Die Zicke hat das Wort

Anne Tyler holt Shakespeares misogynsten Text in die Gegenwart

Von Wieland SchwanebeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Wieland Schwanebeck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

An Shakespeare beißen wir uns aus gutem Grund nach wie vor mit Hingabe die Zähne aus, enthalten seine Stücke doch eine Vielzahl kontroverser Fragestellungen, die nicht abschließend beantwortet werden können, ohne dass dies der Debatte Abbruch tun würde: Ist der Kaufmann von Venedig ein antisemitisches Stück oder ‚nur‘ ein Stück über Antisemiten? In den meisten Fällen entzieht sich die Gattung des Dramas schon aufgrund ihrer medialen Verfasstheit einer eindeutigen Zuordnung im Sinne politischer Standpunkte: Hier werden (das ist zumindest der Gedanke) Positionen von für sich selbst sprechenden Figuren ausgehandelt, aber nicht bewertet.

So verhält es sich auch mit der latenten Misogynie der Shakespeare-Stücke, die vor allem in der ohnehin ambigen Gattung der Komödie permanent zwischen risikofreudigem Konventionsbruch und verinnerlichtem Sexismus oszillieren. Das hat seit dem 20. Jahrhundert reichlich satirische und nuancierte feministische Revisionen nach sich gezogen, in denen plötzlich eine Stimme erhält, wer vorher zum Schweigen verdammt beziehungsweise auf die Rolle eines Spielballs patriarchaler Intriganten reduziert war: Margaret Atwood lässt dem missratenen Königssohn Hamlet eine gründliche Belehrung durch seine Mutter Gertrude zuteilwerden (Gertrude Talks Back, 1992), andere haben sich an Ehrenrettungen von Lady Macbeth oder Desdemona versucht.

Das 2012 gestartete Shakespeare-Projekt der Hogarth-Press (das der Knaus Verlag im deutschsprachigen Raum vertreibt) stellt den jüngsten Versuch dar, Shakespeare-Stücken eine zeitgemäße Hommage zu widmen und sowohl kritisch-revisionistischen als auch affirmativen Lesarten der Dramen eine Plattform zu bieten. Namhafte Autorinnen wie Atwood und Jeanette Winterson erzählen in Romanform die bekannten Stücke nach, pro Jahr kommen etwa zwei bis drei neue Titel hinzu. Die Mischung aus der kulturellen Allzweckwaffe Shakespeare sowie prominenten Namen der zeitgenössischen Literatur (für die Macbeth-Bearbeitung konnte etwa der bekannte Krimiautor Jo Nesbø gewonnen werden) mag gute Absatzzahlen garantieren, aber man kann dem Verlag nicht vorwerfen, dabei Risiken zu scheuen. Im Zuge des Projekts wurden bereits einige der kontroversesten Dramen in die Mangel genommen: So hat sich Howard Jacobson des Kaufmanns von Venedig angenommen (Shylock, 2016), Tracy Chevalier wird demnächst ihre in den amerikanischen Schulhof der 1970er-Jahre verpflanzte Adaption von Othello vorlegen (New Boy, 2017). Im Kontext dieser politischen Schwergewichte nimmt sich Anne Tylers Störrische Braut augenscheinlich wie ein Leichtgewicht aus (ist ja ‚nur Komödie‘), doch so einfach ist es nicht – schließlich ist Der Widerspenstigen Zähmung bis heute wohl der Shakespeare-Text, an dem wie an sonst keinem anderen der Makel der unwidersprochenen Frauenfeindlichkeit klebt, ist die im Original als shrew verunglimpfte Katherina doch längst zur sprichwörtlichen Zicke avanciert, aus der Tylers Originaltitel ein Vinegar Girl, also etwa: ‚ein essigsaures Mädel‘ macht.

Die Misogynie des Handlungsaufhängers lässt Tyler aus nachvollziehbaren Gründen intakt, aber was sie (deren unter anderem mit dem Pulitzer-Preis geehrte Romane wie Atemübungen zu recht für ihre genaue Charakterzeichnung gerühmt werden) der Komödie hinzudichtet, ohne den Humor der Vorlage zu opfern, ist eine nuancierte Introspektion der vermeintlichen ‚Zicke‘, die in Shakespeares um 1590 entstandenem Stück eigentlich nur als keifende Furie in Erscheinung tritt. Bei Shakespeare verheiratet der reiche Baptista Minola seine ,widerspenstige‘ Tochter Katherina mit dem gewitzten Petruchio, der seine Braut einer gründlichen Ehe-Tortur unterzieht, um ihren Willen zu brechen. Hieraus macht Tyler einen flott erzählten Schwank mit Anleihen beim Campus-Roman sowie im Genre der Sitcom: Locker sitzen die Dialoge, intakt sind die Klischees über zerstreute Professoren, tratschende Tanten und emotional unterkühlte Russen. Tylers Patriarch ist ein weltfremdes Wissenschaftsrelikt, das am Rande des universitären Campusʼ sein Gnadenbrot mit den letzten Labormäusen teilt, sich aber kurz vor einem Forschungsdurchbruch wähnt. Allerdings läuft das Visum des unentbehrlichen Assistenten Pjotr aus. Um nicht auf den geliebten Hiwi verzichten zu müssen, heckt Battista den Plan aus, seine burschikose Tochter Kate zu einer Scheinehe mit dem pragmatischen, wenig gesprächigen Russen zu überreden.

Was folgt, ist sicher nicht in die hohe Schule der temporeichen Farce gegangen, sondern sampelt eher Gattungsrelikte in Sketch-Manier, die unter Überschriften wie „Die liebe Verwandtschaft“ oder „Die entlaufenen Labormäuse“ stehen könnten.  Eine radikale Revision ist das nicht: Gemessen an ihren sorgfältig erzählten Familienromanen ist Die störrische Braut für Tyler eher eine Fingerübung (insofern verhält sich der Roman nicht anders zu ihrem restlichen Werk als Shakespeares Vorlage zu seinen weiteren Dramen), doch Kates Entwicklung hin zu einer selbstbestimmt lebenden Frau, die lernt, sich von der Bevormundung durch den Vater zu emanzipieren, wird handwerklich gekonnt erzählt und liest sich zu jeder Zeit amüsant.

Im Schlussbild des Romans halten sich der schwer zu schluckende Harmonie-Wille einer konventionellen Sitcom-Folge (alle umarmen sich, alle haben etwas gelernt) und ein dezidiert weibliches Bekenntnis zum selbstbestimmten Leben und einer gleichberechtigen Beziehung, in der „keiner vor oder hinter dem anderen“ läuft, die Waage, und Tyler erweist sich Shakespeare auch dort als ebenbürtig, wo es um die Platzierung derberer Pointen und Zoten geht: Wenn der russische Eheanwärter vor seiner Zukünftigen erstmal sein Lunchpaket lüftet, kommen zwei Eier und eine Banane zum Vorschein.

Titelbild

Anne Tyler: Die störrische Braut. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Sabine Schwenk.
Knaus Verlag, München 2016.
219 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783813506556

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