Von Hotelzimmer zu Hotelzimmer unterwegs

David Wagners Blick auf Badewannen, Bettvorleger und Bleistifte

Von Liliane StuderRSS-Newsfeed neuer Artikel von Liliane Studer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

David Wagner ist viel unterwegs, und das bedeutet, dass er oft in Hotels übernachtet. In seinem neuesten Buch Ein Zimmer im Hotel begleiten wir ihn von März 2013 bis Mai 2016 an die unterschiedlichsten Orte, quer durch Deutschland und Europa, weit weg bis nach China oder Afghanistan. Doch wir erfahren kaum etwas davon, was er dort macht, wem er begegnet, mit wem er zusammen ist. Umso detaillierter lernen wir die unterschiedlichsten Hotelzimmer kennen, in denen er in der Regel lediglich eine Nacht verbringt. Ihn interessieren die Qualität der Kugelschreiber oder Bleistifte, die auf dem Nachttisch liegen, wie geräumig das Badezimmer ist, ob es dort eine Badewanne gibt und ein oder zwei Waschbecken, ob das Beleuchtungssystem einfach zu bedienen ist und welche Lektüre sich allenfalls neben der Bibel im Nachtkästchen versteckt. Eine besondere Entdeckung ist die Kulturgeschichte der Unterwäsche, die er im Ringhotel Waldschlösschen, Schleswig, in einer Bibliotheksecke neben ledergebundenen Reader’s-Digest-Auswahlbänden findet: „Gefällt mir, dieses Buch, ich blättere länger darin, notiere mir den Titel, überlege kurz, es zu klauen.“ Diese Versuchung besteht bei der englischen Taschenbuchausgabe von Stephen Kings The Shining weniger. Auch das Frühstücksangebot wird genau unter die Lupe genommen: Im Hotel Ascot, Kopenhagen, „fasziniert mich die Käse-Guillotine. Esse die Scheiben, die ich vom Laib säbele, mit Orangenmarmelade. Was ist mit mir los?“

Wenn die Besonderheiten der meisten Hotels nur mit wenigen, wenn auch prägnanten und erhellenden Zeilen gewürdigt werden, verweilt David Wagner im Hotel Die Wasnerin in Bad Aussee mehrere Tage. Er freut sich über die Bleistifte im Zimmer, was gemäß seiner Erfahrung für ein besseres Hotel spricht, als wenn da ein Kugelschreiber liegen würde. Es ist eine Freude zu lesen, wie nun Wagner ausführlich von den Ausflügen erzählt, die er mit dem Hotelfahrrad oder zu Fuß unternimmt und die ihn schon mal an körperliche Grenzen bringen. Eine Wanderung hat es besonders in sich, der Aufstieg geht erstaunlich leicht, der Abstieg jedoch – 1100 Höhenmeter hinunter in engen Serpentinen – fordert ihn tüchtig: „Sehr steinig, kein guter Weg, brauche immer die Stöcke, wäre ohne sie verloren. Absteigen, merke ich, ist anstrengender als aufsteigen. Dauert ewig, meine Oberschenkel fangen an zu zittern. Es hört und hört nicht auf, immer geht es noch weiter hinunter.“ Als er endlich um Viertel vor acht ins Hotel zurückkommt, ist er völlig fertig.

Dass David Wagner Hotels mit Schwimmbädern mag, lässt sich ebenfalls in diesem hübschen Buch nachlesen, ebenso, dass er es liebt, Seifen auszupacken, und enttäuscht ist, wenn er im Bad keine vorfindet. Und dass Teppiche oder eben keine einiges über ein Hotel auszusagen vermögen.

Dieser Gang durch verschiedenste Hotelzimmer ist vergnüglich zu lesen und schärft unweigerlich den Blick für den nächsten Hotelaufenthalt. Sehr schön ist auch die Klammer von der ersten Nacht im Hotel Splendid-Dollmann in München, wo in der Junior-Suite ein weißes Porzellanschüsselchen mit Erdbeeren auf dem Couchtisch steht, zum Ayre Hotel Caspe in Barcelona am letzten Tag. Hier überlegt sich Wagner, „an was ich mich erinnern werde, später, wenn ich an dieses Zimmer zurückdenke. […] Und dann, zuletzt, auch an das Briefpapier, zwei Bögen und zwei Kuverts in einer violetten Mappe, ich greife nach ihr, öffne sie, nehme ein Blatt heraus und schreibe: ‚Ich schaue aus dem Fenster und versuche mir vorzustellen …‘ – da fällt mir ein Porzellanschüsselchen mit Erdbeeren ein. Wo habe ich das noch mal gesehen?“

Titelbild

David Wagner: Ein Zimmer im Hotel.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2016.
128 Seiten, 18,95 EUR.
ISBN-13: 9783498073732

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