Der falsche König auf dem Thron

Georg Seeßlen erklärt den Aufstieg Donald Trumps aus dem Geist der amerikanischen Popkultur

Von Stefan HöppnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Höppner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Donald Trump ist ein Medienphänomen, klar – seit der Mann gegen alle Erwartungen zum republikanischen Präsidentschaftskandidaten gekürt und im November vergangenen Jahres auch noch gewählt wurde, ist eine ganze Industrie damit beschäftigt, ihn zu analysieren und Vorhersagen zu treffen, wie seine Präsidentschaft aussehen wird. Da Trump sein Amt jedoch gerade erst antritt, hat jede Vorhersage natürlich etwas vom Blick in die Schnee- oder Kristallkugel, auch wenn sich einige Linien längst abzeichnen.

Dass Georg Seeßlen ihn in Trump! Populismus als Politik vor allem als Phänomen der Popkultur analysiert, ist keine Überraschung – schließlich ist der 1948 geborene Publizist seit Jahrzehnten Experte für genau dieses Gebiet, einschließlich solcher Genres wie dem Horror oder der Phantastik, die von traditionelleren Wissenschaftlern lange Zeit nur mit spitzen Fingern angefasst wurden – wenn überhaupt. Wie zu erwarten, beschreibt Seeßlen den neuen US-Präsidenten dann auch im ersten und aufschlussreichsten Teil seines Buches als Produkt dieser Sphäre. Unsere Welt besteht demnach aus zwei großen Erzählungen, nämlich jenen der Politik und der Popkultur. In der ersten „haben alle Dinge ihre Ursachen und Wirkungen, folgen einer allgemeinen Verpflichtung zu Logik und Vernunft und lassen sich […] am Ende immer erklären. Es ist der Wahn dieser Erzählung, alles Unerklärbare ausschließen zu können.“ In der populären Mythologie hingegen entstehe alles „direkt aus dem Ineinander von Begierde und Angst; Panik und Gelächter verknäueln sich; hier das Idyll, dort das Chaos und dazwischen ein ewiger Kampf. Es ist der Wahn dieser Erzählung, sich vom elitären Instrument der Vernunft befreien zu können“. Der moderne Mensch, so Seeßlen, müsse eigentlich lernen, sich in beiden dieser Welten zurechtzufinden. Stattdessen seien wir heute aber so weit, dass sich aufgrund der Allgegenwart der Medien „nicht bloß zwei Erzählungen, sondern zwei Wirklichkeiten“ gegenüberstehen. Es kommt demnach zu einer „endgültigen Verschmelzung von Pop und Politik“. Genauer: Politik wird mit den Mitteln des Pop betrieben, und darum ist sie „post-faktisch“. Post-faktisch, nicht kontrafaktisch, denn Emotionen, nicht Fakten sind – wie man derzeit in vielen Analysen lesen kann – die eigentliche Antriebsfeder der Politik, gleichgültig, ob die Dinge tatsächlich so sind, wie dargestellt. Und hier liegt, nebenbei bemerkt, ein Problem der französisch geprägten postmodernen Theorie, auch wo sie sich selbst als aufgeklärt und links verstand: Wenn es nur noch Simulakren gibt beziehungsweise nichts außerhalb des Textes existiert, sind auch Fakten nur soziale Konstruktionen. Aber womit will man dann für linke Ziele argumentieren, das heißt, einen gesellschaftlichen Fortschritt erzielen? Aber zurück zum Buch.

