Die mit dem Wolf tanzt

Eva-Maria Hagens erstmals 1998 erschienene Erinnerungen berichten von einem aufregenden Künstlerleben jenseits politischer Angepasstheit und durchkalkulierter Kompromisse

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gute zehn Jahre umfasst Eva-Maria Hagens Einblick Eva und der Wolf, von 1965 bis zur Ausbürgerung Wolf Biermanns aus der DDR im Jahr 1976. Was für ein Leben tut sich hier auf, garniert mit zahlreichen Fotos und Faksimile-Dokumenten aus der Stasi-Werkstatt! Ein großer Roman, der eigentlich gar keiner ist, sondern aus einer Unmenge von Briefen und Tagebuchaufzeichnungen zusammengesetzt ist.

Eva-Maria Hagen wurde 1934 im pommerschen Költschen geboren. Vertreibung und Flucht in ihrer Kindheit waren nicht die einzigen Stationen ihres Lebens, die Wolf Biermann zu wunderschönen Balladen inspiriert haben. Mit 19 Jahren gab Eva-Maria Hagen am Berliner Ensemble ihr Theaterdebüt. Vier Jahre später, 1957, folgte dann der Durchbruch mit ihrer ersten Filmrolle in Vergesst mir meine Traudl nicht. Hagen wurde zu einer der erfolgreichsten Schauspielerinnen der DDR.

Für den Bruch in dieser Bilderbuchkarriere sorgte Hagens Begegnung mit dem gerade in Ungnade gefallenen Liedermacher und Dichter Wolf Biermann. Eine Liaison, die den Herrschenden ein Dorn im Auge war. Mit Zuckerbrot und Peitsche versuchten sie, dieser Beziehung ein Ende zu bereiten: Attraktive Filmangebote wechselten mit willkürlichen Auftritts-Einschränkungen. Biermann selbst äußerte sich vor kurzem, dass „aus der Sicht der Obrigkeit in der DDR diese populäre Schauspielerin über Nacht eine Investitionsruine geworden war, nicht mehr zu gebrauchen und nicht mehr zu mißbrauchen. Staatsdiva und Staatsfeind in einem Bett. Ich würde sagen: es war die höhere Gerechtigkeit“.

Mit Liederabenden verdiente Eva-Maria Hagen fortan ihr Geld. Keine Biermann-Lieder sang sie, sondern russische, französische und vor allem schwedische Lieder, die Wolf Biermann ins Deutsche übertragen hatte. Sein Name durfte dabei freilich nie erwähnt werden und dennoch oder gerade deswegen, so Biermann, „dufteten diese ausländischen Lieder alle nach inländischer Rebellion, sie hatten den Biermann-Haut-Gôut“.

Die Beziehung von Eva-Maria Hagen und Wolf Biermann war von einer Dynamik gekennzeichnet, die sich auch im künstlerischen Schaffen beider niederschlug. Ein spannungsreiches Leben, voller lebendiger Widersprüche, wie es der unorthodoxe Marxist Biermann für einen herbeizuführenden, freien Kommunismus erträumte. Für die anämische Spießigkeit der Politbürokraten hatten beide nur Spott übrig.

Doch auch für Eva-Maria Hagen blieb das private Leben nicht von tristen Alltagssorgen verschont. Nicht immer ging es ungetrübt zu zwischen den beiden Künstlerpersönlichkeiten. Bei so viel zärtlicher Leidenschaft, wie sie beide füreinander empfanden, mussten Phasen der Ernüchterung entsprechend vernichtend an ihnen zehren. Aber es siegte immer die Liebe zum Leben, die sympathische Mischung eines Hedonismus mit persönlichem Mut zu Aufrichtigkeit und Unerschrockenheit. Wie sonst wäre der Kampf mit dem übermächtigen Drachen zu bestehen gewesen?

Anlässlich eines Filmaufenthalts an der russischen Schwarzmeerküste schreibt Eva-Maria Hagen nach Ost-Berlin: „Ich kuschel mich jetzt an, wir sehen überm Meer die Fische springen, kriegen Appetit, fressen uns gegenseitig, Du bist ich und Eva ein Wolf“. Und Biermann, nicht weniger sehnsüchtig: „Und getrennt von Dir ist mein Leben ein gebrochner Riese, ein gespaltener Baum, ein zerrissener Rock, ein geteiltes Vaterland“.

Wolf Biermann, „ein Gejagter seiner Selbstsucht“, wie Hans Modrow, der letzte nicht frei gewählte Ministerpräsident der DDR es in seinen 1998 erschienen Erinnerungen Ich wollte ein neues Deutschland formulierte? Nein, selbstsüchtig war allein das Regime des sogenannten „realen Sozialismus“, das Kritik nicht zu dulden vermochte und junge, mutige Linke jagte, wie man in dieser Sammlung nachlesen kann. Es ist ein bewegendes Zeugnis freier Menschen in Zeiten der Unfreiheit.

Die Lektüre des vorliegenden Briefwechsels zwischen Eva-Maria Hagen und Wolf Biermann gibt nicht nur privaten Einblick in die Sphäre zweier Verliebter. Immer auch spielt das Politische in das Leben hinein und findet in den Briefen seinen Ausdruck: Hagens Ärger mit den Schikanen, Biermanns Verzweiflung über seine erzwungene Isolierung.

Liebesbriefe in bewährter Minnetradition, geschrieben mit der Tinte von Heinrich Heines Enkel. Die Besten gehören fortan in die gute Reihenfolge dieses Genres, das über den Wechsel der Zeiten hinweg die Verliebten aneinander aufrichten ließ: „Mein Evalieb, so sollst Du mich immer hochziehen aus meinen Finsternissen, damit mir in Deinen Landschaften ein Licht aufgeht“. Und Eva-Maria empfiehlt ihrer „Pusteblume“, das Haar öfter zu waschen,

dann siehst Du aus wie ein moderner Prinz, der ausʼm Morgenlande auswanderte vor tausend Jahren und endlich angekommen ist. Merkst Du nicht, daß dann mehr wohlwollende Blicke auf Dir ruhn in den Hinterhofbögen und auf den Spazierwegen. Wolfsknäuel, Mischki läuft mit sanften Tatzen über meinen Busen, durchs Frühstück neben dem Bett. Jetzt träumt sie, daß sie auf einer gemütlichen Stelle von Dir liegt, sich wäscht und Dich gleich mit in einem Aufwasch. Adieu für heut. Eva.

Kreativität und kritische Einmischung in die Verhältnisse kennzeichnen Eva-Maria Hagens Lebenszeit. Dieser Lebensbericht eignet sich hervorragend als komplementäre Lektüre zu Wolf Biermanns Erinnerungen Warte nicht auf bessre Zeiten!

Titelbild

Eva-Maria Hagen: Eva und der Wolf.
Mit zahlreichen Fotos und einem Vorwort von Wolf Biermann.
Ullstein Taschenbuchverlag, Berlin 2016.
544 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-13: 9783548613444

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