Venus siegt und lebt

Dietmar Dath hat seinen 2015 erschienen Roman um einen zweiten Teil erweitert als Taschenbuch aufgelegt

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nur ein Jahr, nachdem Dietmar Daths Science-Fiction-Roman Venus siegt als Hardcover-Ausgabe erschien, liegt sie nun bereits als Taschenbuch vor. Und das Schöne dabei ist, dass ein nicht weniger als 200 Seiten umfassender Teil mit dem Titel Venus lebt hinzugekommen ist. Bedauerlich ist hingegen, dass die Taschenbuchausgabe das Figurenverzeichnis der gebundenen vermissen lässt. Denn angesichts des ausgesprochen umfangreichen Personals hätte es sehr hilfreich sein können.

Müssen sich terranische Weltraumreisende in älteren SF-Erzeugnissen, etwa dem Heft 8 (Die Venusbasis 1961) aus der Perry-Rhodan-Serie oder in den von Friedlinde Cap verfassten und unter dem Pseudonym Alexander Robé erschienenen Romanen Mit Atomkraft ins All (1950) und SOS von der Venus (1956), noch mit Sauriern und anderen auch schon einmal wurmartigen Ungetümen auseinandersetzen, sind Daths von der Erde zum terrageformten Morgenstern übergesiedelte Wesen von derlei Unbilden enthoben. Im ersten Teil seines Romans streben sie vielmehr ein gleichberechtigtes Dasein zwischen Menschen, Robotern und künstlichen Intelligenzen an und versuchen ihre Utopie mit den Mitteln von Diktatur und Terror zu realisieren und zu schützen. Dabei fallen einige teilweise bis in Details gehende Parallelen zur Revolutionsgeschichte der Sowjetunion ins Auge, die unter Stalin Links- und Rechtsabweichler nach in Selbstbezichtigungen gipfelnden Schauprozessen gnadenlos zu eliminieren pflegte. Auch wird Vuletic, der „ehemalige zweite Mann“ im Staate Venus ganz wie Leo Trotzki  in „einem weit abgelegenen Gebiet“ ermordet und feindliche Invasoren werden an einem bestimmten Ort ebenso vernichtend geschlagen wie weiland die 6. Armee des nationalsozialistischen Deutschland in Stalingrad. Sonderlich spannend ist das alles allerdings nicht erzählt, dazu sind die hierzu in Anschlag gebrachten literarischen Kniffe zu altbacken. Aber womöglich, ja vermutlich sogar, ist das nur eine von Daths Spielereien mit literarischen Manövern.

Umso unterhaltsamer bringt der Autor den Lesenden die Denkweise der Künstlichen Intelligenzen mit ihrer ganz eigenen Logik nahe, die aber doch – wie konnte es anders sein – letztlich unverständlich bleibt. Die KIs (im Buch „K/“) selbst wiederum sind mit den identitären Kategorien der Menschen nicht zu fassen. Ist die sich Von Arc nennende KI nun ein „Bursche“, eine „Burschin“ oder vielleicht „das Bursch“, wenn nicht am Ende gar eine „ganze Burscherei“? Eindeutig ist hingegen, wann von einer „Automatin“ zu reden ist und wann nicht. Genderphantasien aber sind Daths Sache nicht wirklich, zumindest spielen sie in Venus siegt nur eine marginale Rolle. Auch ist fraglich, ob der Autor selbst einem Geschlechterklischee erlegen ist oder ob er es ironisiert, wenn er eine Frau „mit verweinten Augen und verschmiertem Make-up“ auftreten lässt.

Seine intertextuellen Spielereien mit Prätexten, -filmen und sonstigen Artefakten aus Hoch- und Trivialkultur sind jedenfalls sonderzahl und machen natürlich auch vor den Namen seiner Figuren nicht halt. Nikolas (Nick) Helander zum Beispiel – wer denkt da nicht an einen gewissen Weltraumfahrer aus dem Zeichenstift Hans-Rudi Wäschers und Charlotte Perkins Gilmans utopisches Hochplateau? Auch durchstreift ein Jean-Luc-Picccini die endlosen Weiten zwischen Venus und Erde und weitere Rollen wurden an Kief(er) Sunderland sowie die Geschwister Zsa Zsa und Björk vergeben. Ein Spiel, das im zweiten Teil, allerdings etwas lahm, wieder aufgenommen wird, wenn etwa die Angehörigen eines Elitemördertrios als Tick, Trick und Track firmieren. Sie dann auch noch wie die drei Disney’schen Neffen reden zu lassen, wirkt sogar schon infantil.

Kamalakara, der Name des schon vor Jahrhunderten verstorbenen Ideen- beziehungsweise Ideologiestifters der Herrschenden des Planeten Venus, wiederum erinnert zwar sicherlich nicht zufällig vom Klangbild her an denjenigen von Karl Marx, war aber tatsächlich der eines indischen Astronomen des 17. Jahrhunderts. Im Roman hat die Figur denn auch nicht etwa eine dialektische Geschichtsphilosophie entwickelt, der zufolge die Historie mit eherner Notwendigkeit und ganz unabhängig vom Wollen und Wünschen der vermeintlich revolutionären Klasse zur Diktatur des Proletariats führt, sondern die Homotopietheorie.

Einen besonderen (intellektuellen) Reiz bieten vor allem die diese oder andere Theoreme und Gebiete berührenden (pseudo-)wissenschaftlichen Dialoge etwa zwischen KIs und Menschen, in die öfter einmal eine ausgesprochen lustige Formulierung tropft: „Jeder wollte immer als erster das letzte Wort haben“.

Der 400 Jahre nach dem ersten handelnde zweite Teil greift neben dem Spiel mit den Namen auch dasjenige mit den historischen Parallelen der Sowjetgeschichte wieder auf und gestattet sich einige Anleihen an den Kalten Krieg, die, wie das verrückte Konzept der Mutual Assured Destruktion,auch schon mal beim Namen genannt werden. Doch ist dieser zweite Teil auch inhaltlich keineswegs ein bloßer Epilog zur eigentlichen Handlung, wie dies etwa von H.G. Wells in der Zeitmaschine erprobt wurde, und schon gar nicht handelt es sich um einen ganz unabhängig vom ersten zu lesenden Roman. Vielmehr wird auf eine raffinierte Art und Weise ein Zirkel zum ersten Teil geschlagen, der vermuten lässt, dass alles genau so bereits vor der Niederschrift des allerersten Wortes von Venus siegt geplant war. Dath hat das schon sehr gekonnt komponiert. Und dass er sehr wohl Spannung zu erzeugen vermag, beweist er in diesem zweiten Teil auf geradezu furiose Weise, wobei er sogar ganz en passant noch einen wirklich sehr „gedrechselten und pointierten Verriss“ des ersten Teils zimmert.

Neben dieser oder jener Kritik gibt es also auch eine ganze Reihe von Gründen, zu dem Buch zu greifen. Wer daran zweifelt, kann sich auf der SF-Webseite tor-online.de anfixen lassen, die unentgeltlich ein ebenfalls von Dath verfasstes „Vorspiel“ zum vorliegenden Doppel-Roman anbietet.

Titelbild

Dietmar Dath: Venus siegt. Roman.
Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt a. M. 2016.
539 Seiten, 9,00 EUR.
ISBN-13: 9783596296583

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