Trump, so Seeßlen, verkörpert diesen Wandel zum Post-Faktischen par excellence. Und zwar, indem er sich dem amerikanischen Mythos des Volkshelden einschreibt, der aus dem Nichts in eine gehobene Stellung aufsteigt, um mit einem korrupten, behäbigen Establishment aufzuräumen. Seeßlen ist bekanntermaßen ein exzellenter Kenner des Hollywood-Kinos und zeigt treffend die popkulturellen Wurzeln von Trumps Selbstinszenierung auf – er verkörpert den erfolgreichen Selfmademan à la Citizen Kane (und Scrooge McDuck, wie man ergänzen könnte) ebenso wie den rebellischen Zeichentrickhelden Bugs Bunny, der sein Gegenüber in der einen Sekunde freundlich behandelt und ihm in der nächsten Sekunde die Dynamitstange in die Hand drückt. Trump inszeniert sich als Batman, der trotz seines persönlichen Reichtums als Bruce Wayne immer auf der Seite der ‚einfachen‘ Leute steht und jene rächt, denen Unrecht getan wurde. Gleichzeitig verkörpert er den Clown, den Hofnarren, der die „Wahrheit“ sagen darf, ohne sich um gesellschaftliche Schranken zu kümmern – oder der sogar, wie der Joker, ungestraft die Gewaltphantasien des Publikums ausagieren darf. Ob Trump sich bewusst in diese medialen Traditionen einschreibt oder ob seine Selbstinszenierung mehr oder weniger zufällig in die Schemata passt, ist schon fast sekundär. Bei einem solchen Medienprofi wie ihm ist allerdings die erste Variante plausibler.

Zu diesen Argumenten passt ein Interview, das Steve Bannon, Chef der rechten Website Breitbart News und designierter Chefberater Trumps, kurz nach der Wahl dem Hollywood Reporter gab, und aus dem auch Seeßlen zitiert. Dort heißt es: „Dick Cheney. Darth Vader. Satan. That’s power. It only helps us when they“ – hier sind laut Interviewer die Liberalen und ihre Medien gemeint – „get it wrong. When they‘re blind to who we are and what we‘re doing.” Eine seltsame Kombination im Mund eines Republikaners – müsste für ihn der frühere Vizepräsident Cheney nicht als „good guy“ gelten statt ihn neben Satan zu stellen? Sind wir im Black Metal gelandet? Und gerieren sich die Republikaner nicht als Hüter des christlichen Glaubens gegenüber den „gottlosen“ Demokraten und ihren Anhängern? Das Erstaunlichste ist allerdings das offene Bekenntnis zur „dunklen Seite“ – und die verkörpert der unberechenbare Trump nun in der Tat glaubwürdig. Oder wenigstens sein medialer Avatar auf Twitter, auf Facebook und im Fernsehen.

Was bei Seeßlens Diagnose – Trump als Produkt der Popkultur – allerdings unter den Tisch fällt, ist die Tatsache, dass der Mythos des Volkshelden bereits seit Jahrhunderten zum Standardrepertoire der amerikanischen Politik gehört – genauer gesagt, seit Andrew Jackson, der schon in den 1820er-Jahren erfolgreich gegen die „Elite“ des Unabhängigkeitskrieges polemisierte und seine Mehrheit als Präsident mit dem Versprechen errang, dass er die Interessen des „kleinen Mannes“ vertreten würde. Dass etwa Abraham Lincoln in einer Blockhütte geboren wurde, gehört zu seinem Mythos unbedingt dazu (es gibt eine schöne Zeichnung von Gary Larson, auf der auch Lincolns erstes Auto aus lauter grob zusammengenagelten Baumstämmen besteht). Noch George W. Bush verstand es, sich als Nicht-Insider zu verkaufen, der es denen in Washington mal zeigen und dort gründlich aufräumen würde. Das war natürlich absurd, denn Bush war Gouverneur eines großen Bundesstaates, noch dazu der Sohn eines ehemaligen Präsidenten und CIA-Direktors, aber es trug zu seinem Erfolg bei, ebenso wie zu jenem der Tea Party-Bewegung.

So gesehen ist die Erzählung, der sich Trump bei seinem Aufstieg bediente, nichts wirklich Neues. Umgekehrt kann man fragen, ob sie nicht seit Jacksons Zeiten ihrerseits die amerikanische Populärkultur beeinflusst hat; dann wäre sie allenfalls ein Re-Import aus dem Pop in die Politik. Und ob Trump seine Wähler auf diesem Gebiet nicht ebenso enttäuschen muss wie sein Vorvorgänger Bush, besteht sein künftiges Kabinett doch zu einem großen Teil aus ehemaligen Generälen, etablierten Politikgrößen der Republikanischen Partei und alten Schlachtrössern exakt derselben Wall Street, als deren Marionette er seine Gegnerin Hillary Clinton stets dargestellt hatte.

Damit wären wir aber erst beim ersten Drittel des Buches angelangt. Was Seeßlens Analysefähigkeiten im besten Fall leisten, zeigt eine Passage in seiner Mitte – die detaillierte Exegese eines Porträtfotos, auf dem der gewählte Präsident sich mit Ehefrau Melania und Sohn Barron in einer Suite des Trump Towers ablichten lässt. Minuziös weist Seeßlen nach, dass Trump hier nicht nur neureich protzt, sondern die Inszenierung bis ins Detail an ikonographische Traditionen frühneuzeitlicher Herrscherporträts anknüpft. Gut möglich, dass der Inszenierte das gar nicht so genau weiß, gibt Seeßlen doch an, dass es sich letztlich um ein Werbefoto für die abgebildeten Kleidungsstücke handelt. Für die Wirkung des Bildes ist das zweitrangig. Seeßlen bringt in diesem Teil des Bandes keine neuen Thesen hervor, kann aber seine Überlegungen zu Trump und dessen (Selbst-)Inszenierung wirkungsvoll belegen. Zudem wartet er mit neuen Vergleichen auf: Trump ist für ihn „Homer Simpson im Buckingham Palace“. Er ist Ubu Roi, der falsche König auf dem Thron aus Alfred Jarrys Theaterstück – vielleicht die treffendste der vielen Analogien, und es wird interessant sein, in einigen Jahren Ubus fiktive und Trumps reale Politik miteinander zu vergleichen.

Bleibt noch der dritte und problematischste Teil des Buches. Seeßlens Analyse kann nämlich das Medienphänomen Trump nur zum Teil erklären, genauer: der Autor erklärt ihn vor allem als Medienphänomen. Aber: „Viele wirkliche Menschen haben Trump wirklich gewählt. Weder weil sie ihn missverstanden haben, noch weil sie von seinen Inszenierungen geblendet und berauscht gewesen wären, sondern weil sie genau ihn und seine Politik wollten.“ Wie ist das möglich, wenn dieselben Wähler damit gegen ihre objektiven Interessen handeln? Seeßlen spricht sich dagegen aus, diese Wähler zu Opfern ihrer Fehleinschätzungen zu stilisieren, und erkennt ihre Verantwortung ausdrücklich an. Andererseits erklärt er ihr Verhalten mit einer Erzählung, die sie wiederum zu Objekten macht, nicht zu verantwortlich handelnden Menschen. Sie seien Teil eines komplexen Konstrukts, in dem sich ein „nun ja, Volk“ und drei Arten von „Eliten“ gegenüberstehen, nämlich eine ökonomische, eine politische und eine kulturelle Elite, die sich teilweise überschneiden, aber seit jeher letztlich zusammenarbeiten, um den politischen Status Quo, also den Kapitalismus aufrechterhalten.

