Martin Luther zum Vergnügen?

In der von Johannes Schilling herausgegeben Aphorismen-Sammlung geblättert

Von Klaus-Peter MöllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus-Peter Möller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Bändchen Martin Luther zum Vergnügen ist keine Neuerscheinung. Bereits 2008 erschien die von Johannes Schilling zusammengestellte Kollektion von Zitaten aus den Schriften Martin Luthers in der Reihe von Aphorismen-Sammlungen des Reclam Verlags das erste Mal. 2011 wurde sie noch einmal in attraktiverer Aufmachung auf den Markt gebracht. Durch die neue Umschlaggestaltung, besonders durch die Karikaturen, die Nikolaus Heidelbach für die Reihe gezeichnet hat, haben die Bändchen der Reihe „Zum Vergügen“ viel an äußerlicher Attraktivität gewonnen. Heidelbach versteht sein Handwerk, wenn auch seine auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten gefundenen Inventionen nicht in jedem Fall überzeugen, jedenfalls nicht auf den ersten Blick einleuchten und sich überhaupt erst erschließen, wenn man die Gesamtheit der Reihe sieht. Fontane wurde als Schießscheibe dargestellt, Oscar Wilde als schwebender aufgeblasener Luftballon, Karl May als Schießbudenfigur, Heinrich Heine als Entchen-Angler, Shakespeare als Hampelmann, Nietzsche als Kuschelbär, unsicher hängend an den unzuverlässigen Klauen des Kuscheltiergreifers, Tucholsky als Stehaufmännchen, Heinrich Zille als starker Mann.

Da geht es Martin Luther noch verhältnismäßig gut. Er wurde einfach nur mit einem großen Lebkuchenherz behängt, das die Aufschrift „Liebling” trägt. Diese Titel-Illustrationen, die bekannte Autoren-Porträts auf ansprechende Weise reproduzieren und zugleich durch lächerliche Attribute verfremden, vermitteln nicht die Inhalte der Bändchen, die ja tatsächlich höchst lesenswert sind, sondern zielen auf die Dummheit und Eitelkeit des Publikums. Offenbar erkundete Heidelbach auf seine Weise mit spitzem Stift den Begriff „Vergnügen“. Wie stellt man Vergnügen dar? Was ist überhaupt Vergnügen? Die Bild-Symbole, die der in Köln lebende Illustrator dafür gewählt hat, finden sich auf vermittelte Weise überraschend wieder bei der Lektüre, wenn man sich als Leser einlässt auf dieses intelligente Spiel-Modell.

Anregend und lesenswert ist dieses Büchlein wie die anderen Bändchen der Reihe auf allen Seiten. Ein Extrakt von Lese-Erfahrung, zusammengestellt von einem Wissenschaftler und Herausgeber, der sich auskennt mit den Schriften des Reformators und Sprachgiganten Martin Luther. An diesem Bändchen kann man tatsächlich das reine Vergnügen haben, wenn man sich nicht vor klaren Worten fürchtet. Einfach nur misogyne Zitate hätten allerdings ohne Verlust fortbleiben können! Vergnügen bereiten beim Lesen die gelungenen Aphorismen, in denen Luther sich als Sprachgenie und Philologe zeigt. „Wo das Wort ist, dort ist das Paradies und alles.“ Die derb-dreiste Argumentation hat bis heute nichts von ihrer Komik und Überzeugungskraft verloren. „Die den Zölibat befürworten, sollten auch das Scheißen verboten haben.“ Durch den einfachen Quellennachweis kann man rasch ermitteln, woher das grobe Wort stammt und sich in weitergehende Lektüren vertiefen. „Der Teufel hat mich geplagt, und ich habe Phantasien gehabt, dass ich vom Donner erschlagen werden soll. Da antwortete ich ihm: Leck mich am Arsch. Jetzt will ich schlafen und nicht disputieren.“ Mancher Satz zwingt zum Nachdenken, provoziert Widerspruch. Überall zeigt sich Luther als Meister der Rhetorik. „Man dient Gott auch durch Nichtstun, ja durch nichts mehr als durch Nichtstun.“ Auch über das Büchermachen hat sich Luther mehrfach im Sinne der Eitelkeitslehre seiner Zeit geäußert. „Viele Bücher machen nicht gelehrt, viel Lesen auch nicht, sondern gute Bücher und diese, so wenig es auch sind, oft lesen, das macht gelehrt in der Schrift und fromm dazu.“ Ob die von Johannes Schilling mit so viel Kenntnis wie Humor zusammengestellte Aphorismen-Sammlung vor diesem strengen Kriterium bestehen könnte? Vermutlich hätte Luther seinen Spaß daran gehabt und sich diesen Band nur noch erheblich umfangreicher gewünscht. Mit der Arbeit des Schreibens kannte er sich aus. Es war für ihn keine Nebensache. „Drei Finger tun‛s (sagt man von Schreibern), aber der ganze Leib und die Seele arbeiten daran.“

Es muss doch immer ein weltliches Regiment bleiben: Soll man denn zulassen, dass nur Flegel und Grobiane regieren, wenn man‛s doch besser machen kann? Es ist ja ein wildes, unvernünftiges Vorhaben, ebenso kann man Säue und Wölfe zu Herren machen und setzen über die, die nicht denken wollen, wie sie von Menschen regiert werden. So ist es auch eine unmenschliche Bosheit, wenn man nicht weiterdenkt als so: ‚Wir wollen jetzt regieren. Was geht‛s uns an, wie es denen gehen wird, die nach uns kommen?‛ Nicht über Menschen, sondern über Säue und Hunde sollten solche Leute regieren, die nicht mehr als ihren eigenen Nutzen oder Ehre im Regiment suchen.

Das ist zeitlos richtig. In vielen seiner Anschauungen erweist sich der Reformator zeitlos aktuell und modern. Dass sich Parallelen zu heutigen Zuständen ziehen lassen, dürfte ein wesentlicher Teil des Vergnügens an diesem Bändchen sein. „Geld ist das Wort des Teufels, durch das er alles in der Welt schafft …“ Und wie salviert sich der gewiefte Rezensent? Ganz einfach: „Wenn jemand sich in einer Sache nicht auskennt, soll er seinen Senf nicht dazugeben …“

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Johannes Schilling (Hg.): Luther zum Vergnügen.
Mit 15 Abbildungen.
Reclam Verlag, Stuttgart 2011.
184 Seiten, 6,00 EUR.
ISBN-13: 9783150188026

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch