Peinlichkeiten auf dem Wirtschaftsparkett

Martin Suters Kolumnen-Sammelband „Cheers“ über das „Feiern mit der Business Class“

Von Thorsten SchulteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thorsten Schulte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Silvesterpartys, Business Lunchs und Büroaffären, Feierabendbierchen, durchzechte Nächte und Drinks im Flugzeug sind das Thema in Cheers, dem neuen Kolumnen-Sammelband von Martin Suter. Suter zelebriert in 66 satirischen Texten das Leben des modernen Geschäftsmannes zwischen Bloody Mary, Champagner und Messetratsch in Hotelbars bis zur Unverträglichkeit.

Immer erreichbar müsse die Führungskraft sein, am besten eine „Achtzigstundensau“ und natürlich trinkfest. Krankheitstage könne sich ein aufstrebender Geschäftsmann nicht erlauben, sonst würde er „sich den Ruf eines gesundheitlich Angeschlagenen einhandeln“. Besonders wichtig sei es, dass der Geschäftsführer eine „persönliche Distanz zum Personalkörper“ einnimmt. Nähe wird nur zu den „Big Shots“ gesucht und vorübergehend einer Affäre zugestanden. Sehr bemüht sind die Hauptpersonen in Suters Sammelband um Distanz zu ihren Mitarbeitern. Sie ringen um die richtige Balance zwischen gespielter menschlicher Zuwendung, Motivation und Kritik. „Duzis“ sind gefürchtet. Beim Weihnachtsessen „der oberen Kader“ ruft Geschäftsführer Baltensberger daher in Erinnerung, „weshalb er und kein anderer an der Spitze des Unternehmens und der festlich gedeckten Tafel steht“. Das Aufstellen eines Weihnachtsbaumes im Foyer sieht Geschäftsführer Strasser sogleich als möglichen Angriff auf seine Kompetenz; zwar ist Eigeninitiative der Mitarbeiter „seit der Neufassung des Organisationshandbuches“ erwünscht, aber die „Corporate Identity“ ist Chefsache. Nur zu Weihnachten ist Geschäftsführer Grolimund hingegen „traurig über die Kluft, die er zwischen sich und seinen Mitarbeitern hat entstehen lassen“, aber er weiß: „Im Januar ist er wieder froh darum“.

Die meisten Kolumnen sind bereits in den 1990er-Jahren in der „Weltwoche“ in Zürich und im Weltwoche-ABC-Verlag erschienen. Die übrigen der kurzen Texte hat der Diogenes Verlag in seinen „Business-Class“-Bänden bereits publiziert. Keine einzige Kolumne musste hernach extra für das ‚neue‘ Buch geschrieben werden. Jede der Kolumnen umfasst zwei bis vier Seiten, einige sind narrativ miteinander verbunden. Die übrigen lassen stets neue Hauptdarsteller auf das Parkett treten. Vermutlich wegen der Kürze der Texte beschränkte sich Suter auf die notwendigsten Informationen zum Rahmen der jeweiligen Handlung und auf die groben Charaktereigenschaften der Personen. Jede Persiflage muss schnell auf ihre Pointe zusteuern. Ein Beispiel: Fahrni wird als übergewichtiger Geschäftsmann „in den besten Jahren“ vorgestellt, der „tut, was ihm passt“. Ein Vorname ist ihm wie den anderen Führungskräften in Cheers nicht vergönnt. Fahrni beginnt eine Affäre mit der jungen Sekretärin Claudia Ettlin. Als diese merkt, dass ihre Kolleginnen und Kollegen wegen ihrer Nähe zum Chef auf Distanz gehen, „macht Claudia Ettlin Schluss“. Das Ende der Affäre erleichtert die mutmaßlich eifersüchtige, langjährige Sekretärin „Frau Brogli“, die sich sogleich eine Bloody Mary gönnt. Ein weiteres Beispiel: Die Kolumne „Les fleurs du mal“ besteht aus einem Dialog zweier namentlich unbekannt bleibender Personen. Sie haben den „Herrn Forrer“ mit Blumen aus einem Blumenladen kommen sehen und mutmaßen, dass er eine Freundin hat, denn: „Blumenstöcke sind für Ehefrauen und Mütter. Blumensträuße sind für Freundinnen.“ Der Dialog steuert auf die Angst vor dem Ende der erahnten Affäre zu, denn ein Chef mit Liebeskummer könnte auf der Suche sein „nach jemandem, an dem er sich abreagieren kann“.

Den Kolumnen gemeinsam ist ihre Oberflächlichkeit. Nie kommt der Leser den Personen näher als in diesen Beispielen. Statt bissiger Satire verebbt die offensichtliche Kritik an der „Business Class“ in leichten Scherzen. Doch auch das milde Lächeln, das den Leser möglicherweise umfängt, wenn eine betrunkene Führungskraft nachts die Tür zum Hotelflur mit der Toilettentür verwechselt und sich halbnackt zur Rezeption begeben muss, um wieder zurück ins Zimmer zu gelangen, vergeht allzu schnell, denn Suters Witze bestehen zu oft aus schlüpfrig-seichten und alkoholgetränkten Peinlichkeiten wie dem offenstehenden Hosenstall eines Redners oder dem heroischen Aspekt des Nachtclubbesuchs zweier Geschäftspartner, mit dem sich ein Teamleiter für eine Vertragsunterzeichnung einsetzt.

Immer wieder veröffentlichte Martin Suter im Diogenes Verlag derartige einfach strukturierte Geschichten über die „Business Class“. Georg Patzer schrieb über „Abschalten. Die Business Class macht Ferien“, Suters Geschichten seien „sehr klischeehaft, die Personen holzschnittartig nach den gängigen Vorurteilen geschnitzt“. Sie zögen „ihren Witz daraus, dass sich der Leser über die Figuren erheben kann“. Dieses Urteil kann als allgemeingültig auch für die anderen „Business Class“-Bände von Martin Suter attestiert werden.

Titelbild

Martin Suter: Cheers. Feiern mit der Business Class.
Diogenes Verlag, Zürich 2016.
224 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-13: 9783257300215

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