Von Träumen und deren Verwirklichung

Martha Batalhas „Die vielen Talente der Schwestern Gusmão“

Von Monika GroscheRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Grosche

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Rio de Janeiro in den 1940er-Jahren: Hier leben die beiden Schwestern Eurídice und Guida Gusmão mit ihren Eltern, einem Gemüsehändlerpaar, in einem eher bescheidenen Viertel. Von dem kosmopolitischen Flair, das die Stadt umweht, bekommen sie kaum etwas mit. Schließlich gilt es, unter den strengen Augen der Eltern, der Lehrerinnen und der Damen der Nachbarschaft als brave junge Mädchen aufzuwachsen, um dann ebenso anständige Ehefrauen zu werden. Doch sowohl Guida, die ältere der beiden, als auch ihre Schwester Eurídice fügen sich nicht gerne in dieses starre Schema ein. Eurídice ist eine begabte Musikerin und könnte mit der entsprechenden Förderung eine berühmte Geigerin werden. Doch das übersteigt den elterlichen Horizont, weshalb sie ihr die weitere musikalische Ausbildung strikt verweigern. Nach langem Protest fügt sich Eurídice schließlich in ihr Schicksal. Sie will eine gute Tochter sein und die elterlichen Erwartungen erfüllen, denn Guida ist inzwischen mit einem jungen Medizinstudenten auf und davon, um ihn heimlich zu heiraten. So bleibt Eurídice nur das vorbestimmte und langweilige Leben im Viertel an der Seite eines Bankangestellten. Alle Versuche, sich zu beschäftigen, bringen nur vorübergehende Rettung aus der Ödnis. Selbst die unverhoffte Rückkehr der Schwester mitsamt Sohn Chico nach vielen Jahren sorgt nur einige Monate lang für Aufregung und Sinn in Eurídices Leben. Denn Guida vermag es, trotz des erbitterten Widerstands seiner Mutter, den örtlichen Schreibwarenhändler für sich zu gewinnen und eine glückliche Beziehung mit ihm einzugehen. Doch am Ende findet auch Eurídice einen Weg, ihre aufgezwungene Muße produktiv werden zu lassen und ihrem Leben einen Sinn zu geben.

Mit leichter Feder gelingt es der Autorin Martha Batalha in ihrem Roman Die vielen Talente der Schwestern Gusmão, einen nostalgischen, exotischen Mikrokosmos zu erschaffen, in dem man sich förmlich inmitten von südamerikanischer Schwüle und dem Duft von scharf gewürzten Speisen wiederfindet, um intime Details aus dem Leben der beiden Protagonistinnen, aber auch der zahlreichen Nebenfiguren ausgeplaudert zu bekommen. Ebenso genüsslich wie Guidas Schwiegermutter ihre Kokosbonbons lutscht, präsentiert die Autorin ihren Lesern wie eine allwissende brasilianische Scheherezade jede Einzelheit aus dem Leben ihrer Figuren, einschließlich dem ihrer Vorfahren. So wird im Lauf der Lektüre klar, was es mit der unersättlichen Neugier und dem Neid der Nachbarin auf sich hat, warum Eurídices Mann so sehr an Ordnung und alltäglichen Ritualen hängt oder auch, warum der Medizinstudent einfach nicht anders konnte, als kläglich am eigenen Mut zu scheitern.

Dieses überbordende Erzählbedürfnis, in dessen Nebengeleisen man sich leicht verlieren könnte, hält Batalha mit großer Finesse in einer fragilen Balance, die die Fülle an Geschichten und Geschichtchen nie zu viel werden lässt. Wir wissen so gerade genug über den Hintergrund der Personen, um zu verstehen, wie sie sind und warum sie so handeln, aber im Fokus bleiben stets die beiden Schwestern und deren Schicksal. Dieses wird voller Mitgefühl, aber auch mit einer guten Prise Ironie und einem deftigen Humor erzählt, sodass man zu keinem Zeitpunkt der Lektüre gewillt ist, das Buch lange aus der Hand zu legen. Zu stark ist der Drang, zu erfahren, wie die beiden es schaffen, allen gesellschaftlichen Konventionen und Unbilden des Daseins zum Trotz dem Leben Sinnhaftigkeit und Erfüllung abzuringen. Die vielen Talente der Schwestern Gusmão ist ein sehr gelungener Debütroman, der auf weitere interessante Bücher der Autorin hoffen lässt.

Titelbild

Martha Batalha: Die vielen Talente der Schwestern Gusmão. Roman.
Übersetzt aus dem brasilianischen Portugiesisch von Marianne Gareis.
Insel Verlag, Frankfurt a. M. 2016.
222 Seiten, 12,95 EUR.
ISBN-13: 9783458362487

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