Verführerische Schönheit des kurzen Glücks

Carson McCullers Novelle „Die Ballade vom traurigen Café“ erscheint in einer neuen Ausgabe

Von Thorsten SchulteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thorsten Schulte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Liebe ist für die Beteiligten zwar ein gemeinsames, nicht jedoch ein ähnliches Erlebnis. Was sich dahinter verbirgt, verzaubert seit über sechs Jahrzehnten die Leser der „Ballade vom traurigen Café“. Wundervoll poetisch erläutert Carson McCullers den Unterschied zwischen Geliebtem und Liebendem, zeigt die Herausforderung der vereinsamenden Kraft der Liebe und führt Wert und Eigenart einer Liebe am Beispiel des Lebens von Miss Amelia vor. In McCullers Novelle stemmt sich die androgyne Laden-Besitzerin Miss Amelia gegen die Einsamkeit. Sie lässt einen buckligen Zwerg namens Lymon, der plötzlich vor ihrer Tür steht und behauptet, Amelias Vetter zu sein, bei sich wohnen. Amelia verliebt sich in den Buckligen und eröffnet mit ihm ein Café im Kramladen.

Die Eröffnung des Cafés gibt den Bewohnern des kleinen Dorfes, das „traurig und abseits und abgewandt von allen anderen Ortschaften der Welt“ irgendwo in den amerikanischen Südstaaten liegt, Hoffnung und Stolz. Im Café erleben arme Menschen aus der Baumwollspinnerei Geselligkeit und „eine gewisse Heiterkeit und Anmut des Benehmens“. Vor allem aber können sie „für ein paar Stunden die tiefe, bittere Erkenntnis vergessen, dass der Mensch in dieser Welt nicht viel wert ist“. Miss Amelia destilliert ihren eigenen Whisky und serviert ihn den Gästen kalt oder gewärmt. Lymon ergeht sich jeden Abend im Gastraum in Lügen und Aufschneiderei, die schweigsame Besitzerin nimmt es hin. In dieser Idylle verstreichen die Jahre. Doch alles ändert sich, als Amelias früherer Ehemann aus dem Zuchthaus zurückkehrt und sie hernach versucht, auch mit ihrem „Todfeind“, der früher einen „Ku-Klux-Klan-Mantel“ trug, zusammenzuleben. Schließlich ließe sich „das Hässliche seines Charakters erklären, denn er hatte es anfänglich sehr schwer in der Welt gehabt“. Amelia versucht, zwei Männer bei sich zu behalten, es zugleich dem buckligen Vetter sowie dem auf Bewährung entlassenen Ex-Mann recht zu machen. Amelia hat Angst: „Wenn man einmal mit jemand zusammengelebt hat, ist es qualvoll, nachher allein zu leben“, weiß sie. So nimmt die der neuen Konstellation inhärente Katastrophe ihren Lauf; am Ende bleibt Amelia allein in ihrem Geschäft.

Ängste haben die Macht, den Verstand mit einer tiefen Trauer zu belegen. Wie ein Nebel können sie sich über jeden Gedanken legen: Die Angst vor dem Verlassenwerden und dem Grauen des Alleinseins, vor der schnell verrinnenden Lebenszeit in Anbetracht einer zerbrochenen Liebe, vor Vergänglichkeit, Trunksucht und Misserfolg führen zu einer gefährlichen, alles zersetzenden Trauer. War Amelia stets bestrebt, ihren Körper zu trainieren und Stärke zu zeigen, lässt sie die Enttäuschung und die sich verstärkende Erkenntnis, dass sie nie wieder zu einem Menschen wird Vertrauen fassen können, verkümmern. Eine solche, alles verändernde Erkenntnis der völligen Hoffnungslosigkeit raubt ihr die Lebenskraft. Ihre Muskeln schwinden, ihr Haar ergraut, sie altert schnell. Die Liebe zum körperlich Entstellten, Ängste und der Sog der Trauer sind wiederkehrende Motive in den Werken Carson McCullers. Und so verwundert es kaum, dass das Leben der Autorin selbst von Beziehungsproblemen und schwerer Krankheit gezeichnet war.

Die Tragik des vergeblichen Kampfes von Amelia gegen das, was zur Unzulänglichkeit des Menschen gehört, gleicht dem Kampf des Lesers gegen die Unzulänglichkeit des eigenen Wesens. Wer in den Bann der epischen Dichtung von McCullers gerät, der wird im Text von der Autorin direkt angesprochen („Von diesen Einzelbildern könnt ihr euch also eine Gesamtvorstellung jener Jahre machen.“) und versteht, dass es sich zu lieben lohnt, auch wenn kein Glück ewig währt. Augenblicke verrinnen und sind dennoch kostbar: In sinnlicher Bildhaftigkeit kleidet Carson McCullers sodann den kalten Glanz des mitternächtlichen Januarhimmels in Worte. Ihre poetischen Schilderungen von Abendromantik, flirrender Hitze, lauten Grillen und von Maismehl, Schnupftabak, Kakao und Papierservietten stehen in so deutlichem Kontrast zur tragischen Handlung, dass deren Wirkung weiter verstärkt wird. Die poetische „Ballade vom traurigen Café“ ist – ganz im aristotelischen Sinne – nicht schlicht rührend, sondern erschütternd. Erschütternd vor allem wegen ihrer Ausweglosigkeit. Am Ende liegt das, was über mehrere Jahre die Seele des Dorfes sein durfte, jene unvergleichliche Atmosphäre eines kleinen Cafés, die sich ergebenden Bindungen und die Liebe, in Trümmern. Die 1961 erstmals in deutscher Sprache erschienene „Ballade vom traurigen Café“ ist ein außergewöhnliches Kleinod, das in der neuen Ausgabe als wertiger „Diogenes Deluxe“-Band auch äußerlich glänzen darf.

Titelbild

Carson McCullers: Die Ballade vom traurigen Café.
Übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von Elisabeth Schnack.
Diogenes Verlag, Zürich 2017.
134 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-13: 9783257261325

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