Neu war immer nur das Alte

Daniela Henke liefert eine weitere postmoderne Deutung von Christoph Ransmayrs Werk

Von Markus Oliver SpitzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Markus Oliver Spitz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Daniela Henke, Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin in Freiburg, bemüht sich in ihrer Publikation „Geschichte neu denken. Postmoderne Geschichtsphilosophie und Historiographie im Romanwerk Christoph Ransmayrs“ darum, Ransmayrs Historiographie und postmodernes Geschichtsverständnis miteinander in Einklang zu bringen. Zwar wurde mitunter auch gegen die Klassifizierung von Ransmayrs Romanen (und Reportagen) als postmodern argumentiert. Zugestanden, die „Ernsthaftigkeit“ der Themen allein, die der Österreicher bis dato behandelt hat (etwa Erinnerungsarbeit, Entropie und Endzeitvision), reicht zu diesem Zweck noch nicht hin, denn sicherlich ist postmoderne Literatur neben ihrer U-Seite auch durch ihren gegen den Totalitätsanspruch der Vernunft gerichteten Impetus charakterisiert.

Man kann in diesem Zusammenhang und im Rekurs auf Morbus Kitahara aber zusätzlich auf die Sprachverwendung verweisen, die sich nicht in Gänze mit der postmodernen Prämisse des freien Flottierens von Bedeutung deckt, oder auch auf die Figurenzeichnung, die nicht wirklich auf ein „Verschwinden des Subjekts“ (Monica Froehlich) hindeutet. Das für diesen Roman des Weiteren zentrale Thema der Vergangenheit, welche für die Opfer von Gewalttaten – hier speziell Ambras – eben nicht vergangen ist, widerspricht darüber hinaus Jean-François Lyotards Lobpreis des Vergessens, wie wir ihn hinreichend aus La condition postmoderne kennen. Von einem derartigen Standpunkt ließe sich Ransmayr als pessimistischer Aufklärer sehen, der sich zwar wohl der Fragilität aufklärerischer Positionen bewusst ist, diese aber dennoch dem Leser vermittelt.

Henke reiht sich jedoch relativ umstandslos in denjenigen Interpretationsstrang ein, welcher auch von der Mehrzahl der Ransmayr-Exegeten vertreten wird, nämlich die Texte postmodern auszulegen. Dabei ist der Theorieteil, mit dem sie in ihre Arbeit einführt, im Ganzen durchaus solide, die üblichen Verdächtigen wie Leslie Fiedler, Wolfgang Welsch und Jean Baudrillard werden herbeizitiert und bezeugen den verlorengegangenen Glauben an Vernunft und Fortschritt sowie an die Linearität und Teleologie von Geschichte, setzen an deren Stelle das Pluralitätspostulat und die Reduktion, wenn nicht gar Auflösung des traditionellen Subjektbegriffs – wobei dies nicht als Verlust, sondern als Bereicherung aufgefasst wird.

Leider erweist sich all das zunächst jedoch als wenig ertragreich für Henkes Ausgangspunkt, sondern handelt im Gegenteil einige in dieser Hinsicht zentrale Aspekte, insbesondere das Posthistoire und seine Positionierung im Verhältnis zur Postmoderne, mit wenigen Federstrichen ab. Fruchtbarer für Henkes Ansatz ist der Rekurs auf Ansgar Nünning und seine Typologie des historischen Romans, denn tatsächlich leitet diese eine Erweiterung des Genres ein. Hier hätte man sich gewünscht, die Autorin wäre ins Detail gegangen.

Im zweiten Teil ihrer Publikation versucht Henke die in den Romanen aufscheinende „Kritik am Geschichtsbild der Moderne“ konkret an den Texten festzumachen. Man fragt sich jedoch, wo das im Titel angekündigte Neue bleibt: Die Schrecken des Eises und der Finsternis sowie Die letzte Welt werden primär dazu herangezogen, die Absage an die modernen Mythen des totalitären Wahrheitsanspruchs, des vernunftgelenkten Handelns und der „Fortschrittsgläubigkeit“ zu illustrieren – wobei gerade letzterer Begriff natürlich auch die Verabsolutierung einer bestimmten Tendenz im Nachhinein beinhaltet.

Am Beispiel vornehmlich der Figur des Ambras gelingt Henke dann aber eine Reihe stimmiger Einsichten in die Dialektik von Erinnern und Vergessen, wenn sie ausführt, die „historische Wahrheit“ liege „im Erleben des Einzelnen“ und die „verfremdete historische Kulisse des Romans“ stelle eine Möglichkeit her, „dem Einzelschicksal erneut Gehör zu verschaffen,“ sodass sich im Endeffekt „die Geschichte einen unverbrauchten Weg in das Bewusstsein des Lesers bahnt.“

Dienen diese Befunde nicht allerdings als Beleg dafür, dass hier gerade keine Reduktion von Subjektivität vorliegt, sondern dass diese vielmehr im Hinblick auf die Übermittlung des Handlungsverlaufs und die darauf beruhende Rezeption durch den Leser aufgewertet wird? Auch Henke selbst konstatiert an dieser Stelle „als komplementäre Botschaft zum Verschwinden des Subjekts die Verabsolutierung des Subjektiven“, die sie letztlich als „Widerspruch innerhalb der durch Ransmayrs Romanwerk transportierten Geschichtsphilosophie“ deuten muss, um ihre Ausgangsthese nicht zu unterminieren.

Somit bleibt als Ergebnis der Lektüre der Eindruck haften, der vorgeblich diskursanalytische Ansatz münde in einen Zirkelschluss: Ransmayrs Romane partizipieren am postmodernen Diskurs, können ergo nur postmoderne Literatur sein.

Titelbild

Daniela Henke: Geschichte neu denken. Postmoderne Geschichtsphilosophie und Historiographie im Romanwerk Christoph Ransmayrs.
Tectum Verlag, Marburg 2016.
130 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783828837607

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