem Werk). Anhand von Schmidts letzten beiden Büchern schließlich, Abend mit Goldrand und dem nicht mehr abgeschlossenen Julia, oder die Gemälde, soll beispielhaft gezeigt werden, wohin sich Schmidts Zitatismus in den späten Jahren entwickelte. Im Gegensatz zu seinem Werk bis in die 1960er-Jahre hinein zitierte Schmidt in seiner Spätphase nicht mehr nur Bücher, die er gut kannte, sondern er bediente sich diverser Kompendien und Nachschlagewerke (wie hier Chambers’s Cyclopaedia of English Literature), um zitatorisch auch auf jene Teile der Weltliteratur zugreifen zu könnten, die er komplett gar nicht rezipiert hatte. Welche Konsequenzen dieses veränderte Zitierverhalten für die Interpretation von Schmidts Texten hat, ist eine Frage, die hier nicht beantwortet werden kann, doch zumindest wird sie aufgeworfen.

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Titelbild

Friedhelm Rathjen: Zettelwirtschaft. Studien zu Genese und Rezeption des Spätwerks von Arno Schmidt.
Edition ReJOYCE, Südwesthörn 2016.
168 Seiten, 17,00 EUR.
ISBN-13: 9783000538803

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