Diese Größen existieren allerdings nicht real, sondern diese Meistererzählung homogenisiere die Verhältnisse künstlich. Widersprüche und Konflikte werden auf diese Weise zugekleistert, die innere Vielfalt und Komplexität des Individuums, das ganz verschiedenen Kollektiven angehört, werden ignoriert. Soweit kann man Seeßlen zustimmen. Dann aber wird es problematisch: Die derzeitige Entwicklung sei eine Abkopplung der ökonomischen Eliten von den politischen und kulturellen, die sich mit dem „nun ja, Volk“ gegen seine einstigen Bundesgenossen verbünde, um seine neoliberale Dominanz durchzusetzen. Wie ist das möglich, wenn es sich bei „Eliten“ und „Volk“ lediglich um Konstrukte handle, die gar nicht als solche existieren, sondern allenfalls als Abstraktionen? Und betreibt Seeßlen damit nicht genau jene „Viktimisierung“ der Trump-Wähler, die er gerade noch abgelehnt hat? Außerdem ist zu fragen: Stimmt Seeßlens Argumentation auch für Europa, wo die Populisten nicht unbedingt dem reichsten Prozent der Bevölkerung angehören? Man kann mehr als genug Argumente gegen Alexander Gauland und Frauke Petry finden, von ihrem sagenhaften Vermögen hat bislang allerdings noch niemand gehört.

Die dringendste Frage bleibt jedoch, was man in diesen finsteren Zeiten tun kann. Seeßlen legt der Bevölkerung nahe, sich nicht zum „Volk“ machen zu lassen: „Das Gegenteil von Volk ist nicht Elite, sondern Humanismus. Das Gegenteil von Elite ist nicht Volk, sondern Humanismus. Das Gegenteil von Elite ist nicht Volk, sondern Aufklärung. […] Vielleicht tut die Linke gut daran, dem Thatcher-Dogma des Neoliberalismus, nach dem es keine Gesellschaft gibt, ein eigenes entgegenzusetzen: There is no such thing as ‚Volk‘.“ Oder: „Die Demokratie ist nicht zu retten. Es sei denn, man würde sie neu erfinden.“ So verständlich diese Sätze sind, hier hat Seeßlen den Boden der Analyse längst verlassen. In ihnen drückt sich eine seltsame Mischung aus Fatalismus, Trotz und Hoffnung aus, wie er die westliche Linke derzeit insgesamt zu charakterisieren scheint. Man kann nur hoffen – und daran mitarbeiten – dass in einer neuen Situation auch neue Rezepte entwickelt werden.

Es gibt vieles, was in Seeßlens Buch keine Erwähnung findet: Faktoren wie die globale Durchsetzung der Sozialen Medien und deren Auswirkungen oder der tatsächliche soziale Abstieg vieler Amerikaner bleiben außen vor. Was das Buch außerdem vernachlässigt (und in gelegentlichen Vergleichen zwischen Trump und Silvio Berlusconi allenfalls andeutet) ist die Frage, welche Parallelen und Unterschiede es zum europäischen Populismus gibt. Die Mythen, derer er sich bedient, scheinen nämlich auf nationaler Ebene sehr unterschiedlich zu sein. In Polen knüpft die Regierungspartei PiS keineswegs an Erzählungen aus Hollywood oder dem Comic an, sondern will erklärtermaßen zum Geist der autoritär-katholischen Regierung General Pilsudkis in den 1920er- und 30er-Jahren zurückkehren. Man kann auch Frauke Petrys missglückten Versuch, den Begriff des „Völkischen“ wiederzubeleben, als schlecht umgesetzten Vorstoß sehen, zu Recht tabuisierte deutsche Traditionen auszugraben. Das heißt aber nicht, dass die AfD nicht irgendwann eine ähnliche Erzählung finden kann, die bei den Wählern zündet. Die Flüchtlingspolitik der Großen Koalition zu attackieren, ist derzeit populär, ein Entwurf, wohin sich die Gesellschaft entwickeln soll, ist es (noch) nicht.

Trotz dieser Kritikpunkte ist Seeßlens Buch eine dringend notwendige Stimme zum Zeitgeschehen und unbedingt lesenswert. Ob es Schnellschuss oder hellsichtige Analyse war, wird sich in den nächsten Wochen und Monaten zeigen.

Titelbild

Georg Seeßlen: Trump! POPulismus als Politik.
Bertz + Fischer Verlag, Berlin 2017.
139 Seiten, 7,90 EUR.
ISBN-13: 9783865057457

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