Antike Straßenkarte oder imperiales Herrschaftssymbol?

Ein Bildband macht die Tabula Peutingeriana wieder für eine breite Öffentlichkeit zugänglich

Von Simone HackeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Simone Hacke

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Tabula Peutingeriana ist aus mehreren Gründen eine sehr interessante Weltkarte. Allein ihr äußeres Erscheinungsbild mit einer Länge von 6,75 Metern ist bemerkenswert. Diese Länge ist auf die Lagerung der Karte als Rolle zurückzuführen, wie es für antike Rotuli typisch war. Der Untertitel des Bildbandes zur Tabula Peutingeriana – „Die einzige Weltkarte aus der Antike“ – ist eventuell etwas irreführend, da die Entstehung der vorliegenden Karte nach paläographischen Untersuchungen um etwa 1200 eingeordnet wurde. Allerdings wird in der Forschung übereinstimmend davon ausgegangen, dass der Peutingerkarte eine beziehungsweise mehrere antike Vorlagen zugrunde liegen. Somit stammt der Inhalt der Karte zum Großteil aus der Antike, was den Untertitel des Bandes erklärt.

Ihren Namen erhielt die Tabula Peutingeriana durch einen ihrer früheren Besitzer, den deutschen Humanisten und Antiquar Konrad Peutinger. Wie die Karte genau von ihrem Herstellungsort den Weg zu Peutinger fand, ist bis heute ungewiss. Klar ist nur, dass sie nach Peutingers Tod über Prinz Eugen von Savoyen zu Kaiser Karl VI. gelangte und sich deshalb seit 1738 im Besitz der Hofbibliothek zu Wien befindet.

Der Archetypus – die Urfassung der Karte – ist nicht bekannt. In der Forschung gibt es dazu verschiedene Ansätze und Hypothesen, die der Herausgeber Michael Rathmann in seinem einleitenden Kommentar vorstellt. Die zwei Hauptthesen der bisherigen Forschung stellen die Ursprungskarte in einen römischen Kontext. Zum einen wird als Urtypus die Agrippa-Karte vermutet, die durch ihre überproportionale Darstellung Italiens den Herrschaftsanspruch des römischen Reiches über die bekannte Welt verdeutlichen sollte und somit auch die Peutingerkarte in einen Kontext kaiserlicher Repräsentation setzen würde. Eine zweite Hypothese geht davon aus, dass der Tabula eine ältere Fassung einer römischen Straßenkarte zugrunde liegt, die entweder den cursus publicus – das Postsystem Kaiser Augustus – veranschaulichen oder als eine Art militärischer Routenplan fungieren sollte. Der Herausgeber selbst schließt beide Thesen in seinem Kommentar begründet aus und stellt die Vermutung an, dass die Peutingerkarte einer hellenistischen Kartentradition entstammt. Bereits im 6. Jahrhundert v. Chr. entstand bei den Griechen eine geographische Wissenstradition, die zusätzlich durch zahlreiche Entdeckungsfahrten oder die Eroberungszüge Alexanders des Großen zusätzlich angekurbelt wurde. „Im Resultat bedeutet das, dass sich der antike Archetypus der Tabula Peutingeriana nicht nur zeitlich und inhaltlich neu einordnen lässt, sondern dass sich für dieses kartographische Zeugnis auch eine verbürgte Bezeichnung vorweisen lässt: chorographische Karte.“ Hier hat Rathman sicherlich sehr gute Anknüpfungspunkte für einen neuen Ansatz zur Tabula Peutingeriana geschaffen. Auch geben seine neuen Erkenntnisse einen Ansporn für die zukünftige Forschung, sich noch näher mit den antiken Vorläufern der Karte zu beschäftigen.

Geht man, wie vom Herausgeber vorgeschlagen, von einem Urtypus aus dem Jahr 200 v. Chr. aus, so ergäbe sich ein 650-jähriger Entwicklungsprozess für die Tabula Peutingeriana. Das „physische Grundgerüst“ blieb nach Annahmen Rathmanns seit 200 v. Chr. erhalten, jedoch wurden in jeder Kopierstufe schrittweise Modifikationen vorgenommen. In den Augen der Kopisten unwichtige Orte wurden gestrichen und neue hinzugefügt, alte Kopierfehler wurden ausgemerzt und neue schlichen sich ein. So wurden wahrscheinlich erst in einem späteren Kopierprozess christliche Toponyme und heilsgeschichtliche Stationen, wie sie für das mittelalterliche Weltbild signifikant waren, mit in das Kartenbild aufgenommen. Schwierig ist es demnach auch, eine Aussage darüber zu treffen, welche Toponyme zu welcher Zeit Eingang in die Karte fanden.

Im Laufe der Zeit hat der Rotulus, der inzwischen in seine elf einzelnen Pergamentblätter zerlegt wurde, durch falsche Lagerungen und Restaurierungen deutlich gelitten. Die einzelnen Blätter haben sich stark verzogen und auch die Farben haben sich durch chemische Reaktion der Tinte mit den Tierhäuten verändert. Nach den letzten Restaurierungen im Jahr 2011 konnte der Erhaltungszustand des Pergamentes stabilisiert werden. Dies macht Bildbände, wie den vorliegenden, gerade auch für die Forschung besonders attraktiv, da die Benutzung der Originalkarte nur sehr eingeschränkt möglich ist.

Der einleitende Kommentar von Michael Rathmann greift viele Thesen der bisherigen Forschung auf und liefert zum Teil auch neue Ansätze. Seine Argumente untermauert er mit zahlreichen Bezügen zur Karte und anschaulichen Schaubildern. Die Pergamentblätter der Tabula sind aus Darstellungsgründen im Bildband in jeweils drei Abschnitte unterteilt worden, die auf der rechten Seite des Bandes in Farbe präsentiert werden. Auf der linken Seite werden die wichtigsten Toponyme und Besonderheiten des Ausschnittes erläutert. Jedoch enthält der Band keinen wissenschaftlichen Kommentar zu jedem Pergamentblatt und es findet sich auch keine gesamte Auflistung der vorhandenen Toponyme, wie dies zum Beispiel Hartmut Kugler für die Ebstorfer Weltkarte geleistet hat. Allerdings war dies auch nicht die dezidierte Absicht des Herausgebers, der vielmehr die Tabula Peutingeriana nach den letzten Restaurierungen erneut einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen wollte. Das Werk ist somit nicht ausschließlich für die Forschung gedacht, jedoch bleibt aufgrund des Preises und der geringen Auflage die Frage, ob damit wirklich eine breite Öffentlichkeit erreicht werden kann, offen. Für die Forschung und Liebhaber alter Karten ist der Bildband zur Tabula Peutingeriana in jedem Fall ein wertvoller Beitrag.

Titelbild

Michael Rathmann: Tabula Peutingeriana. Die einzige antike Weltkarte.
Verlag Philipp von Zabern, Mainz 2016.
112 Seiten, 249,00 EUR.
ISBN-13: 9783805349994

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