Unter Vorbehalt

Anne Enright schreibt in „Rosaleens Fest“ über die vergebliche Suche nach bedingungsloser Liebe

Von Sarah RiescherRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sarah Riescher

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Aber mich magst du, Mammy?“ – „Ich mag dich jetzt“, lässt die irische Autorin Anne Enright die Protagonistin ihres Romans Rosaleens Fest gleich zu Beginn auf die Frage ihrer Tochter Hanna antworten. Denn Rosaleen liebt Kinder, doch erlischt die Liebe zu ihnen sehr schnell, sobald diese erwachsen werden und ihr eigenes Leben führen wollen.

Die Sonne, um die sich die Familie Madigan dreht, heißt Rosaleen. Sie ist eine Frau aus guter irischer Familie. Für Rosaleen muss eine Frau interessant sein, auf ihre Kleidung achten und Nachrichten hören. Sie hat einen Mann geheiratet, der zwar aus niederem Stand war, der sie aber für ihre Schönheit und ihren Besitz verehrte, und dem sie vier Kinder geschenkt hat.

Nachdem ihr Ehemann mittlerweile tot ist und ihre Kinder erwachsen sind und ihr eigenes Leben führen, lädt Rosaleen ihre Familie zu einem letzten gemeinsamen Weihnachtsfest im alten Haus ein, das verkauft werden soll. Als alle unter einem Dach versammelt sind, bemerkt sie jedoch schnell, dass der Lebensstil ihrer Kinder eine persönliche Kränkung für sie ist. Denn ein Wesenszug ist ausschlaggebend für Enrights Hauptfigur: Sie ist eine Frau, die alles erwartet, aber nichts dafür tut. So fordert sie bedingungslose Liebe von ihren Töchtern und Söhnen, ist selbst aber nicht fähig, diese ohne Vorbehalt zu lieben, vor allem, wenn sie merkt, dass ihre Kinder eigene Persönlichkeiten entwickeln, die ihren Vorstellungen so gar nicht entsprechen. Babys habe sie schon immer gemocht, es seien nur die Erwachsenen, die sie nicht ausstehen könne, stellt ihr mittlerweile erwachsener Sohn Emmet fest.

So liest man, wie die Madigan-Kinder beim Versuch zu lieben und Liebe zu finden, stetig scheitern. Die kleine Hanna ist nach misslungener Schauspielkarriere zur Alkoholikerin geworden, die vor allem deswegen einen Mann und ein Baby hat, weil man (vor allem ihre Mutter Rosaleen) das so von ihr erwartet hat. Constance, die Älteste, hat eine eigene Familie, für die sie sich aufopfert. Sich selbst kann sie keinen besonderen Wert beimessen, deswegen denkt sie lieber keinen Moment an sich, sondern sorgt sich immer nur um die anderen. Emmet fühlt sich eher zum Leid als zur Liebe hingezogen und fliegt in Krisengebiete, um beim Versuch, Leben zu retten, Kindern beim Sterben zuschauen zu müssen. Dan, Rosaleens Liebling, findet nach einem gescheiterten Leben als Pfarrer in der New Yorker Künstlerszene zumindest körperliche Liebe, bis er schließlich einem Mann begegnet, bei dem er zwar nicht weiß, ob er ihn tatsächlich liebt, den er aber trotzdem heiraten wird. Eines haben Rosaleens Kinder gemein: Sie sehnen sich nach der bedingungslosen, doch unerreichbaren Liebe ihrer Mutter. Diese Art von Liebe kann man jedoch nicht erwerben und das hat fatale Folgen wie Erich Fromm in seinem Werk Die Kunst des Liebens treffend schreibt: „Ist sie [die Mutterliebe] vorhanden, so ist sie ein Segen; ist sie nicht vorhanden, so ist es, als ob alle Schönheit aus dem Leben verschwunden wäre, und ich kann nichts tun, um sie hervorzurufen.“

Enright vermag durch ihre präzise Beobachtungsgabe und ihre Aufmerksamkeit eine reale Welt vor Augen zu malen, die einen in das Geschehen hineinzieht. Der Erzählstil der Autorin ist abwechslungsreich; so erfreut man sich neben Enrights feinen Beschreibungen von Situationen und menschlichen Spleens immer wieder an Passagen, in der die Autorin die Komik im trüben Alltag aufblitzen lässt. So vergleicht sie beispielsweise das Mammographie-Gerät, auf das Constance in ihrem Krankenhausbesuch zur Krebsvorsorge trifft, mit einem Grapscher, der nach dem groben Greifen nach der Brust, schockiert über die eigene Frevelhaftigkeit, seine Hand zurückzieht.

Enright hat in ihrem Roman Dialoge entworfen, wie man sie aus dem Alltag kennt, Gespräche, die im Sand verlaufen und einsame Gesprächspartner zurücklassen. Die irische Autorin zeigt, wie nichtssagend Worte sein können und dass viele Menschen unfähig sind, wirklich zuzuhören. Erst als die Situation eskaliert, Rosaleen am Weihnachtsabend verschwindet und sich die Kinder mitsamt dem einzigen an diesem Abend noch nüchternen Suchtrupp, den ortsansässigen Anonymen Alkoholikern, bei Sturm und eisiger Kälte auf die Suche machen, zeigt sich, dass die Familie zumindest bei Gefahr zusammenhält und vor allem, das man sich um jedes einzelne Mitglied sorgt.

Titelbild

Anne Enright: Rosaleens Fest. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2015.
384 Seiten , 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783421047007

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